„Der tägliche Arbeitsweg über das Wasser ist einzigartig“, beschreibt Eyke Bittner die Vorzüge des Umstiegs vom Auto auf das Fahrrad. Der Klimaschutzmanager für Mobilität der Stadt Kiel schwärmt: „Beim Sonnenaufgang über die Kiellinie zur Fähre radeln, auf dem Schiff den Kaffee aus dem mitgenommenen Thermosbecher genießen und entspannt ankommen.“ Zwar habe der Weg vom West- auf das Ostufer dann vielleicht ein wenig länger gedauert als mit dem Auto. Dafür ohne Stau und Parkplatzsuche. „Der entspannte Einstieg in den Tag auf dem Campus ist ein Stück Naturgenuss und Kiel-Gefühl in einem. Es ist ein Studierendenerlebnis, eine enge Beziehung zum Wasser aufzubauen“, so Bittner. Der Weg über das Wasser werde zudem umweltfreundlicher, da seit dem Frühjahr 2021 eine Elektrofähre in Betrieb sei.
Um den autofreien Weg auf den Campus attraktiver zu machen, entwickeln Fachhochschule und Kieler Stadtverwaltung in enger Zusammenarbeit den VeloCampus. Das 1,5 Millionen Euro teure Projekt ‚Rückenwind für den VeloCampus‘ wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gefördert. Grundlage ist ein Beschluss des Deutschen Bundestages im Rahmen des Programms ‚Klimaschutz durch Radverkehr‘. Noch befinden sich die Bauprojekte in der Planung. Im Herbst sollen die ersten Bauarbeiten beginnen. „Dann wird es sichtbarer“, so Bittner.
Aber schon jetzt sind erste Fortschritte zu sehen. Seit September 2020 können Mitarbeitende der Hochschule für Dienstfahrten zwei Pedelecs und zwei Lastenfahrräder (Long John und Dreirad) ausleihen, um sie als Transport- und Fortbewegungsmittel kennenzulernen. „Fahrten zur Poststelle können so emissionsfrei zurückgelegt werden“, erklärt Beate Lohre, die das Projekt VeloCampus an der FH Kiel koordiniert. Eines der E-Räder ist der Stabsstelle Strategische Kommunikation zugeordnet. „Damit kann unser Team schnell und unkompliziert verschiedenste Materialen aus unserem Bereich über den Campus transportieren – und das völlig CO2 -frei“, sagt Susanne Meise, Leiterin der Stabsstelle.
Auch Studierende können beim AStA ein elektrisches Lastenfahrrad leihen. Aufgrund der Corona-Situation werde es zwar momentan noch nicht aktiv genutzt, aber das werde sich hoffentlich bald ändern, erklärt Beate Lohre. Ob Lastenrad oder Mountainbike, ob City-Cruiser oder Rennrad, wer seine Luftpumpe zuhause gelassen hat oder kleinere Veränderungen – wie die Veränderung der Sattelhöhe – oder Reparaturen vornehmen muss, dem soll die Fahrrad-Servicestation auf dem Campus helfen.
Bereits die Erstsemester kommen mit der nachhaltigen Ausrichtung der FH in Sachen Mobilität in Berührung. Sie erhalten in ihrem Begrüßungspaket Fahrradöl. Der AStA organisiert ein Fahrradfest der Studierenden. „Dort erhalten sie Informationen zu dem Projekt VeloCampus und es fördert den Austausch untereinander“, berichtet Beate Lohre. „Das Fest trägt dazu bei, eine Fahrradkultur auf dem Campus zu etablieren“, ergänzt Bittner.
Auf der Nord-Süd-Achse des Campus zwischen Grenzstraße und Bibliothekarischem Lernzentrum soll die Tristesse parkender Autos buntem Leben weichen. Es soll ein ‚Shared Space‘ entstehen, in dem sich Radfahrer*innen in gemächlichem Tempo und Fußgänger*innen die Straße gleichberechtigt teilen. Dieser wird den unteren Abschnitt der Luisenstraße, sowie Teilbereiche der Straße Sokratesplatz, von der Zentralverwaltung bis zum neu entstehenden Lernzentrum, umfassen. Er biete vor allem auch den größeren Lastenrädern, wie beispielsweise dem Long John, viel Platz, so Beate Lohre. Neue Bänke zwischen Hecken und Büschen sollen zum Verweilen einladen. Somit könnte sich eine kleine Pause zum Plausch im Shared Space gut in den Tag integrieren lassen. Zudem sollen auf dem Campus die Abstellmöglichkeiten für Fahrräder weiter aufgestockt werden und es soll überdachte Stellplätze geben.
