Open End
Bilder aus dem Leben von Frauen und Männern mit HIV/AIDS
Ein Kunstprojekt in Südafrika während der deutschen Kulturwochen im Südlichen Afrika unter der Schirmherrschaft des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Instituts im Oktober/November 2004
Das Leben in Südafrika 10 Jahre nach der Apartheid beginnt sich zu entspannen: trotz der hohen Kriminalitätsrate, der hohen Arbeitslosenrate und Armut findet allmählich ein Ausgleich statt zwischen Weiß- und Schwarzafrikanern im Hinblick auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und kulturellen Erbe. Nelson Mandelas charismatischer Einfluss hat einen Bürgerkrieg verhindert und die Chancen eines friedlichen gemeinsamen Aufbaus der Post-Apartheid-Gesellschaft möglich gemacht.
Die Ausnahme in diesem nach vorne in die Zukunft gerichteten Impuls ist der Umgang mit der Epidemie AIDS. Bis in die Regierungsspitzen hinein werden das Ausmaß und die Folgen der Infektion geleugnet. Alte, nach wie vor stark wirksame Tabus bezüglich männlicher Potenz und weiblicher Unterwürfigkeit verhindern eine wirksame Prophylaxe. AIDS gilt als Schande und wird meist vor der Familie verschwiegen, bei Ausbruch der Krankheit wird der oder die Betroffene oft isoliert und ausgegrenzt.
"Factors that might contribute to theSouth African epidemie are: poverty, multiple sexual relationships, living in singlesex quarters, social norms which accept high numbers of sexual partners, extensive resistance to condom use."
"11.4% of all south africans are infected with HIV.
An estimated 1700 new infections occur in South Africa every day.
Projections suggest that by the year 2008, half a million South Africans will die every year from aids-related causes."
Die Gründung des Institute for Gender Studies an der University of Pretoria durch Ingelore Welpe, Fachhochschule Kiel, und die Forschungen des Center for the Study of AIDS ebenda sind zwei Versuche, die metaphorischen, sozialen, politischen und geschlechtsspezifischen Bedeutungen von AIDS zu untersuchen.
Projekte, die AIDS künstlerisch verarbeiten, gibt es seit den 90 er Jahren. Künstler und Künstlerinnen vor allem in den USA, wo am offensivsten von Seiten der Kranken die Öffentlichkeit mit AIDS konfrontiert wurde, zeigten vor allem im Medium Fotografie Leben und Sterben ihrer kranken Freunde und Freundinnen. Am bekanntesten sind die Fotoserien von Nan Goldin und für Südafrika die von David Goldblatt.
In Südafrika haben AIDs-BetreuerInnen und SozialarbeiterInnen versucht, wenn sie dies überhaupt finanziell und von der Ausbildung her ermöglichen konnten, aber auch wenige Künstler und Künstlerinnen, kunsttherapeutisch in die ausweglose Lage der Infizierten und Kranken einzugreifen.
Ein Kunstprojekt zu AIDS im Zusammenhang des Geschlechterverhältnisses in Südafrika anzugehen, ist eine neue Herausforderung, dem sich die Künstler und Künstlerinnen des Projekts OPEN END gestellt haben. Denn es waren Verhaltensweisen zu befragen, deren Veränderung starken Sanktionen unterlag. Die traditionelle Polygamie ist mit dem ökonomischen Zwang zur Wanderarbeit auch ein soziales und gesundheitliches Problem geworden.
Less than 60% of South Africans live in formal housing; 17% of households obtain their water from dams, rivers, streams and boreholes; less than 30% of households have telephones and about 50% have no flush or chemical toilets.
Unemployment is around 34% and 26% of the employed earn less than R 500 / ca. EUR 70 per month."
Von AIDS betroffen waren und sind vor allem Schwarzafrikaner, die an ihren jeweiligen Arbeitsorten Beziehungen mit verschiedenen Frauen eingingen. Ohne Kondomschutz breitete sich das Virus aus und wurde auf die zur Monogamie verpflichteten Ehefrauen übertragen. Ehefrauen und ihre Kinder sind die gefährdetste Gruppe in Südafrika.
"Gender differences are significant. Women are at their highest risk between 15 and 20 while men achieve their highest incidence some years later.
Women are at risk biologically, socially and economically.
"Approximately 15% of all South Africans adults between 20 and 64 are HIV positive and this could rise to over 20% by 2010.
HIV affects mostly younger people over half of all adults who are infected aquire the infection before they are 25. Over 50% of these young people will die before they reach 35."
