Mann vor Segelschiffmodell© Woro­bic

„Wie wird man ei­gent­lich Pro­fes­sor*in?“: Kai Graf

von Len­nard Woro­bic

„Ich bin ein ganz le­bens­zu­frie­de­ner Mensch“, sagt Kai Graf von sich selbst. In Kiel fühlt sich der lei­den­schaft­li­che Seg­ler wohl. Doch nicht nur für den Sport hegt Graf eine lang­jäh­ri­ge Be­geis­te­rung: Seit 1995 ist er als Pro­fes­sor für Schiff­bau aus dem Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen der Fach­hoch­schu­le Kiel nicht mehr weg­zu­den­ken. Zudem forscht der pro­mo­vier­te In­ge­nieur mit der Yacht Re­se­arch Unit in sei­nem Spe­zi­al­ge­biet Strö­mungs­me­cha­nik. Kai Graf und sein Team ent­wi­ckeln Pro­duk­te für die Yacht­bran­che und den olym­pi­schen Se­gel­sport. Über seine For­schung, seine Pro­fes­sur und sei­nen Wer­de­gang sprach er mit Len­nard Woro­bic aus der viel.-Re­dak­ti­on. 

Herr Graf, wann kam ihr In­ter­es­se für Schiff­bau auf? 

Ich bin Was­ser­sport­ler und hatte immer den Wunsch, hier oben an der Küste zu blei­ben, und ich hatte eine tech­ni­sche Af­fi­ni­tät. Au­ßer­dem habe ich ein Fach­gym­na­si­um be­sucht, dort stand ich vor der Wahl, Ma­schi­nen­bau, Schiff­bau, Flug­zeug­bau oder ähn­li­ches zu stu­die­ren. Bei den Schiff­bau­ern wuss­te man genau: Die blei­ben hier oben – das war für mich das aus­schlag­ge­ben­de Ar­gu­ment. Ich wäre auch mit Ma­schi­nen­bau glück­lich ge­we­sen, aber so ist es Schiff­bau ge­wor­den. 

Nach Ihrem Stu­di­um haben Sie lange Zeit bei den Jastram-Wer­ken sowie der Ham­bur­ger Werft Blohm+Voss ge­ar­bei­tet und dort pro­mo­viert. Wel­che Auf­ga­ben haben Sie dort über­nom­men? 

Neben mei­ner in­dus­tri­el­len Pro­mo­ti­on habe ich im We­sent­li­chen Soft­ware ent­wi­ckelt, also tech­ni­sche An­wen­dungs­soft­ware für den schiff­bau­li­chen Ent­wurf. Mit der Aus­le­gung von Schiffs­ru­dern fing es an, spä­ter kamen dann Schiffs­an­trie­be oder An­trie­be von klei­ne­ren Boo­ten dazu, bis es schlie­ß­lich immer mehr in Rich­tung Strö­mungs­si­mu­la­ti­on ging. Und das ist es, was ich haupt­säch­lich ge­macht habe: Soft­ware für Strö­mungs­un­ter­su­chun­gen ent­wi­ckeln. 

Seit 1995 sind Sie Pro­fes­sor an der FH Kiel. Wie kam es dazu, dass Sie Do­zent wer­den woll­ten? 

Ehr­lich ge­sagt ist das alles ein wenig zu­fäl­lig ge­kom­men. Da ich mich da­mals um meine klei­ne Toch­ter küm­mern muss­te, brauch­te ich einen fle­xi­ble­ren Beruf. 1993 konn­te ich für mei­nen da­ma­li­gen Ar­beit­ge­ber noch ein Jahr zu­hau­se ar­bei­ten, bis ich 1994 hier an der FH Kiel an­fing, zu­nächst noch als Lehr­be­auf­trag­ter. 

Seit vie­len Jah­ren for­schen Sie mit der Yacht Re­se­arch Unit Kiel (YRU) im Be­reich der Strö­mungs­me­cha­nik für die Yacht- und Se­gel­bran­che. An wel­chen Pro­jek­ten ar­bei­ten Sie ak­tu­ell? 