Wer sein Fahrrad nicht auf den Campus mitnehmen, sondern am Fähranleger einschließen möchte, dem sollen die geplanten Mobilitätsstationen die Möglichkeit dazu bieten. Sowohl am Fähranleger in Dietrichsdorf als auch in der Nähe der Reventloubrücke wird man einen überdachten und abschließbaren Stellplatz in einem Fahrradhäuschen mieten können. „Während man auf die Fähre wartet, kann das Fahrrad an den Mobilitätsstationen gewaschen, die Höhe des Sattels verstellt oder die Reifen aufgepumpt werden“, beschreibt Bittner die Möglichkeiten. „So kann Wartezeit in produktive Zeit umgewandelt werden.“
Das Projekt ‚Rückenwind für den VeloCampus‘ konzentriert sich nicht ausschließlich auf die Wege über das Wasser oder den Campus. Es gehört auch der Neubau eines Rad- und Wanderweges nach Mönkeberg dazu. „Die Verbindung in Richtung Mönkeberg wird damit attraktiver“, so Bittner. „Am Fähranleger in Mönkeberg befinden sich zudem Leihräder der Sprottenflotte. Mit diesen kann man gut von Norden aus zum Campus radeln.“ Vom Süden kommend werde der Ausbau des Fahrradweges entlang der Werftstraße für ein besseres Fahrgefühl sorgen. Die Arbeiten sollen 2023 beginnen.
Alle diese Maßnahmen sollen zu einer besseren Erreichbarkeit des Campus sowie einer Aufwertung der Fährverbindung beitragen, erklärt Bittner. Mit einem geringeren Stellplatzbedarf solle dem Parkplatzproblem auf dem Campus begegnet werden. „Mehr Flächen für Lehre als für Autos“, so Bittner. Dafür sei es für Studierende und Mitarbeitende interessant, die Fähre auf dem Westufer besser erreichen zu können, erklärt Beate Lohre. Die Anbindung an den Hauptbahnhof oder die Christian-Albrechts-Universität sei nicht optimal. „Wir hoffen sehr, dass sich auch das im Rahmen des Projektes entwickelt und verbessert.“
„Um ein sicheres Miteinander trotz beengten städtischen Raums zu erreichen, bedarf es einer neuen Aufteilung“, erklärt Dr. Martina Baum, Referentin für Umwelt, Klima und Mobilität im städtischen Dezernat für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt. „Die Diskussion um eine autofreie Kiellinie zeigt uns, welche Gräben sich auftun und wie unerbittlich untereinander diskutiert wird.“ Die Verkehrswende sei daher nicht nur ein Mobilitäts- sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema. Die Umsetzung solcher Projekte werde Veränderungen mit sich bringen, die zunächst für manche mit Verlustgefühlen einhergehen. Aber sie machen die Stadt ein bisschen schöner und attraktiver sowie das Radfahren sicherer. „Die Vision ist wichtig. Denn so kann man in das Gefühl kommen, was es bedeutet, wenn sich etwas verändert.“ Dann liege der Fokus nicht auf dem, was man verlieren könnte.
Eine Umfrage habe ergeben, dass ein Großteil der Hochschulmitglieder im Einzugsgebiet von sechs Kilometern wohne – bis zur Fähre und von der Fähre zum Campus gerechnet. „Wenn 12 Prozent der Studierenden und 15 Prozent der Mitarbeitenden vom Auto umsteigen, lassen sich pro Jahr 376 Tonnen CO2 einsparen“, erklärt Eyke Bittner.
Alle, die mit dem Fahrrad zum Campus fahren, können den Weg zur Arbeit oder dem Studium erleben. Eyke Bittner schwärmt, wenn er in Gedanken von der Fähre die Förde zu jeder Jahreszeit betrachtet. Ein Naturschauspiel biete sich beispielsweise im Winter, wenn eine leichte Eisdecke die Förde bedeckt. Stürmische Tage lassen den Weg zum kleinen Abenteuer werden. Und Sonnenaufgänge bereiten den ersten Genussmoment des Tages. Erlebnisse, die man miteinander teilen kann. „Darüber zu reden, das ist die große Kraft, die es mit sich bringt. Ein Stück Kiel-Gefühl“, beschreibt Bittner. Und ganz nebenbei tut jede*r etwas Gutes für die Umwelt. Ob es gelingt, wird eine neue Zählstation zeigen, die auf dem Weg die Zahl der Radfahrer*innen ermittelt. Bis Ende des kommenden Jahres soll das Projekt rund um den Campus abgeschlossen sein.