Um überhaupt diese schwierigen Verhältnisse befragen und zeigen zu können, mussten Kooperationspartner gefunden werden, die Kontakte herstellen und Türen öffnen konnten. Dieser Prozess war der langwierigste und unabsehbarste für die deutschen Beteiligten, die zum ersten Mal in Südafrika waren. Sollten Lebensweisen von AIDS/HlV-Infizierten gezeigt werden, waren persönliche Kontakte die Voraussetzung. So hat etwa Thies Rätzke über die Vermittlung der Mitglieder von TAC (Treatment Action Campaign), einer Organisation zur Wahrnehmung der Rechte von AIDS-Kranken, privaten Zugang bekommen zu betroffenen Kranken und ihren Familien und sie fotografieren können. Kai Niebuhrs Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Stickerinnen, der Mapula Embroidery Group, entstand durch Vermittlung ihrer weißafrikanischen Managerin. Bei diesem täglichen Treffen wurden die unterschiedlichen Sichtweisen in Bezug zum Kunstmarkt, zur sozialen Kritik durch Kunst und zur Wahl der Motive deutlich. Ein Kunstmarkt mit Galerien ist bis heute kaum in Südafrika existent. Das Land zählt ganze 15O Künstler und Künstlerinnen, die wenigsten sind Schwarzafrikaner. Es gibt einzelne, aus persönlicher Initiative hervorgegangene Künstlerhäuser, wie die von David Koloane geleitete BAG FACTORY in Johannesburg, die Ateliers und Ausstellungsräume für Künstler und Künstlerinnen aus dem In- und Ausland zur Verfügung stellt. Die Frauen der Mapula Embroidery Group, entstanden aus der Initiative einer weißafrikanischen Kunsthistorikerin, besticken schwarze Tücher mit einfachen Alltagsszenen, die Mühsal, Krankheit, Politik mit einschließen. Die Vermarktung dieser Tücher liegt in den Händen ihrer Managerin, die sie auf Märkten, in Museen, bei Ausstellungen anbietet. Ein Teil des Erlöses fließt zu den Frauen zurück und ist oft deren einzige Existenzgrundlage.
Das Projekt war für alle Beteiligten durch die Herausforderung geprägt, für die spezifische Geschlechterproblematik und für ihre persönlichen Erfahrungen mit AIDS-Waisen (Imke Trostbach und Karlien de Villiers), mit AIDS-Kranken in Hospizen (Diane Victor, Thies Rätzke), in der direkten Zusammenarbeit mit südafrikanischen Künstlerinnen (Kai Niebuhr, Anke Dezius) Mittel der visuellen Übersetzung zu finden, die nicht in der bekannten Haltung des Mitleidens und der Elendsbilder stecken bleiben. Die künstlerischen Arbeiten zeigen, wie Respekt vor den Anderen und das Bewusstsein der kulturellen Differenz zu Bildern werden können.
Durch die Vermittlung von Gordon Froud, einer der bekannteren weißen südafrikanischen Künstler und einer der wenigen Galeristen des Landes, der ebenfalls am Projekt OPEN END teilnahm, konnte die Ausstellung in einem der größten Museen zur afrikanischen Kultur und Geschichte des Kontinents stattfinden, dem Museum Africa in Johannesburg.
Nach dreimonatiger Ausstellungszeit tourt die Ausstellung zurzeit durch südafrikanische Universitäten, Galerien und kommunale Zentren. Sie wird voraussichtlich im Sommer 2005 in Kiel und Berlin gezeigt.
Die kursiv gedruckten Zitate stammen aus:
Pierre Brouard, Johan Maritz, Barry van Wyk, Farhana Zuberi: HIV/AIDS in South Africa 2004. Course companion to the CSA Entry Level Volunteer Course, Centre for the Study of AIDS, University of Pretoria 2004
Beteiligte Künstler und Künstlerinnen:
Nicole Degenhardt (Weimar u. Berlin), Anke Dezius (Hamburg), Gordon Froud (Johannesburg), Mapula Embroidery Group (Winterveldt, Pretoria), Daniel Mosako (Pretoria), Kai Niebuhr (Kiel), Thies Rätzke (Hamburg), Imke Trostbach (Berlin), Diane Victor (Johannesburg), Karlien de Villiers (Pretoria
Konzept:
Theresa Georgen, Muthesius Kunsthochschule Kiel / Wolfgang Knapp, Universität der Künste Berlin, Institut für Kunst im Kontext / Margaret Slabbert, Department of Visual Arts of the University of Pretoria / Ingelore Welpe, Fachhochschule Kiel, Institut für Frauenforschung und Gender Studien
Kooperationsparter:
Siyafunda Haven and Day Gare Centre, Soshanguve, Pretoria / Universität von Pretoria Muthesius Kunsthochschule Kiel / Universität der Künste Berlin / Museum Africa, / Johannesburg / Treatment Action Campaign (TAC), Johannesburg / Fachhochschule Kiel / Goethe Institut Johannesburg
Thies Rätzke, Hamburg
Die ursprüngliche Idee war, eine Reihe von Menschen mit HIV/AIDS aus unterschiedlichen sozialen Schichten, verschiedenen Alters, in unterschiedlichen Lebenssituationen und Krankheitsstadien zu porträtieren,um die vielfältigen Gesichter von AIDS zu zeigen.
