Hinter dem Schlagwort ‚Energiewende‘ verbirgt sich ein klares Ziel: Deutschland soll seinen Energiebedarf bis zum Jahr 2050 komplett aus erneuerbaren Energien decken. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, lässt sich allerdings nicht so klar beantworten. „Es ist vor allem eine Preisfrage“, weiß Prof. Dr. Andreas Luczak, der am Fachbereich Informatik und Elektrotechnik Studierenden verschiedener Fachbereiche die komplexe Gemengelage verständlich macht, die sie in ihrem Berufsleben begleiten wird. „Es ist lediglich klar, dass die Energiewende eine teure Angelegenheit ist. Wie teuer sie schließlich wird, das hängt von vielen Stellschrauben ab, die Ingenieurinnen und Ingenieure kennen sollten.“
Früh im Studium versucht Luczak Studierende mit einem Experiment für die Komplexität des Themas Energiewende zu sensibilisieren: „In einem ersten Schritt sollen die angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure ihren CO2-Fußabdruck ermitteln. Das bedeutet herauszufinden, wie viel CO2 sie mit ihrem gegenwärtigen Lebensstil verbrauchen. Schon das sorgt bei vielen für eine Überraschung, denn wir alle produzieren mehr CO2, als wir annehmen. In einem zweiten Schritt versuchen die Studierenden, eine Woche lang ihr Leben umzustellen, mit dem Ziel, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Einigen gelingt mit großen Anstrengungen eine Reduzierung um die Hälfte. Das ist ein tolles Ergebnis, das zeigt, wie viel Einzelne durch Verhaltensänderungen beitragen können.“
Doch alle persönlichen Anstrengungen reichen nicht aus, um CO2-neutral zu werden. Denn wir alle verwenden öffentliche Infrastruktur, fahren auf Straßen und Radwegen, deren Bau CO2 produziert, nehmen die Dienste von Feuerwehr und Müllabfuhr in Anspruch, die mit Verbrenner-Fahrzeugen unterwegs sind, und besuchen Schulen und Sporthallen, die beheizt werden müssen – all das spielt in eine solche persönliche CO2-Rechnung mit hinein – zeigt aber auch das große Optimierungspotenzial. Dabei geht es dem Professor nicht um Schelte. „Die Studierenden sollen verstehen, dass die Energiewende ein komplexes Unterfangen ist, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Es gibt keinen Königsweg.“
Den Studierenden wird laut Andreas Luczak früh klar, dass nicht nur die einzelnen Aspekte, sondern auch deren Abfolge in die Energiewende und deren Kosten hineinspielen: „Tauschte heute jeder sein Verbrennerfahrzeug gegen ein E-Auto, würden die CO2-Emissionen eher ansteigen, denn wir erzeugen in Deutschland bei weitem nicht genug, um überhaupt die bereits vorhandenen Stromverbraucher zu versorgen. Vor der flächendeckenden E-Auto-Versorgung müssten also zunächst Windkraft und Photovoltaik massiv ausgebaut werden, um ausreichend grüne Energie für die Mobilität bereitstellen zu können.“ Allerdings wird die Automobilindustrie kaum geduldig warten, bis es soweit ist.
Dass Deutschland es schaffen kann, seinen Energiehunger aus erneuerbaren Energien zu decken, ist sich Luczak sicher. Unsicher ist allerdings, wie teuer das Unterfangen wird. Unabdingbar dabei ist ein stark erhöhter Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft, was aber mit einer Absage an den Mindestabstand von 1.000 Metern, der zwischen Windkraftanlagen und Wohngebäuden bestehen muss, einhergehen würde. Aber kaum einer möchte aus dem Küchenfenster auf eine 5-Megawatt-Anlage blicken. Auch eine Verlagerung der Windkraftanlagen auf das Meer taugt nicht als Allheilmittel, da das dort vorhandene Potenzial aufgrund der Beschränkungen durch die maritime Fauna und die Schifffahrt bei weitem nicht ausreicht.
Doch hätte man schließlich all die benötigte erneuerbare Energie erzeugt, schlösse sich gleich ein weiteres komplexes Problem an: Um diese Energie flächendeckend zu verteilen, bedürfte es eines Ausbaus des Stromnetzes. Spätestens das ist ein Aspekt, bei dem länderübergreifend gedacht und geplant werden muss. Und auch hier stellen sich Preisfragen, wie die nach unansehnlichen Stromtrassen, teuren unterirdische Leitungen oder dem aus wirtschaftlichen Gründen bewussten Verzicht auf einen gewissen Prozentsatz an grüner Energie, welcher zu gewissen Zeiten abgeregelt werden muss. Die Studierenden aus verschieden Fachbereichen lernen in den Modulen von Prof. Dr. Andreas Luczak, dass die Entscheider behutsam verschiedene Szenarien abwägen und Parameter parallel justieren müssen, um die Energiewende möglichst schnell, aber auch bezahlbar zu realisieren.
