Seit diesem Wintersemester lehrt Prof. Dr. Kenji Reichling an der Fachhochschule Kiel Baustofftechnologie. Wobei Reichling – schaut man sich den Werdegang des gebürtigen Luxemburgers an – vor allem einen Baustoff besonders gut kennt, nämlich Beton. Wie er seine Liebe zu ihm entdeckte und was er damit in Kiel noch vorhat, verriet er Frauke Schäfer im Interview.
Wie entwickelt man ein Faible für Beton?
Indem man sehr früh mit ihm in Kontakt kommt. Ich hab ein technisches Abitur in Luxemburg gemacht und an meiner Schule gab es Werkstätten, in denen wir schon früh Hand anlegen durften. Es hat mir Spaß gemacht, verschiedene Betonrezepturen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften zu entwickeln. Die meisten denken bei Beton ja eher an eine „graue Masse“, dass er hässlich ist, aber mit Beton kann man spannende Sachen machen. Später im Studium habe ich mich intensiver mit Architektur beschäftigt, und es gibt beeindruckende Gebäude, bei denen auch mit den Elementen Licht und Schatten oder Oberflächenstrukturen gespielt wird. Und irgendwann im Verlauf meines Studiums hieß es dann: „Wer hat Lust, bei der Beton-Kanu-Regatta mitzumachen?“
Bei der Beton-Kanu-Regatta?
Ja, da will ich irgendwann auch mal mit den Studierenden hin, aber das ist noch ein Thema für die Zukunft.
Dann können Sie ja mit dem Studiengang Schiffbau und Maritime Technik zusammenarbeiten.
Da habe ich mich tatsächlich auch schon mal vorangetastet. An der Regatta nehmen alle wichtigen Hochschulen teil, die in Deutschland Bauingenieurwesen anbieten. Die Studierenden bauen ein Kanu aus Beton und treffen sich irgendwo in Deutschland zu Regatten. Ausgezeichnet werden neben dem schnellsten zum Beispiel auch das schwerste und das leichteste Boot. Es gibt auch eine freie Klasse, da war dann auch schon einmal ein U-Boot dabei. Ich habe als Student teilgenommen und von da an war es dann sowieso um mich geschehen. Damals ist auch der Kontakt zum Institut für Bauforschung in Aachen entstanden, später habe ich dort angefangen zu arbeiten.
Beton hat ja eher einen schlechten Ruf, vielleicht ist dies den 1970er Jahren geschuldet, in denen diese furchtbaren Beton-Bau-Sünden entstanden sind. Hat die Waschbeton-Ära es ein bisschen versaut?
Definitiv. Die Bauten, die damals nicht auf Dauerhaftigkeit getrimmt waren, sehen heute eben entsprechend aus. Und das haben Leute, die nicht so viel mit Beton zu tun haben, vor ihrem inneren Auge. Sie denken: Was aus Beton gebaut wird, ist hässlich, klobig, grau, hat irgendwann Risse und Ausblühungen und das ist abstoßend.
Es hat nichts Sinnliches, jedenfalls nichts positiv Sinnliches.
Es wirkt manchmal so, als richten sich große Betonstrukturen ein bisschen gegen den Menschen. Aber Beton kann auch ganz organisch sein. Carbon-Beton ist dafür ein gutes Beispiel. Normalerweise legt man in den Beton Stahlbewehrung ein, um die Zugkräfte aufzunehmen. Aber man kann eben auch – und daran forscht man schon seit 20 Jahren - Textilgewebe nehmen und dadurch ganz schlanke und fließende Strukturen schaffen. Wir fangen langsam an in Bereiche vorzudringen, bei deren Anblick man denkt: Oh, kann das überhaupt halten?
Haben Sie ein Beispiel für eine Architektur, bei der Laien erstmal nicht denken, dass es sich um einen Betonbau handelt?
Ja, die Kuppel des Pantheons in Rom.
Das Pantheon?
Ja, tatsächlich konnten die Römer schon Beton, aber mit den Römern ist damals auch das Wissen um Beton untergegangen. Es musste im 19. Jahrhundert erst wieder aufgebaut werden.
Und ein modernes Gebäude?
Bei der Sagrada Família von Gaudí zum Beispiel wurde ein weißer Beton verwendet, wodurch der ohnehin schon sehr organische Bau noch sakraler wirkt. Oder der Italienische Pavillon der Weltausstellung 2015 in Italien, der an ein übergroßes Vogelnest erinnert. Das Besondere an diesem Beton: Er baut Stickoxide in der Luft ab und liefert so einen ökologischen Beitrag.
Sie haben also im Studium die Spur des Betons aufgenommen und ziemlich stringent verfolgt. Am Institut für Bauforschung der RWTH Aachen haben Sie zu Beton geforscht, zum Thema „Bestimmung und Bewertung des elektrischen Widerstands von Beton mit geophysikalischen Verfahren“ promoviert und dann sind Sie in der Geschäftsstelle des Deutschen Ausschuss für Stahlbeton in Berlin gelandet. Das muss ja Ihr Traumjob gewesen sein!
