Künstliche Intelligenz (KI), Big Data und Maschinelles Lernen sind Megathemen, die sich auf fast alle gesellschaftlichen Bereiche auswirken. Prof. Dr. Doris Weßels vom Fachbereich Wirtschaft der FH Kiel erforscht, wie sich Künstliche Intelligenz im Hochschulkontext auswirken kann. Im Interview mit der Campusredaktion spricht Sie über Ihre Forschung.
Frau Weßels, wie ist es um KI und Hochschulen bestellt?
Aus meiner Sicht gibt es im Zusammenspiel von KI und Hochschule ein grundsätzliches Problem. Zwar wird an den Hochschulen ‚Künstliche Intelligenz‘ gelehrt, auch dank viele neuer KI-Professuren in Deutschland. Aber die Auswirkungen der KI im eigenen ‚System Hochschule‘ werden leider eher verdrängt und nicht ausreichend thematisiert. Das hängt damit zusammen, dass diese Veränderungen sehr tiefgreifend sind und das ‚System Hochschule‘ in seinen Grundfesten erschüttern.
Mit welchen Aspekten von KI beschäftigen Sie sich konkret?
Ich beschäftige mich seit dem Frühjahr 2018 in meinen Veröffentlichungen und Vorträgen sehr intensiv mit KI-gestützter Produktion und Bearbeitung von Texten jeglicher Art. Insbesondere betrifft das ‚Natural Language Generation‘ (NLG) und ‚Natural Language Processing‘ (NLP) sowie die Auswirkungen auf den Bildungsbereich. Im Bereich Journalismus hat der ‚Robo-Journalismus‘ bereits Einzug gehalten. Durch KI-Algorithmen erstellte Texte werden heute schon weltweit von News-Agenturen und Zeitungsverlagen täglich eingesetzt. Aber ich setzte mich auch mit der Frage auseinander, wie es mit KI im Bereich Bildung aussieht. Welche Herausforderungen erwarten Schulen oder auch Hochschulen, wenn ihre Lernenden mit der Hilfe von frei zugänglichen KI-Werkzeugen ihre Texte per Knopfdruck KI-gestützt schreiben lassen oder vorhandene Texte mit einem Klick plagiatssicher modifizieren lassen (‚Rewriting‘)?
Welche Reaktionen erfahren Sie auf Ihre Arbeit?
Der spontane Impuls vieler Hochschulvertreter*innen, mit denen ich in den letzten zwei Jahren diese Herausforderungen diskutiert habe, reichen von ungläubigem Staunen bis hin zur Forderung von sofortigen Verboten oder Regularien, damit diese KI-Werkzeuge von unseren Studierenden nicht eingesetzt werden dürfen. Diese Reaktionen sind zwar verständlich, aber Verbote sind weder hilfreich, noch sind sie erstrebenswert und durchsetzbar – und sie stehen konträr zu unserem Bildungsauftrag zeitgemäßer Lehrinhalte. Die Herausforderung besteht somit darin, dass wir den Einsatz dieser Werkzeuge in unsere Lehre und für das Lernen zielführend integrieren müssen. Die Art und Weise, wie das gelingen kann, gilt es zu identifizieren und an den Hochschulen sinnstiftend zu etablieren.
Welche positiven Aspekten von KI sehen Sie im Hochschul-Kontext?
Durch den Einsatz dieser heute schon sehr leistungsstarken NLP-Werkzeuge können schneller Texte generiert werden, die im Idealfall auch qualitativ hochwertiger sind. Wir werden nach meiner Einschätzung in absehbarer Zukunft individualisierte ‚Schreib-Bots‘ nutzen, so wie wir heute mit größter Selbstverständlichkeit die Annehmlichkeiten anderer IT-Tools wie beispielsweise Suchmaschinen, Rechtschreibkorrekturen und Übersetzungswerkzeugen. Wenn meine Einschätzung zutrifft, werden wir zukünftig einen jederzeit einsatzbereiten digitalen Ko-Autor oder eine digitale Ko-Autorin an unserer Seite haben und ‚Co-Creation‘ in der Verbindung von Mensch und Maschine erleben. Mich fasziniert diese Vorstellung, obgleich sie sehr viele rechtliche Fragestellungen zum Urheberrecht und zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit des wissenschaftlichen Arbeitens aufwirft.
