Immer mehr Menschen zieht und drängt es aus einer Vielzahl von Gründen in die Städte. Städte bieten vielfach bessere Möglichkeiten für Ausbildung und berufliche Entwicklung, für kulturelle und andere freizeitliche Aktivitäten sowie medizinische Versorgung und Betreuung. Doch diese Popularität bedeutet auch große Herausforderungen für die Städte, erklärt Prof. Dr.-Ing. Sven Liebisch vom Institut für Bauwesen. Insbesondere die Siedlungswasserwirtschaft steht vor spannenden Aufgaben. Die Teildisziplin beschäftigt sich mit der Organisation des Umgangs mit Trinkwasser, Betriebswasser, Abwasser und Niederschlagswasser im Umfeld von Siedlungen.
Wenn immer mehr Menschen zum Abwasser einer Stadt ‚beitragen‘, kann das eine Infrastruktur an ihre Grenzen bringen – nicht nur wegen der schieren Abwasser-Mengen, die vielfach sanierungsbedürftige Strukturen überfordern. „Wenn der Abfluss einer Stadt nicht mehr funktioniert, ist das nicht bloß lästig, sondern kann gefährlich für die Gesundheit der Menschen werden“, weiß Liebisch. Doch nicht nur das Wachstum von Städten mit betagter Infrastruktur ist eine Herausforderung für die Siedlungswasserwirtschaft. „Durch die Landflucht sind viele ländliche Abwassersysteme mittlerweile überdimensioniert“, sagt der Professor. „Wenn keine Anpassung stattfindet, kann es zu Ablagerungen im Kanalnetz kommen, und es beginnt zu stinken.“
Doch auch die Versorgung von Städten mit Brauch- und Trinkwasser ist Sache der Wasserbauer. Im Idealfall können Bauingenieurinnen und -ingenieure Maßarbeit leisten: Auf der Basis von Anforderungen, Gesetzen und Verordnungen berechnen sie die benötigten Längen und Durchmesser, die von ihnen geplante Leitungssysteme haben müssen, um eine bestimmte Menge von Menschen zuverlässig mit Trinkwasser zu versorgen. Nicht nur die immer größeren Menschenmengen machen solche Aufgaben spannend, findet Liebisch: „Der Klimawandel – insbesondere ausgedehnte Trockenperioden und sinkende Grundwasserspiegel – lassen das Wasser auch in vielen urbanen Räumen knapp werden. Das zeigt sich beispielsweise, wenn Kommunen den Wasserverbrauch für das Bewässern von Rasen oder das Autowaschen untersagen.“
Doch auch das Gegenteil – zu viel Wasser in der Stadt – ist eine Herausforderung für Bauingenieurinnen und -ingenieure. „In Städten sind viele Oberflächen versiegelt“, erklärt Liebisch. „Dächer und Straßen hindern die Wassermassen am Versickern, so dass es bei immer häufiger auftretenden Starkregenereignissen zu Überflutungen kommen kann.“ Entsprechend wird versucht, Flächen zu entsiegeln, Asphalt durch Pflaster mit großem Fugenanteil oder andere wasserdurchlässige Baustoffe wie beispielsweise Rasengittersteine auszutauschen. So will man das Wasser kontrolliert länger in der Stadt halten. Denn das verbessert das Mikroklima und verhindert zudem, dass Mikroplastik vom Reifenabrieb der Fahrzeuge und andere Schadstoffe schwallartig aus der Stadt in Gewässer gespült werden.
Trotz der vielen Verbesserungen, die der technische Fortschritt mit sich bringt, stehen Bauingenieurinnen und Bauingenieure – insbesondere in der Siedlungswasserwirtschaft – vor großen Herausforderungen. „Wasser in all seinen Formen – als Trinkwasser, als Abwasser oder als Niederschlagswasser – ist ein spannendes Element“, urteilt Professor Liebisch. „Das, und die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus anderen Disziplinen – aus der Geologie, der Chemie, der Verfahrenstechnik oder dem Anlagen- und Maschinenbau – sorgt dafür, dass es beim Siedlungswasserbau nie langweilig wird“, fasst Liebisch zusammen, was ihn an seiner Profession begeistert.