Mo­men­tan mache ich Pro­jek­te im olym­pi­schen Se­gel­sport für die olym­pi­schen Boots­klas­sen. Da kann ich nicht allzu sehr ins De­tail gehen, weil es sich um lau­fen­de Pro­jek­te han­delt. Was ich sagen kann ist, dass zu­sam­men mit Ath­let*innen an der Ver­bes­se­rung des Sport­ge­rä­tes Se­gel­boot ge­ar­bei­tet wird  und In­ge­nieur*innen die­ses dann wei­ter­ent­wi­ckeln – so wie das In­ge­nieu­re auch in an­de­ren Sport­ar­ten bei der Ent­wick­lung von tech­ni­schem Sport­ge­rät ma­chen, zum Bei­spiel bei dem Bob oder dem Fahr­rad. Die YRU, also die Yacht­for­schungs­grup­pe, hat die­sen eng­li­schen Namen, weil das ganze Ge­wer­be recht in­ter­na­tio­nal ist. Für den deut­schen Markt al­lein kann man nur be­grenzt etwas ma­chen, also muss man sich ein biss­chen in­ter­na­tio­na­ler ori­en­tie­ren. Mit ein paar Mit­ar­bei­ter*innen habe ich im pro­fes­sio­nel­len Se­gel­sport ge­ar­bei­tet, in den ein­schlä­gi­gen Re­gat­ten. Weil wir Strö­mungs­ana­ly­sen ma­chen und Strö­mun­gen eben nicht nur um die Segel von Se­gel­yach­ten auf­tre­ten, son­dern auch um die Schorn­stei­ne einer Mo­tor­yacht, haben wir sol­che Un­ter­su­chun­gen eben­falls ge­macht. Dem­entspre­chend haben wir uns mit Ab­gas­strö­mun­gen und Motor- und Me­ga­yach­ten, wie sie hier in der Re­gi­on ge­baut wer­den, be­fasst. 

Unter an­de­rem haben Sie den Twist Flow-Wind­ka­nal ent­wi­ckelt. Worum han­delt es sich dabei? 

Sie wis­sen ja, dass der na­tür­li­che Wind die Ei­gen­schaft hat, hö­hen­ab­hän­gig zu sein. Das heißt, wenn Sie unten auf dem Boden ste­hen, spü­ren Sie ein laues Lüft­chen, und wenn sie auf den Kirch­turm klet­tern, weht es da schon or­dent­lich. Be­wegt man sich dann re­la­tiv schräg dazu, wie das zum Bei­spiel ein Se­gel­boot oder auch eine Wind­ener­gie­an­la­ge tut, dann ist die An­strö­mung des Strö­mungs­kör­pers da­durch ge­kenn­zeich­net, dass die Wind­ge­schwin­dig­keit und der Wind­ein­falls­win­kel hö­hen­ab­hän­gig sind. So ist es in der Rea­li­tät, und ein Twist Flow-Wind­ka­nal mo­del­liert genau das nach. Die Mo­del­le, mit denen wir ar­bei­ten, sind in der Regel 1,80 Meter hoch. 

Was fin­den Sie be­son­ders span­nend an Ihrem For­schungs­ge­biet? 

Zum einen ist es na­tür­lich die Strö­mungs­me­cha­nik an sich, und zum an­de­ren sind es Se­gel­fahr­zeu­ge – das sind bei­des meine In­ter­es­sen­ge­bie­te, die ein­fach per­fekt zu­sam­men­pas­sen. Se­geln ist nichts an­de­res, als an­ge­wand­te Strö­mungs­me­cha­nik – jeder Seg­ler ist also ei­gent­lich je­mand, der Strö­mungs­me­cha­nik an­wen­det. Je wei­ter man da ein­steigt, etwa als Segel-Leis­tungs­sport­ler*in, also wenn man ins Leis­tungs­se­geln geht, desto mehr muss man auch von der Strö­mungs­phy­sik ver­ste­hen. Das finde ich ganz fas­zi­nie­rend, und na­tür­lich die all­ge­mei­ne Be­geis­te­rung des In­ge­nieurs dafür, dass das, was er ent­wi­ckelt – ob auf Pa­pier, dem Ta­schen­rech­ner oder Com­pu­ter – ir­gend­wann ge­baut wird und sich der Rea­li­tät stel­len muss. Im Se­gel­sport be­deu­tet das, dass sich diese Boote dann eben ir­gend­ei­ner Re­gat­ta-Si­tua­ti­on stel­len und im Wett­kampf be­stehen müs­sen. Das, was man hier am Com­pu­ter kon­stru­iert, sieht man dann ir­gend­wann mal auf dem Was­ser. 

