Eastside vs. Westside – diese Debatte kennen viele sonst nur aus den Vereinigten Staaten. Doch auch in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins ist sie durchaus präsent. Dabei stellt sich bei uns nicht die Frage ob New York oder Los Angeles, sondern ob Schreventeich oder Gaarden. Obwohl die Diskussion hier in einer deutlich geringeren Größenordnung geführt wird, sorgt sie dennoch für Kontroversen. Denn Prioritäten und Vorlieben gehen auseinander, wenn es um die Wohnungssuche in Kiel geht. Ostufer-Stadtteilen wie Gaarden eilt ein schlechter Ruf voraus, ein Großteil der Kieler Bevölkerung lebt auf dem Westufer. Erst kürzlich berichtete der Sender RTL2 in Rahmen der Reportage-Reihe „Hartes Deutschland“ über Kriminalität und Armut in Gaarden. Sieht die Realität wirklich so aus? Welche Gründe sprechen für eine Wohnungssuche in Gaarden? Und wie ist es um andere Gebiete auf dem Ostufer bestellt?
Bestandsaufnahme: Kiels Stadtteile östlich der Förde
Gaarden, Neumühlen-Dietrichsdorf, Ellerbek und Wellingdorf. Insgesamt leben auf dem Kieler Ostufer ungefähr 46.000 Bürgerinnen und Bürger, etwa 10.000 davon sind ausländischer Herkunft. Südlich der Förde wohnen weitere 10.000 Menschen im Stadtteil Gaarden-Süd/Kronsburg. Insgesamt ergibt das in Bezug auf die 250.000 Einwohner immerhin ein gutes Fünftel der Gesamtbevölkerung unserer Landeshauptstadt. Doch was spricht eigentlich dafür, sich nach einer Wohnung auf dem Ostufer umzusehen? Mit Blick auf die Mietpreise liegt ein Grund bereits auf der Hand: Kieler wohnen auf dem Westufer teurer als auf der anderen Seite der Förde. Selbst der höchste Quadratmeter-Durchschnittspreis des Ostufers, 7,10 Euro in Neumühlen-Dietrichsdorf, überschreitet den niedrigsten Wert am Westufer nicht. Dieser liegt bei 7,96 Euro pro Quadratmeter im Stadtteil Schreventeich. Am Südfriedhof wohnen Kieler*innen bereits für 8,32 Euro, in der Vorstadt und am Blücherplatz sogar für jeweils 9,21 Euro. Mieter aus der Altstadt (10,26 Euro) und in Düsternbrook (10,78 Euro) müssen noch tiefer in die Taschen greifen.
Gaarden – Problemviertel oder Studententraum?
Besonders für Studierende spielt die Kostenfrage bei der Wohnungssuche eine wichtige Rolle. Könnte man zumindest meinen. Trotz höherer Mietpreise bevorzugen einige junge Menschen das Westufer als Wohnort. Dabei bringt das Ostufer vor allem für Student*innen der Fachhochschule Kiel und CAU-Studierende an der Technischen Fakultät Vorteile mit sich. Denn die Anfahrt zur Vorlesung fällt von dort deutlich kürzer aus. Das ist auch für Marielle Flucke ein ausschlaggebender Faktor. Sie lebt seit 2013 in Gaarden-Ost, bisher schon in drei verschiedenen Wohnungen, aber immer in der Nähe des Vinetaplatzes. Als Vorteile des Lebens in Gaarden nennt Marielle neben der geringen Miete die Nähe zum Hauptbahnhof und zur FH Kiel, wo sie im fünften Semester Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation studiert. Die Lage ihres Wohnortes spielt der Studentin, die parallel zu ihrem Studium am Kieler Opernhaus arbeitet, in die Karten. „Zur Oper brauche ich mit dem Rad meistens elf Minuten, das finde ich echt wenig“, berichtet sie. Den Hauptbahnhof erreicht Marielle mit dem Fahrrad sogar in weniger als zehn Minuten. Ihr gefällt das Leben in Gaarden, auch wenn der Stadtteil bei manchen Kieler*innen verpönt ist. Zum Einkaufen geht sie in syrische und türkische Supermärkte, um Produkte wie Kichererbsen, Linsen und Fladenbrot zu günstigeren Preisen als in herkömmlichen Märkten zu kaufen. Auch die Mietpreise lassen sich sehen, durchschnittlich zahlen Bürger*innen in Gaarden-Ost 7,05 Euro pro Quadratmeter. Mit ihrer Nachbarschaft scheint Marielle keine Probleme zu haben, ganz im Gegenteil. „Man kann auch mal an einem Sonntag bohren, ohne dass direkt die Polizei gerufen wird“, berichtet sie. Im Sommer sind Marielle und ihre Freunde gerne im Werftpark oder im Sportpark, um das schöne Wetter zu genießen. Zur Situation in ihrer Gegend gesteht sie allerdings: „Ich glaube, die RTL2-Reportage hat schon ziemlich gut gezeigt, was in Gaarden-Ost abgeht“, und ergänzt, „Gaarden-Süd ist da denke ich schon etwas netter.“ Wenn sie Konzerte, Restaurants oder Bars besuchen möchte, fährt Marielle aufs Westufer, da dort das Angebot vielfältiger ist als vor ihrer Haustür.
