Konzentriert blickt Steffi Richter auf ihren Computerbildschirm und klickt kryptische Kürzel in langen Listen an. Nach diversen Klicks erstellt sie mit Hilfe des Programms ‚S-Plus‘ schließlich einen Plan – einen Semesterplan. Während viele die vorlesungsfreie Zeit nutzen, um Urlaub zu machen, arbeitet die Geschäftsführerin des Fachbereichs Medien mit Hochdruck an diesen Plänen – damit zum Semesterstart alle wissen, wann, wo, welche Lehrveranstaltung stattfindet. Viel Arbeit also. Ihre gute Laune lässt sie sich jedoch nicht verderben.
Studierende des Fachbereichs haben heimlich einen roten Zettel mit einem Herzen an die Tür von Steffi Richters Büro und an die anderen Türen des Medien-Teams geklebt. Werkstudentin Lea Woldag weiß, warum: „Steffi ist immer freundlich und sie hilft über den Tellerrand hinaus.“ Selbst wenn eine Sache nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle, versuche sie immer, eine Lösung des Problems zu finden. Dabei hat Steffi Richter auch so genug zu tun: Zum Beispiel Qualitätsmanagement, Aktualisierung der Internetseiten, Studienberatung, Protokolle schreiben und eben die Semesterpläne. „Die sind schon sehr zeitaufwendig“, sagt sie. Knackpunkt sind die vielen unregelmäßigen Lehrveranstaltungen im Fachbereich Medien. Manche finden alle zwei Wochen statt, manche wöchentlich, manche geblockt am Wochenende, plus Sonderveranstaltungen. Eine komplizierte Angelegenheit. Und Steffi Richter erstellt die Semesterpläne manuell. „Es geht zwar auch nach einigen Einstellungen per Hand automatisch, das Ergebnis ist aber nicht so, wie ich es mir vorstelle.“ Für das Wintersemester muss sie insgesamt rund 240 Lehrveranstaltungen so geschickt auf die Wochen verteilen, dass nichts kollidiert. „Wenn ich die Arbeit belastend fände, wäre sie stressig für mich.“ Das wolle sie in jedem Fall vermeiden. Dennoch: „Semesterpläne mache ich nicht so gerne, wie andere Dinge.“ Sie müsse sich schon sehr konzentrieren. Bis zu drei Wochen reine Arbeitszeit steckt sie jedes Mal in die neuen Pläne. „In Echtzeit dauert es natürlich viel länger, weil ich ja zwischenzeitlich auch andere Sachen mache.“ Das Telefon klingelt, regelmäßig klopft es an der Bürotür. Studierende haben Fragen, Lehrende geben etwas ab, Kolleginnen und Kollegen wollen einfach kurz schnacken. Egal, wie sehr es gerade brennt, Steffi Richter nimmt sich die Zeit.
Um jeden Tag aufs Neue mit vollem Elan bei der Sache zu sein, zapft die 47-Jährige gleich mehrere Energiequellen an. Um ihren Hals trägt sie oft einen Energiestein in Herzform – „gegen Ermüdung und für Gelassenheit“. Auf ihrem Schreibtisch steht immer eine Schüssel geschnittenes Obst, dass sie als „Körperumfangsbeauftragte“ auch gerne an Kolleginnen und Kollegen verteilt. Und eine Tasse Kaffee pro Tag gönnt sie sich. „Aber nicht irgendeinen Kaffee, sondern türkischen. So wie wir ihn früher in der DDR getrunken haben“, betont Steffi Richter. „Der ist auch schnell gemacht: Kaffeepulver in die Tasse, heißes Wasser drauf, Milch oder Zucker dazu – fertig. Und er schmeckt besser als aus der Maschine.“ Ein kleines Ritual, dass sie aus dem „Osten“ mitgebracht hat.