Wel­che Ziele haben Sie für die Zu­kunft be­züg­lich Ihrer Lehre und For­schung? 

Mir macht es wirk­lich sehr viel Spaß, meine For­schungs­the­men in die Lehre zu in­te­grie­ren – was hier an der FH auch wirk­lich ge­lebt wird – darum be­mü­he ich mich in mei­nen Fä­chern sehr. Des­we­gen würde ich mich freu­en, wenn ich davon so viel wie mög­lich über­tra­gen und ver­mit­teln kann. Ich habe noch ein paar Jahre hier und daher möch­te ich so gut es geht mit mei­ner For­schungs­ar­beit wei­ter­ma­chen, und ich hoffe, dass ich den Stu­die­ren­den noch mög­lichst lange etwas bie­ten kann. Die Tech­nik ent­wi­ckelt sich immer wei­ter und das, was ich mal selbst an der Hoch­schu­le ge­lernt habe, ist schon min­des­tens 20 Jahre ver­al­tet. Das heißt, wir Hoch­schul­leh­rer*innen müs­sen dran­blei­ben und uns immer wei­ter­bil­den – das ist keine ein­fa­che Auf­ga­be. So­lan­ge ich noch etwas zu bie­ten habe für die Lehre, möch­te ich das auch gerne ma­chen. 

Wel­che Fort­schrit­te gab es denn in den letz­ten Jah­ren? 

In mei­nem spe­zi­el­len Be­reich der Strö­mungs­si­mu­la­ti­on ist es so, dass wir auf leis­tungs­fä­hi­ge Rech­ner an­ge­wie­sen sind und – das wis­sen Sie selbst – die Rech­ner, die vor 20 Jah­ren als leis­tungs­fä­hig gal­ten, wer­den heute längst von Smart­pho­nes über­trof­fen. Von dem Fort­schritt hat aber meine Dis­zi­plin, die nu­me­ri­sche Strö­mungs­me­cha­nik, enorm pro­fi­tiert. Ich bin froh, dass ich da weit­ge­hend dran­ge­blie­ben bin und es mir ge­lingt, aus die­sen tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen Vor­tei­le zu schöp­fen. 

Und Sie selbst se­geln noch in ihrer Frei­zeit? 

Ja, meine ganze Fa­mi­lie se­gelt seit meh­re­ren Ge­ne­ra­tio­nen, ich habe mich frü­her schon mit mei­ner Gro­ßmut­ter über das Se­geln aus­ge­tauscht, das reicht also lange zu­rück. In den zwan­zi­ger Jah­ren war das ja noch ganz un­ge­wöhn­lich, da gab es noch nicht so viele Seg­ler*innen. Aber es ist bis heute in der Fa­mi­lie ge­blie­ben – das gebe ich an meine Kin­der wei­ter, die den Sport auch be­trei­ben und Spaß daran haben. 

Haben Sie auch ein ei­ge­nes Boot? 

Ja, das liegt hier auf der Schwen­ti­ne, di­rekt vor der Mensa-Ter­ras­se. In der Mit­tags­pau­se, wenn alle in der Mensa sit­zen, nehme ich mei­nen Kaf­fee, gehe an Bord und trin­ke ihn da – das ist wirk­lich eine tolle Sache. 

© Fach­hoch­schu­le Kiel