So schließt sich dann die Frage an, wie die Energiewende finanziert werden soll, ohne die Menschen über Gebühr zu belasten. Klar ist für Luczak nur eines: „Es gibt keine Alternative zum Handeln, denn ein ‚weiter so‘ können wir uns nicht erlauben – und nicht leisten. Und dabei geht es gar nicht in der ersten Linie um Deutschland. Ich bin mir sicher, dass unser Land Wege finden wird, uns zu unseren Lebzeiten mit den Folgen des Klimawandels zu arrangieren. Es geht aber bei diesem Themenfeld auch um eine moralische Verpflichtung anderen Regionen in der Welt gegenüber. Es geht um unsere Verantwortung für kommende Generationen. Die jetzigen Investitionen in den Klimaschutz ersparen der Weltbevölkerung ein Vielfaches an späteren Folgekosten des Klimawandels.“
Doch bei all den ernüchternden Fakten, gibt sich Luczak stets hoffnungsvoll: „Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess, der sich auf unsere alltägliche Lebenswelt nur wenig spürbar auswirkt. Die Zeche zahlen vor allem erst unsere nachfolgenden Generationen in 100 und mehr Jahren. Die Politik denkt jedoch nicht in solchen Zeiträumen, da geht es um Wahlperioden und unmittelbar greifbare Probleme vor Ort. Aber die Corona-Krise veranschaulicht, wozu die Politik im Angesicht einer konkreten Gefahr in der Lage ist. Da werden kurzfristig allein in Deutschland etwa 200 Milliarden Euro mobilisiert, um eine tödliche Gefahr abzuwenden. Das zeigt, dass die Gesellschaft durchaus dazu bereit sein könnte, vielleicht wenigstens 20 Milliarden Euro jährlich zusätzlich in die Energiewende zu investieren. Und auf lange Sicht würden sich diese Investitionen auch rechnen, denn die irreparablen Folgeschäden werden erheblich teurer, abgesehen von den wirtschaftlichen Impulsen, die die Energiewende Deutschland bietet“, prognostiziert Luczak.
Wichtig ist Andreas Luczak, dass den Studierenden Fakten und Parameter bekannt sind, damit sie sich eine fundierte Meinung bilden können. „Einfache Lösungen sind gefährlich und oft kontraproduktiv. Es ist naiv zu hoffen, die Forschung würde in ein paar Jahren eine universelle Lösung für alle Probleme präsentieren. Auch die jüngste Idee, es ließen sich in kürzester Zeit in afrikanischen Wüsten Solarfarmen aufstellen, die uns zuverlässig mit grünem Wasserstoff versorgen, erscheint wenig realistisch. Solche Visionen bergen die Gefahr, dass sie als Vorwand missbraucht werden, sich nicht mehr den Herausforderungen stellen zu müssen, die sich dabei ergeben, wenn man die im eigenen Land vorhandenen Potenziale konsequent nutzt. Und auch der Ansatz, man könne doch einfach mehr regenerativen Energie erzeugen, um daraus grünes Kerosin herzustellen, damit wir einfach weitermachen können wie bisher, verschweigt oft die damit verbundene bittere Wahrheit, dass sich die Ticketpreise dadurch in etwa verdoppeln würden und Fliegen dadurch zukünftig nicht mehr für so viele so leicht erschwinglich wäre.
Vor allem versucht der Professor seinen Studierenden zu verdeutlichen, wie die unterschiedlichen Faktoren ineinandergreifen. „Wenn die Studierenden die komplexen Zusammenhänge verstehen, und wenn sie erfassen, wie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft in der Frage miteinander verzahnt sind, haben sie einen klareren Blick und verstehen, dass es nicht einfach um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ geht, wenn sie als Ingenieurinnen und Ingenieure Zukunft gestalten. Das ist für viele manchmal etwas ernüchternd, aber Resignation spüre ich unter den Studierenden nicht. Im Gegenteil: Gerade Transparenz und nachvollziehbare Fakten sind für viele eine Motivation, bessere und nachhaltigere Lösungen zu entwickeln.“