Ja, das war der Himmel auf Erden (lacht). In meiner Diplomarbeit habe ich mich noch im weitesten Sinne mit dem Beton selbst beschäftigt und anschließend wissenschaftlich mit der Dauerhaftigkeit von Stahlbeton. Ich habe Sensoren und Diagnoseverfahren entwickelt und patentieren lassen. Dabei ging es unter anderem um den elektrischen Widerstand von Beton. Man denkt ja, „okay, durch ein Kupferkabel fließt Strom, aber durch Beton?“. Ja, Beton hat auch einen elektrischen Widerstand, der ist natürlich viel größer als von Kupfer und liefert wichtige Informationen.
Über den Zustand?
Genau, darüber wie porös der Beton ist, wie viel Wasser er enthält, daraus kann man Rückschlüsse auf seine Dauerhaftigkeit ableiten. Und beim Deutschen Ausschuss für Stahlbeton konnte ich dann so richtig hinter die Kulissen schauen. Natürlich ging es um technische Aspekte, aber eben durchaus auch um politische. Wie funktioniert zum Beispiel die Beton-Normung und wie kommen Forschungsergebnisse am schnellsten in die Praxis? Ich habe dort einen sehr guten Überblick darüber bekommen, was und wo in Deutschland rund um den Beton geforscht wird und wo es noch Wissenslücken gibt. Daraus werde ich für meine Tätigkeit hier auch schöpfen.
Kann ein Baustoff politisch sein?
Ja, das kann er. Politisch ist beispielsweise die Ausrichtung der Forschung: Welche Baustoffe will man eigentlich zukünftig verwenden, will man weg vom Beton oder mehr davon? Sollen viele Brücken gebaut, Staus vermieden werden? Alleine „Stauvermeidung“ ist für das Verkehrsministerium ein Riesenthema. Und da spielt eben auch die Dauerhaftigkeit eine Rolle, es ist wichtig, dass die Brücke lange hält, dass man eben nicht alle paar Jahre wieder eine Baustelle hat.
Was hat Sie denn nun vom Deutschen Ausschuss für Stahlbeton weg, hin an die FH Kiel gelockt? Wollten Sie schon länger weg?
Länger nicht, aber irgendwann stellt man sich ja die Frage: „Womit will ich mich die nächsten Jahre beschäftigen?“ Und mich zieht es in die Lehre und Forschung zurück. Diese möchte ich hier im Bereich der Baustoffe und neuen Diagnoseverfahren etablieren. Gemeinsam mit den Studierenden an innovativen Technologien tüfteln und diese auch verwerten. Dafür braucht man natürlich ein Labor und das Tolle ist: Wir starten hier auf der grünen Wiese, Pionierarbeit leisten und uns alles so herrichten, wie wir es uns vorstellen. So eine Gelegenheit ist einzigartig.
Und wie gefällt es Ihnen hier in Kiel?
Sehr gut. Wenn ich so an meine Kinderbücher denke oder an die Bücher, die ich jetzt mit meiner Tochter anschaue, in denen spielen Kinder im Wald, sie reiten, sitzen am Strand. Wo sind all diese Sachen möglich? Hier. Die Vielfalt ist ja unglaublich. Natürlich ist Berlin, wo ich vorher gelebt habe, eine Metropole, da kann Kiel kulturell schwer mithalten. Aber wenn ich das auf die Bevölkerungsdichte herunterbreche, ist es gar nicht so viel weniger.
Die Stadt passt also, Sie haben Lust auf die Pionierarbeit an der Hochschule, wie ist es mit den Studierenden?
Klar müssen die Studierenden am Anfang das eine oder andere Auge zudrücken, weil es immer mal wieder Schwierigkeiten zu Beginn eines neuen Studienganges gibt, aber bisher sind sie ganz verständnisvoll, arbeiten gut mit und haben keine Berührungsängste. Ich habe schnell gemerkt, dass die Studierenden hier die Inhalte verstehen wollen, sie nehmen alles relativ schnell auf und wenn sie etwas nicht verstehen, dann fragen sie sofort nach, und das finde ich gut.
Nun haben Sie schon erzählt, dass Sie gerne ein Beton-Kanu bauen möchten. Wollen Sie auch noch andere Baustoffe, abseits des Betons erproben?
Ich bin offen für alles. Im Moment konzentriere ich mich auf Beton, aber zuerst müssen wir das neue Gebäude mit Baustofflabor planen und bauen. Derzeit und sicher auch in Zukunft spielt das digitale Bauen eine zentrale Rolle. Wieso soll man Beton nicht auch drucken können, wie bei einem 3-D-Drucker? Diesbezüglich gibt es bereits erste Forschungsprojekte. Das wäre eine Lösung für das Fachkräfteproblem, ja sogar, um den Mars zu besiedeln. An der FH hier gibt es ja auch Fachleute für den 3-D-Druck, mit denen habe ich auch schon gesprochen. Wer weiß, vielleicht können wir das Beton-Kanu sogar drucken.