Aufgrund des Stigmas sind jedoch auch heutzutage nur wenige Institutionen
und Communities bereit sich zu öffnen und Betroffene, die sich trauen, mit ihrem AIDS-Status an die Öffentlichkeit zu gehen, nur sehr schwer zu finden. Der Mut derjenigen, die sich schließlich fotografieren ließen, ist somit umso bewundernswerter.
Die meisten meiner Bilder sind im St. Frands Gare Center in Boksburg entstanden, das ca. 35 Patienten beherbergt, von denen ungefähr 1/3 unheilbar krank und ans Bett gefesselt sind. Die Zahlen variieren, da beinahe jede Woche Sterbefälle zu beklagen sind. Das Center hat einen eigenen Kühlraum für acht Leichen, der zeitweise überfüllt ist. In dem Gare Center ist außerdem das "Rainbow Cottage" untergebracht, in dem 30 AIDs-Waisenkinder betreut werden, von denen die meisten bereits selbst infiziert sind.
Des Weiteren habe ich zwei Frauen besucht, Christina und Gugu, die in den Townships um Pretoria bzw. Johannesburg leben, beide mit AIDS. Christinas Mann ist vor kurzem ebenfalls an den Folgen der Krankheit gestorben, ihre zwei Söhne sollen jedoch HIV-negativ sein. Während viele AIDS-Kranke von ihren Familien verstoßen werden, hat Christina das Glück, dass ihre Mutter sie unterstützt.
Gugu Dlamini wurde mit 17 vergewaltigt und dadurch nicht nur mit
Syphilis und HIV infiziert, sondern auch noch schwanger. Zu allem
Überfluss zwang ihre Mutter sie, das Kind auszutragen. Gugus Tochter Lungile war HIV-positiv bis zu ihrem siebten Lebensjahr. Seit drei Jahren sind die Tests negativ.
Imke Trostbach, Berlin: an unusual day, 2004 (Zeichnungen)
"An Unusual Day" dokumentiert den Tagesverlauf eines Workshops im Rahmen des Projektes OPEN END, den ich im November 2004 mit AIDS-Waisenkindern in Soshanguve, Pretoria durchgeführt habe.
Die Geschichte wird aus einem sachlichen Betrachtungswinkel dargestellt, bei dem es mir nicht um die visuelle Interpretation des Erlebten ging. Der Ablauf des ungewöhnlichen Tages reflektiert die Lebenswelten zwischen den Kindern und mir.
Die Schnittstelle bei der Realitäten ist der gemeinsam durchgeführte Workshop, in dem die Kinder Selbstporträts hinsichtlich ihrer Gegenwart und Zukunft malten und zeichneten.
Kai Niebuhr, Kiel: o.T., 2004 (Tuch/mixed media)
In meinen Malereien, Stickereien und Grafiken finde ich Figuren und Zeichen aus dem Alltagsleben, die eine Spannung zwischen Normalität und Gewalt ausdrücken. Die Figuren erzählen Geschichten von Macht, Stärke und sozialen Konflikten.
Während des Projekts OPEN END habe ich für zwei Wochen mit sechs Frauen der Mapula Embroidery Group aus Winterveldt zusammengearbeitet. Wir haben Bilder getauscht: ich bat sie, auf den benutzten Küchentüchern, die ich vorwiegend für meine Stickereien und Zeichnungen benutze, zu zeichnen und zu sticken, und sie haben ebenfalls meine Zeichnungen gestickt. Auf ihren schwarzen Tüchern, die sie für ihre Stickarbeiten benutzen, konnte ich nicht zeichnen oder sticken. Das schwarze Tuch ist so etwas wie ihr Label, dessen anderweitige Benutzung ihr »brand« geändert hätte und damit ein Verkaufsrisiko bedeuten würde. Der Verkauf der Stickereien ist ihr einziges Einkommen.