Steffi Richters Lebensweg ist alles andere als geradlinig verlaufen. Geboren und aufgewachsen ist sie in der Hansestadt Rostock. Von der ersten bis vierten Klasse macht sie Turmspringen als Leistungssport. Das heißt: fünf Mal die Woche Training. „Wasser ist mein Element.“ Auf der höheren Sportschule soll es weitergehen, was aber eine Wirbelsäulenverkrümmung verhindert. Sie steigt aufs Schwimmen um, aber nicht mehr als Leistungssport. Für die Abiturzulassung fehlen ihr wenige Punkte, und so macht sie eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Umschlagprozesse und Lagerwirtschaft im Rostocker Überseehafen. Dort steht sie bei Wind und Wetter draußen und zählt unter anderem Bananen „für die Reichen und Schönen in Berlin“. Zu reife Bananen werden aussortiert und landen auf der Kaimauer. Und da bleiben sie auch liegen. Mitnehmen darf sie niemand. Morgens und abends müssen alle durch den Zoll. „Deshalb habe ich an manchen Tagen bis zu 20 Bananen gegessen – bis mir schlecht wurde. Wegwerfen wäre zu schade gewesen.“
Schnell fühlt sich Steffi Richter im Rostocker Hafen unterfordert. Sie holt ihr Abitur an der Volkshochschule nach und studiert an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) in Leipzig. Ihr Berufsziel: Trainerin für Turmspringen. Ein Unfall macht auch diesen Plan zunichte, sie wechselt das Spezialfach. Nach dem Diplom 1988 wird sie Leitungsassistentin am Sportclub Cottbus und arbeitet auch im Kraftsportbereich. Im gleichen Jahr kommt ihre erste Tochter zur Welt; zwei Jahre später folgt die zweite.
Zeitgleich kommt die Wende, die ihr Leben gehörig auf den Kopf stellt. „Das war schon ein einschneidendes Erlebnis.“ Steffi Richter verliert im Elternjahr ihre Arbeit, und sie ist alleinstehend mit zwei Kindern. Von 1992 bis 1994 macht sie eine weitere Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation. Anschließend arbeitet sie zehn Jahre lang an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, zuerst am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und später in der Pressestelle. Nebenbei macht sie noch ein Master-Fernstudium an der Technischen Fachhochschule Wildau – Studiengang: Öffentliches Dienstleistungsmanagement. Durch ihren zweiten Mann erweitert sich 1991 die Familie um einen Sohn und eine Tochter. Trotzdem schafft sie es, ihren Vollzeitjob und ihre große Familie inklusive Hund unter einen Hut zu bekommen. „Ich habe immer Vollzeit gearbeitet, aus finanziellen Gründen musste es sein. Aber Kinder sind einfach toll – eine absolute Bereicherung.“ Vor einem Jahr und sieben Monaten ist sie Oma geworden – mit 45. Die Bilder ihres Enkelsohnes kleben hinter ihr am Schrank. „Das Schöne an Enkelkindern ist, dass man sie nur noch genießen kann - und nicht mehr erziehen muss“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Heute lebt die gesamte Familie Richter in Kiel und Umgebung. „In Rostock hatte ich die Ostsee vor der Tür, hier auch.“ Wenn Steffi Richter ihre Freundin in Cottbus besucht, fragt sie sich, wie sie es 15 Jahre ohne Meer aushalten konnte. „Die Weichen für Kiel hat mein Mann gestellt.“ 2001 macht er sich selbstständig und geht nach Kiel. Steffi Richter bleibt zunächst mit den Kindern in Cottbus. Im Januar 2004 kommt sie mit Sack und Pack nach, arbeitet zuerst bei Techem und ein Jahr später fängt sie an der Fachhochschule Kiel als Sekretärin und im Prüfungsamt des Fachbereichs Medien an. Seit 2007 ist sie dort Geschäftsführerin und damit eben auch verantwortlich für die Semesterpläne. Doch sobald die Pläne fertig sind und die anderen nach der Sommerpause wieder an der FH eintrudeln, macht auch sie ein bisschen Urlaub.
Text und Foto: Jana Tresp