Viel größer könnten die Unterschiede zwischen dem alten und neuen Wirkungskreis von Professor Nikolaus Knebel kaum sein: heiße Großstadt am Golf vs. klimatisch eher frische Fördestadt; arabische Metropole vs. Landeshauptstadt. Über zehn Jahre haben der heute 51-Jährige, seine Frau und die zwei Kinder in Maskat, der Hauptstadt des Oman, gelebt und gearbeitet. Zunächst baute der gebürtige Aachener in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen die German University of Technology mit auf und etablierte dort auch den in Europa akkreditierten Studiengang Architektur und Stadtplanung. In den letzten zwei Jahren beriet er dort den Minister für Wohnungs- und Städtebau beim Paradigmenwechsel hin zu einer nachhaltigen Planung. „Das war eine absolut spannende Aufgabe“, sagt Knebel. „Ich habe im Grunde alle Bereiche der Stadtplanung bearbeiten und Leitbilder für die Stadt der Zukunft mit entwickeln können. Dies kommt nun in dem aktuellen Projekt für den Bau einer neuen Stadt für 100 000 Menschen zum Tragen.“
Zuvor lag seine Hauptarbeit an der Universität im Entwerfen und Bauen eines gemeinsam mit Studierenden entwickelten Nullenergiehauses, wobei auf natürliche Materialien, effiziente Technologien sowie auf einen möglichst geringen Eingriff in die Natur geachtet wurde. So besteht das Haus unter anderem aus selbst produzierten Lehmziegeln, besitzt eine Wasserkühlung in den Wänden und eine Kläranlage aus Schilf, die die Gartenbewässerungsanlage speist. Dieses Nullenergiehaus wurde unter anderem als „Best Sustainable Building in Middle East and North Africa” ausgezeichnet.
Über den Prozess des Entwerfens reflektieren
„In der Lehre liegt mir das Entwerfen besonders am Herzen“, erklärt Knebel, dessen Professur im neuen Studiengang Architektur diese Grundlagen beinhaltet. „Ich möchte umfassend vermitteln, wie und vor allem warum wir uns Dinge – in unserem Fall Gebäude – eigentlich ausdenken müssen und können. Meine Studierenden lernen also nicht nur, einfach das Produkt der Architektur zu betrachten, sondern auch über den Prozess des Entwerfens zu reflektieren. Dabei geht es darum, das implizite Wissen über das kreative Arbeiten explizit zu machen.“
Dabei setzt Knebel auf Erfahrungswissen. Und davon bringt er eine Menge mit: Bevor er im Oman war, lebten er und seine Familie in Äthiopien. Im Rahmen eines Weltbankprojektes hat er in Addis Abeba eine bestehende Architektur-Fakultät reformiert und zwei Jahre als Gastprofessor dort gelehrt. Doch schon zuvor suchte sich der Diplom-Architekt Aufgaben im Ausland. Während seines Studiums an der Technischen Universität Berlin ging er nach Delft in den Niederlanden und nach Singapur. Nach dem Abschluss reiste Knebel als Stipendiat der Carl-Duisberg-Gesellschaft nach Japan und trat dort kurze Zeit später seine erste Stelle bei dem bekannten Architekten Toyo Ito an. Und aufgewachsen ist er in München und in Johannesburg in Südafrika. „Ich betrachte es als ein Glück, Architektur weit außerhalb meines Kulturkreises kennengelernt zu haben. Das verändert den Blick aufs Entwerfen, man schaut mehr auf das Wesentliche und nicht nur auf die Form“, reflektiert Knebel. Diese Perspektiven will er auch den Architektur-Studierenden in Kiel näherbringen: „Im Studium muss man das nötige Rüstzeug erhalten, sodass man über die gesamte Lebensarbeitszeit – also vier Jahrzehnte lang - hinweg relevant arbeiten kann. Man sollte sich dagegen rüsten, immer nur dem Zeitgeist hinterher zu laufen, sondern muss den Kern unserer Aufgabe als Architekten erkennen.“
Synergien in Lehre und Forschung
Die Studiengangsleitung ist für Knebel nicht nur eine tolle Gelegenheit, wieder einmal etwas Neues aufzubauen, sondern dies vor allem auch gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen in der Hochschule sowie aus der Praxis zu tun. „Ich glaube, wir schaffen hier etwas ganz Besonderes, weil wir den Studiengang innerhalb des Instituts für Bauwesen aufbauen. Architekten und Bauingenieure sind an der Fachhochschule in Kiel nahe beieinander. Dadurch ergeben sich schon jetzt tolle Synergien in der Lehre und hoffentlich bald auch in der Forschung. Darüber hinaus sind wir mit der Architekten- und Ingenieurskammer und dem Bund Deutscher Architekten in Schleswig-Holstein in einem engen Austausch, aber auch mit nationalen und internationalen Institutionen. Was wir tun, ist also nie isoliert, sondern immer eingebunden in einen weiteren Kontext, denn wir wollen beim Aufbau des Studiengangs offen bleiben.“
Nach den ersten Wochen begeistern ihn vor allem seine Studierenden. „Es ist toll zu sehen, wie offen, interessiert und neugierig sie sind“, lobt Knebel. „Das hat mich in diesem Umfang positiv überrascht.“ Der Grund: Der neue Professor fordert die jungen Menschen seines Kurses auf besondere Art und Weise. „Sie müssen sich in meinen Seminaren auf Dinge einlassen, die sie nicht aus der Schule kennen – sie dürfen völlig neu und außerhalb von bekannten Strukturen denken. Und sie lassen sich bisher sehr gerne darauf ein!“ So ging es in den ersten Wochen für die Studierenden darum, das grundlegende Verhältnis von Mensch, Raum und Ort zu erfahren und zu verstehen, und es dann räumlich zu gestalten. „Der Raum der Architektur ist letztendlich das Ergebnis einer Gleichung aus Mensch und Ort“, philosophiert der neue Professor. So einfach das auch klingen mag, es gehe im Grunde immer darum, die Bedürfnisse des Nutzers und die Bedingungen der Umwelt in Einklang zu bringen. Erst die Verhandlung dieser oftmals jedoch recht komplexen Kräfte führt zur architektonischen Form.
Damit stehen den Architektur-Studierenden bestimmt noch spannende Wochen bevor, denn Knebel kann ihr Studium mit seinem persönlichen Erfahrungsschatz garantiert nachhaltig bereichern.