Anke Dezius, Hamburg: Pandoras box, 2004
40 weiße Popelinhemden mit Zeichnungen und Stickereien
Mythologische Figuren, halb menschlich und halb tierisch, gezeichnet und gestickt auf 40 weiße Hemden. Diese Kreaturen haben ihren Ursprung in der griechischen Mythologie, sie sind hier in populären Posen aus der aktuellen Modewelt dargestellt. Die Figuren, die zur europäischen Kultur gehören, zeichnete ich auf die Hemden. Die Zeichnungen wurden während des Projekts von den südafrikanischen Frauen der Mapula Gruppe in ihren traditionellen Sticktechniken bearbeitet.
In Zusammenarbeit mit:
Elisabeth Malete, Salaminah Mpye, Maria Rengane, Selina Makwana, Rosina Maepa, Dorah Hlongwani, Julia Makwana, Bertha Rengane, Agnes Dladla, Adolphinah Makoana, Tebogo Makwana, Johanna Mabunda, Pinkie Vuma, Seemelapelana, Geoyge Makwana, Elisabeth Hlongwani, Annah Moloi, Phillipine Molope, Louisa Rengane, Maria Balogi, Doreen Mabus, Maggie Rengane, Irene Mathe.
Karlien de Villiers, Pretoria
Die Zeichnungen, die ich in der Ausstellung OPEN END zeige, verweisen auf einige der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte um die HIV/AIDs-Epidemien Südafrika. Ich habe einige der vorherrschenden sexuellen Verhaltensweisen untersucht, die mit zur schnellen Verbreitung des Virus beigetragen haben. Die Bilder handeln von der Politik und den Stigmata AIDS in unserer Gesellschaft, aber auch von den persönlichen Wirkungen, z.B. von AIDs-Waisen und Individuen, die mit dem Virus leben.
Diane Victor, Johannesburg: smokeheads, 2004 (Rauch auf Papier)
Diese Serie von 36 Porträtköpfen wurde mit Kerzenrauch gezeichnet. Die Serie begann mit einer fotografischen Interaktion mit Patienten und Patientinnen in der Tagesklinik "St Raphael HIV/AIDS center and soup kitchen" in Grahamstown, Eastern Cape. Mein Interesse bei dieser Technik gilt der schwierigen Kontrolle des Mediums wie auch dessen Vergänglichkeit, Fragilität und flüchtigen Natur des Rauchs in Beziehung zur Fragilität des Lebens der Porträtierten.
Gordon Froud, Johannesburg: 10cc of Positive potential, 2004 (Installation)
Die Installation zeigt einen Schwarm von Spermien, von denen jedes nach einer Zukunft Ausschau hält. Sie sind fragil und verletzlich aber alle potentiell schädlich. Ihr positives Potential ist es, Leben zu kreieren, während ihr Potential positiv (HIV) zu sein, ebenfalls da ist. Die meisten der Spermien sind ähnlich, aber da und dort gibt es Individuen in der Menge. Das individualisierte Spermium wurde von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Projekts OPEN END als Kollaboration gesehen
Daniel Mosako, Pretoria
Meine Bilder sind ein Versuch, AIDS und seine Folgen bewusst zu machen. Ich glaube nicht, dass HIV/AIDS eine Todesstrafe ist wie anfangs geglaubt wurde, sondern ein ziemlich weit verbreiteter Virus und eine Krankheit, mit der man leben kann, mit der man arbeiten kann, in der Stadt, auf dem Land, und mit der man sein alltägliches Leben fortführen kann.
Meine Bilder bestehen aus collagierten Tageszeitungsausschnitten, die ich zum Teil mit symbolischen und metaphorischen Bildern übermalte, die eine Geschichte erzählen.
Nicole Degenhardt, Berlin: do not let me find the words, 2004 (Video, 7min. in Farbe, Stereo)
Meine Arbeit "do not let me find the words" handelt davon, wie soziale Fragen die Kunst besetzen. Das Video zeigt Teenager und ihre Gedanken zu Liebe, Freundschaft, Familie und Zukunft.
Die Idee / der Begriff des Teen-age interessiert mich als Zwischenraum und Übergang, in dem die Weichen für ein eigenes neues Leben gestellt werden.
Dank an:
Gladys Ngoko - Siyafunda Haven and Day Care Centre, Soshanguve sowie Annah, Boikantscho, Boipelo, Emanuel, Mahlogonolo ,Morris, Phindile, Phumzile, Sarah, Tibojo, Zandile - Teenager aus Soshanguve.