Was sind Ihren Augen die größten Herausforderungen, damit sich die KI-Entwicklungen positiv in der Hochschulbildung entfalten können?
Die eigentliche Herausforderung beim ‚Natural Language Generation/Processing‘ besteht darin, diesen hoch-dynamischen Veränderungsprozesse mit der gleichen Dynamik durch uns Lehrende zu begegnen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Bewusstsein für dieses neue ‚Problem‘. Wir brauchen dringend eine tabufreie Diskussion und Offenheit für diese neue Herausforderung. Die Dringlichkeit liegt in der drohenden Gefahr eines Reputationsverlustes. Diese Gefahr entsteht, wenn die Qualitätssicherung nicht mehr greift und schriftliche Arbeiten wie Semester-, Seminar- und Abschlussarbeiten quasi automatisch über KI-Tools generiert, von den Studierenden zur Beurteilung eingereicht und von den Lehrenden als erfolgreiche Prüfungsarbeiten bewertet werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Geschwindigkeit der Veränderung von Prozessen und der Grad der Digitalisierung ständig zunehmen. Unser ‚System Hochschule‘ muss mithalten können, damit wir in der Lehre nicht hinter hinken. Wir müssen eigentlich Vorreiter und Avantgarde sein und das bedeutet ein kontinuierliches Lernen und Qualifizierung der Lehrenden – auch im Themenfeld ‚Natural Language Generation/Processing‘.
Gilt auch für das Thema KI, das Akteure ‚gemeinsam mehr bewirken‘ können? Sind Kooperationen geplant, um schneller von den Möglichkeiten zu profitieren, die KI für die Hochschulbildung bietet?
Ja, diese KI-induzierten Veränderungen sind aus meiner Sicht disruptiv, weil sie das ‚System Hochschule‘ in seinen Grundfesten erschüttern. Zwar lassen sich die Probleme und Herausforderungen recht präzise beschreiben, aber leider fallen die Antworten und Lösungsstrategien nicht vom Himmel. Wir werden unser System gravierend umbauen müssen. Das kann nur mit vereinten Kräften gelingen. Daher sind KI-Initiativen in Deutschland sehr wichtig und hilfreich, damit wir wechselseitig Ideen austauschen und ‚best practices‘ entwickeln. Doch auch hier bin ich zuversichtlich: Nach meinem Impulsvortrag bei der Fachtagung ‚KI in der Hochschullehre‘ am 5. November, die von der Fernuniversität Hagen organisiert wurde, wurden anschließend im Kreise der etwa 80 Teilnehmer*innen viele Fragen und Ideen ausgetauscht.
Gibt es konkrete Ideen für Kooperationen?
Bei der Tagung kam die Forderung zur Gründung von ‚KI-ExpertLabs‘ auf, die sich dedizierten einzelnen Fragestellungen annehmen sollen. Ich habe vorgeschlagen, ein ExpertLab zum ‚Academic Writing‘ für die neue Art der Schreibkompetenzförderung unserer Lernenden zu etablieren. Gemeinsam mit dem CAU-Wissenschaftler Nicolaus Wilder geht es beim virtuellen Coburger Netzwerken mit diesem Thema und einem Workshop weiter – dort mit dem Fokus auf die gute wissenschaftliche Praxis im Zeitalter Künstlicher Intelligenz und dem Bezug zum Projekt Path2Integrity. Beim ‚Tag der Lehre‘ am 1. Dezember bei uns an der FH Kiel habe ich natürlich auch einen Beitrag zu diesem Thema eingereicht.
Wer das Leistungspotenzial von KI-Werkzeugen erleben möchte sollte sich die KI-App ‚Philosopher AI‘ ansehen. Wer Fragen eingibt, kann sich diese von der KI mit einem Klick beantworten lassen. Das fasziniert und erschreckt gleichermaßen, beschert aber mitunter auch viel Spaß!