Noch immer ist ein romantisiert-idyllisches Bild von Landwirtschaft weitverbreitet. Tatsächlich handelt es sich bei der Landwirtschaft aber um ein komplexes System, bei dem zahlreiche Faktoren ineinandergreifen. Die Abfolge der Früchte, der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie die Intensität der Bodenbearbeitung sind wesentliche Aspekte, die sich wechselseitig beeinflussen. Bereits jetzt und absehbar noch stärker stellt der Klimawandel dieses etablierte System vor große Herausforderungen. „Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, muss sich auch das System anpassen“, weiß Bodenkundler Prof. Dr. Conrad Wiermann vom Fachbereich Agrarwirtschaft der FH Kiel.
Vor allem drei gravierende Umweltveränderungen fordern die Landwirtschaft heraus, erklärt Wiermann. „Neben den immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen – Starkregen wie Dürre – sind das die Erhöhung der Temperatur und die Anreicherung von CO2. An diesen Änderungen sind auch die Landwirte nicht ganz unschuldig“, räumt Wiermann ein. „Allerdings können sie die Erträge auch nicht ohne Umweltwirkungen produzieren, denn jeder Eingriff in ein natürliches System führt unweigerlich zu Änderungen dieses Systems.“ Damit verweist Wiermann auf das Spannungsfeld, in dem sich die Landwirtschaft befindet: Auf der einen Seite sollen und wollen die Landwirtinnen und Landwirte auch im eigenen Interesse nachhaltig wirtschaften, auf der anderen Seite müssen die Erträge stimmen – Ökologie und Ökonomie sind hier untrennbar miteinander verzahnt.
„Wären die drei einzelnen Faktoren nicht Herausforderung genug, ist es ihr gemeinsames Auftreten, das das System zu sprengen droht“, erklärt Wiermann. „Zu viel Feuchtigkeit befördert Fäulnis und verhindert, dass Sauerstoff in den Boden gelangt. In Dürre-Perioden schränken Pflanzen ihr Wachstum ein, was für schlechtere Erträge sorgt. Vor allem für C3-Pflanzen wie Weizen, Raps oder Kartoffeln wird es ab 2050 wohl zu wenig Wasser geben, als dass die gegenwärtig angebauten Sorten die gewünschten Erträge liefern können.“ Der Temperaturanstieg sorgt zudem dafür, dass sich Prozesse im Boden beschleunigen, weiß der Bodenkundler. „Organische Substanz wird schneller abgebaut und der Humusgehalt im Boden sinkt. Das bedeutet einen Verlust der Bodenfruchtbarkeit und gleichzeitig eine zusätzliche Freisetzung von CO2.“
Doch die Landwirtschaft verschließt nicht die Augen und hat Lösungen parat, weiß Wiermann: „Bei der Bodenbearbeitung muss ein Umdenken stattfinden. ‚Möglichst wenig bewegen‘ muss das neue Motto sein. So lässt sich der Wasserverlust durch Verdunstung begrenzen.“ Auch würde ein ‚behutsamerer‘ Umgang dazu führen, dass Würmer den Boden mit ihrem Gangsystem durchziehen und so Wasser bei Starkregen besser abfließen kann. Wurzeln könnten in diesem Röhrensystem wachsen und so tiefere Bodenschichten erreichen, in denen zusätzliche Wasser- und Nährstoffreserven verfügbar sind. „Außerdem müssen wir mehr organische Substanz in die Böden bringen, um die Fruchtbarkeit zu erhalten“, ergänzt Wiermann. Das könnten wir durch Kompost oder den Anbau von Zwischenpflanzen wie Senfsaaten oder Phacelia erreichen.
Beim Pflanzenschutz ist für Wiermann ein Umdenken ebenfalls unumgänglich: „Einerseits sorgen gesetzliche Vorgaben dafür, dass bestimmte Mittel nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite bilden sich über die Zeit Resistenzen heraus, so dass Mittel wirkungslos werden können.“ Eine Lösung für dieses Problem kann das Züchten neuer, gesunder Pflanzenarten sein, die besser auf die Herausforderungen eingestellt sind. „Wir brauchen resiliente Arten, die weniger anfällig sind und mit weniger Wasser auskommen“, fordert Wiermann. Allerdings dauert die Zucht meistens viele Jahre bis Jahrzehnte und ob die resiliente Kartoffel 2.0 auch die gleichen Erträge liefern kann – wie ihre absehbar überforderte Vorgängerin – muss sich zeigen.
Es gibt also Lösungen, auch wenn nicht alle schon greifbar sind. „Es nützt allerdings nichts, nur an einer Schraube zu drehen, denn in der Landwirtschaft wirkt sich alles aufeinander aus“, weiß Wiermann und weist auf die komplexen Zusammenhänge der Landwirtschaft erneut hin. „Die große Herausforderung liegt darin, die Lösungen mit dem aktuellen System in Einklang zu bringen. Und schließlich müssen dann auch noch die Erträge stimmen.“ Dabei meint er sowohl die Erntemengen, als auch den Lohn der Landwirtinnen und Landwirte, die sich mit ihrer Arbeit ein Auskommen erwirtschaften müssen. „Es muss in der Landwirtschaft ein Umdenken geben. Wir müssen diversere Systeme entwickeln, denn je diverser ein System ist, desto höher ist seine Resilienz“, fordert der Bodenkundler, damit die Landwirtschaft auch in Zukunft gut für alle wirtschaften kann.