In Moskau lebt sie ihren Traum: Nadejda Polcanova, 26 Jahre alt und BWL-Master-Studentin an der Fachhochschule Kiel, hat sich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) für ein Stipendium im Rahmen des Programms „Russland in der Praxis“ beworben und wurde angenommen. Ein halbes Jahr arbeitet sie nun für die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) in der Abteilung Mitgliederbetreuung, Sponsoring, Veranstaltungen. Über ihr Leben und ihre Arbeit in Russland sprach sie mit Lennard Worobic aus der viel.-Redaktion.
Nadja, wie bist du dazu gekommen, dich für das DAAD-Programm zu bewerben?
Bereits zu Beginn meines Masterstudiums wollte ich unbedingt ein Auslandssemester in Russland verbringen, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern und die russische Kultur besser kennenzulernen. Ich selbst komme ursprünglich aus Moldawien und habe russische Wurzeln, lebe jedoch seit meinem achten Lebensjahr in Deutschland und war noch nie zuvor in Russland. Da es an der FH Kiel nur eine Partnerhochschule in Chelyabinsk gibt, wobei bisher noch keine Studierenden diese Partnerschaft in Anspruch genommen haben und sie daher nicht aufrechterhalten wurde, habe ich zunächst meinen Wunsch aufgegeben. Als ich jedoch durch Internet-Recherche zufällig auf das Programm „Russland in der Praxis“ gestoßen bin, war ich direkt davon überzeugt und wusste, dass ich diese Chance ergreifen muss. Das Programm bietet die Möglichkeit, in Russland ein sechsmonatiges Praktikum in einem deutschen Unternehmen zu absolvieren, wobei man während des Aufenthalts finanzielle Unterstützung vom DAAD erhält. Da ich im Masterstudium ein Pflichtpraktikum machen muss, klang diese Möglichkeit optimal. Nach Rücksprache mit meinem Praktikumsbetreuer Prof. Dr. Stegemann und trotz kleiner Zweifel habe ich also diese Chance genutzt und mich für das Programm beworben.
Moskau ist eine riesige Stadt! Wo kommst du während deines Praktikums unter?
Während meines Praktikums komme ich in einem Studentenwohnheim in Moskau unter, wobei ich mir das Zimmer mit einer anderen DAAD-Stipendiatin teile. Diese Möglichkeit haben die Stipendiaten, die ihr Praktikum in Moskau absolvieren. Diejenigen, die in anderen Städten ihr Praktikum machen, müssen sich eigenständig etwas suchen, zum Beispiel eine WG.
Das Wohnheim ist in einem wesentlich besseren Zustand, als ich vor Beginn meines Aufenthalts befürchtet habe, und es lässt sich hier wirklich gut leben. Am Abend und am Wochenende verbringe ich viel Zeit mit den anderen Stipendiaten, es ist eine sehr tolle Gemeinschaft. Zudem ist die Monatsmiete unvorstellbar gering.
Was gefällt dir bisher an deinem Praktikum?
Seit drei Wochen bin ich nun Praktikantin bei der AHK, und bisher bin ich wirklich sehr zufrieden. Vor allem das kollegiale Miteinander und das Arbeitsklima gefallen mir. Zudem habe ich bereits jetzt sehr viel gelernt, habe immer viel zu tun, und durch die Abwechslung zwischen der Arbeit am Computer und der Teilnahme an Veranstaltungen wird es nie langweilig.
Wie sieht dein klassischer Alltag in Moskau aus?
Ich kann es kaum glauben, dass schon fast ein Monat meiner Zeit in Russland vorbei ist! Dadurch dass man unter der Woche immer von 9 bis 18 Uhr arbeitet und das Tempo in Moskau gefühlt sowieso sehr hoch ist, vergeht die Zeit einfach viel zu schnell. Mein klassischer Alltag sieht ungefähr folgendermaßen aus: Gegen 8:30 Uhr fahre ich mit der Metro zur Arbeit. Arbeitsbeginn ist immer zwischen 09:00 und 09:15 Uhr. Die Mittagspause verbringe ich entweder mit meinen Kollegen oder mit den beiden anderen Stipendiaten, die ebenfalls ihr Praktikum bei der AHK absolvieren, aber in einer anderen Abteilung . Die AHK befindet sich im siebzehnten Stockwerk eines Bürokomplexes, unten gibt es eine Kantine, die wir dann immer aufsuchen. Gegen 18 Uhr ist meistens Feierabend, außer es stehen Veranstaltungen an, die bis 21 oder 22 Uhr gehen. Danach gehe ich entweder zum Sport, zum Russisch-Sprachkurs (1x die Woche) oder chille mit anderen Studierenden im Wohnheim. Obwohl mir die Arbeit bei der AHK gefällt, freue ich mich doch immer sehr auf die Wochenenden. Diese verbringe ich immer mit den anderen Stipendiaten, wobei wir versuchen so viel wie möglich von der Stadt zu sehen und die russische Kultur näher kennenzulernen.