Wohnungsangebot für Studierende
Dass die Ostufer-Stadtteile dem Westufer hinterherhinken, wenn es um Ausgehmöglichkeiten geht, ist kein Geheimnis. Vor allem junge Menschen schreckt das ab. Dabei sind Kapazitäten für Wohnungssuchende gegeben. Auch direkt auf dem FH-Campus befinden sich Unterkünfte. In der Wohnanlage Dietrichsdorf des Studentenwerks Schleswig-Holstein wohnen die Akademiker*innen von morgen für 204 bis 234 Euro im Monat und müssen lediglich aus der Tür fallen, um in den Hörsaal zu gelangen. Neben dem staatlichen Wohnheim gibt es außerdem zwei private Studierendenunterkünfte auf dem Gelände der Fachhochschule. Auch Wohnungen stehen in den östlichen Stadtteilen und rund um die FH zur Verfügung. Student*innen, die ein klassisches WG-Leben bevorzugen, werden vermutlich schneller fündig als am Westufer und kommen dabei noch günstiger weg. Nichtsdestotrotz wohnen viele von ihnen lieber auf dem Westufer, so auch Christina Balueva, die an der FH Kiel Angewandte Kommunikationswissenschaft im Master studiert. „Ich habe einfach zufällig einen Platz im Wohnheim am Westufer bekommen“, erzählt sie. Von ihrem ursprünglich geplanten Umzug ans Ostufer sah sie letztendlich ab. Grund dafür seien die vielen Cafés, Restaurants und studentischen Angebote in Innenstadtnähe gewesen. „Da geht sozusagen die Post ab“, berichtet die Studentin.
Leben in Wellingdorf – nur eine Bar fehlt!
Ohne Zweifel, jeder Stadtteil Kiels hat einen eigenen Charakter. So auch die Ostufergebiete untereinander. Daher lohnt sich ein Blick in Stadtteile wie Wellingdorf, Ellerbek und Neumühlen-Dietrichsdorf, um sich nicht nur auf Gaarden einzuschießen und somit ein Gesamtbild der Wohnungssituation auf dem Ostufer zu erhalten. Immerhin liegt der Quadratmeterpreis in Ellerbek (6,68 Euro) und Wellingdorf (6,68 Euro) noch niedriger als in Gaarden-Ost. Silas Ketels studiert ebenfalls am Fachbereich Medien der FH Kiel, wohnte zunächst im Privatwohnheim, mittlerweile aber gemeinsam mit Freunden in einer WG in Wellingdorf. „Hier zu leben fühlt sich nicht wirklich an wie in einer Großstadt, sondern mehr wie in einer kleinen Stadt“, findet der Student. Es gäbe relativ viele Privathäuser und eher weniger Wohnblöcke, zudem sei der Stadtteil sehr familienfreundlich. Silas fühlt sich gut aufgehoben an seinem Wohnort: „Wir haben eine ganze Menge Supermärkte und viele Ärzte, allein in meiner Straße.“ Das Einzige, was er in Wellingdorf vermisse, sei ein Club oder eine Bar für Student*innen. Dabei seien die Voraussetzungen dafür gegeben, sagt Silas. Obwohl ihm bewusst sei, dass die Studentenkultur in seiner Gegend nicht so ausgeprägt ist wie auf dem Westufer, sieht er Potenzial in Wellingdorf: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Bar hier nicht trotzdem laufen würde, dafür reicht die Anzahl an Studierenden dann schon denke ich.“
Wohnungssuche: Eine Typfrage
Falsch oder richtig gibt es auch bei der Wohnungssuche in Kiel nicht. Letztendlich muss jeder selbst wissen, welche Erwartungen er oder sie an den eigenen Wohnort hat. Vergleicht man Gaarden mit Gebieten wie Ravensberg, erscheint der Unterschied zwischen den Stadtteilen im ersten Moment groß. Dabei ist eine Gegenüberstellung in gewisser Weise vielleicht gar nicht notwendig. Denn unterschiedlicher könnten die beiden Gegenden nicht sein. Am Ende kommt es auf persönliche Prioritäten und Ausschlusskriterien bezüglich des Wohnortes an: Wie wichtig sind mir günstige Mietpreise? Welche Lage wäre für mich optimal? Sollte das Viertel ruhig oder lebhaft sein? Schlussendlich stellt sich die Frage: Eastside oder Westside?