Zwei Männer vor Computerbildschirm.© F. Klein
Be­spre­chung der Mess­ergeb­nis­se.

Blitz­strom trifft Funk­an­ten­ne

von Felix Klein

„Ach­tung“ schallt es durch den ab­ge­dun­kel­ten Raum. Dann knallt es. So laut, dass die drei Män­ner im Raum Ge­hör­schutz tra­gen. Ge­ra­de eben schos­sen 200 Ki­lo­am­pe­re durch eine LTE-Funk­an­ten­ne. Für einen Men­schen kann be­reits eine Strom­stär­ke von fünf­zig Mil­li­am­pere töd­lich sein. Diese Dosis ist es auf jeden Fall. Ge­schützt von einer Glas­schei­be haben die Män­ner den Ver­such im Ne­ben­raum be­ob­ach­tet. Auf dem Tisch vor ihnen ste­hen Mess­ge­rä­te und Com­pu­ter, die auf­zeich­nen, was sich er­eig­net hat. Selbst für das Labor für Hoch­span­nung und Blitz­strom ein Test, den es sel­ten gibt.  

Weiße LTE-Funkantenne liegt in Raum auf Holztisch.©F. Klein
Die mehr als fünf Meter lange LTE-Funk­an­ten­ne kurz vor der Prü­fung.

„Wir be­sit­zen den leis­tungs­fä­higs­ten Blitz­strom­ge­ne­ra­tor Deutsch­lands, wenn nicht sogar Eu­ro­pas“, sagt Dr. Kay Schmidt-Reth­mei­er, Pro­fes­sor für Hoch­span­nungs­tech­nik an der Fach­hoch­schu­le Kiel. In sei­nem Labor bil­det der Pro­fes­sor nicht nur Stu­die­ren­de aus, son­dern führt auch Ma­te­ri­al- und Norm­prü­fun­gen durch. Dazu ge­hö­ren Ro­tor­blät­ter von Wind­kraft­an­la­gen, Blitz­ab­lei­ter oder elek­tri­sche Schal­tun­gen. Sogar Kun­den aus Aus­tra­li­en tes­ten ihre Teile dort. „Wir kom­men immer ins Spiel, wenn es um etwas Be­son­de­res geht“, er­klärt Schmidt-Reth­mei­er. Alle Ge­rä­te und Bau­tei­le, die hier ge­tes­tet wer­den, sind Uni­ka­te. Kein Teil ist wie das an­de­re. Des­halb müs­sen sich Schmidt-Reth­mei­er und La­bo­r­in­ge­nieur Jörg Kohl­mor­gen jedes Mal Ge­dan­ken über den Ver­suchs­auf­bau ma­chen.

An die­sem Tag geht es um eine Norm­prü­fung. Ein dä­ni­sches Un­ter­neh­men möch­te die Blitz­schutz­klas­se einer LTE-Funk­an­ten­ne at­tes­tiert haben – an­ge­peilt ist die höchs­te, Klas­se eins. Doch dafür muss das Bau­teil 200 Ki­lo­am­pe­re über­ste­hen. „Der Umbau nimmt immer die meis­te Zeit bei uns ein“, sagt Schmidt-Reth­mei­er. Wäh­rend er den dä­ni­schen Kun­den durchs Labor führt, ist Jörg Kohl­mor­gen dabei, die Norm­prü­fung vor­zu­be­rei­ten. Seine Ar­beit er­in­nert an die eines Hand­wer­kers: Mit Spann­gur­ten be­fes­tigt er die An­ten­ne, die ho­ri­zon­tal auf einer höl­zer­nen Werk­bank liegt, und si­chert sie zu­sätz­lich mit Schraub­zwin­gen. Dann geht es ans Ver­ka­beln, wobei Ver­ka­beln das fal­sche Wort ist, denn Hei­zungs­roh­re aus Kup­fer sol­len den Strom lei­ten. Nor­ma­le Kabel wären der Kraft von 200 Ki­lo­am­pe­re nicht ge­wach­sen, wür­den sich los­rei­ßen und um­her­schla­gen.

Hände, die Kabel an Kupferrohren befestigen.©F. Klein
Ver­ka­beln für 200 Ki­lo­am­pe­re – auch Kup­fer­roh­re kom­men zum Ein­satz.

Nach mehr als einer hal­ben Stun­de be­en­det Kohl­mor­gen die Vor­be­rei­tun­gen. Los geht es mit 100 Ki­lo­am­pe­re. „Wir tas­ten uns lang­sam ran, weil wir nicht genau wis­sen, was pas­siert“, er­klärt Schmidt-Reth­mei­er. Aus die­sem Grund muss­te das Un­ter­neh­men auch zwei An­ten­nen lie­fern – für den Fall, dass eine ka­putt­geht. Doch die An­ten­ne hält, und kurze Zeit spä­ter schie­ßen 200 Ki­lo­am­pe­re durch sie hin­durch. Es knallt, und wegen der Kraft des Stro­mes fliegt eine Schraub­zwin­ge durch die Luft. Dann das Ur­teil des Wis­sen­schaft­lers: „Nothing is bro­ken!“ – nichts ka­putt­ge­gan­gen. Das dä­ni­sche Un­ter­neh­men be­steht die Prü­fung und er­hält Blitz­schutz­klas­se eins. Die Funk­an­ten­ne ist be­reit für ihr ers­tes Ge­wit­ter.

© Fach­hoch­schu­le Kiel