Gefallen dir die Stadt Moskau und die Menschen dort oder vermisst du Kiel schon?
Ich bin tatsächlich positiv überrascht von der Stadt und den Menschen in Moskau, weil ich eher mit einem negativen Gefühl angereist bin und große Zweifel hatte. Das Stadtbild unterscheidet sich sehr stark von dem in Deutschland - alles erscheint so viel größer: die Straßen, die Gebäude und generell die Stadt an sich. Dadurch, dass man hier zeitlich sehr eingespannt ist, kenne ich bisher jedoch nur einen Bruchteil der Stadt und habe noch viel zu entdecken. Auch die Menschen hier sind wesentlich freundlicher und offener als ich gedacht hatte. Die kulturellen Unterschiede zu Deutschland sind manchmal schon ziemlich stark, aber auch durchaus spannend.
Tatsächlich genieße ich die Zeit in Moskau sehr und hatte bisher noch überhaupt kein Heimweh. Ich denke, dass es unter anderem auch daran liegt, dass unter den Stipendiaten eine so gute Gemeinschaft herrscht und wir viele neue und spannende Erfahrungen teilen.
Welche Unterschiede erlebst du zwischen dem Leben in Russland und dem in Deutschland?
Ich habe nicht das Gefühl, dass sich das Leben in Russland so stark von dem in Deutschland unterscheidet. Dabei muss man jedoch bedenken, dass ich bisher nur in Moskau gewesen bin und die Stadt sehr modern und international ist. In kleineren Städten sieht es da wahrscheinlich ganz anders aus. Grundsätzlich gibt es jedoch kleine Unterschiede zwischen Moskau und deutschen Städten: Das Tempo ist gefühlt viel höher als das, was ich aus Deutschland kenne. Die Stadt ist riesig, und es ist immer etwas los, ganz nach dem Motto „Moscow never sleeps“. Zudem musste ich mich erst an den Luxus gewöhnen, dass hier auch am Sonntag alles geöffnet hat. Kulinarische Unterschiede sind mir ebenfalls aufgefallen: Hier isst man sehr viele deftige Gerichte, oftmals ist Fleisch dabei.
In Moskau gibt es sehr breite Straßen, große und hohe Gebäude. Die Infrastruktur der Stadt ist wesentlich besser ausgebaut als in Deutschland, denn die Metros kommen alle zwei bis vier Minuten und sind meistens ziemlich voll. An öffentlichen Orten wird das Thema Überwachung in Russland allerdings wirklich ernst genommen: Zum Beispiel gibt es überall Sicherheitskontrollen, etwa am Eingang von Einkaufscentern, Museen, bei Metro-Stationen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen. Ein weiterer Aspekt ist der Umweltschutz: Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Russland keine Mülltrennung, auch der Plastikverbrauch ist sehr hoch.
Was wünscht du dir für die verbleibende Zeit deines Auslandsaufenthaltes?
Für die verbleibende Zeit meines Auslandsaufenthaltes wünsche ich mir, dass es mir hier bis zum Ende so gut gefällt wie bisher, mein Praktikum bei der AHK weiterhin so viel Spaß macht und ich noch vieles lerne. Außerdem wünsche ich mir, dass ich mehr Kontakt mit Einheimischen habe und die Sprache besser beherrsche. Ich würde mich freuen, wenn weiterhin eine so gute Gemeinschaft im Wohnheim herrscht. Ansonsten möchte ich gerne Moskau besser kennenlernen und St. Petersburg besichtigen.