Was ist rechtlich bei einer Impf- bzw. Auskunftspflicht einzelner Berufsgruppen zu bedenken? Welche juristischen Unsicherheiten treten bei einer digital durchgeführten Aktionärsversammlung auf? Dürfen Mitarbeiter*innen überhaupt – in Anbetracht des grundrechtlich gewährten Schutzes der Wohnung – gegen ihren Willen ins Homeoffice geschickt werden? Im Rahmen ihres Forschungsprojektes arbeiten sich die BWL-Studierenden, die allesamt keinen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre bzw. vertiefte Rechtskenntnisse gemacht haben, auf wissenschaftlichem Niveau in die Themen ein. „Die Themenstellungen sind sehr aktuell und dynamisch, und es gibt noch keine gefestigte Rechtsauffassung. Sich mit den neuen Fragen auseinanderzusetzen und eigene Argumente einbringen zu können, qualifiziert die Studierenden in besonderer Weise“, erläutert Dozentin Andrea Diefenhardt zu Beginn der Ergebnispräsentation, bei der die rechtlichen Grundlagen und Gedanken diskutiert werden. Dabei geben zwei Studierende auch Einblicke in die Situationen anderer Länder.
Einen Eindruck, welche Fragen auftreten, gibt zum Beispiel die Präsentation zur „Impfpflicht im Arbeitsverhältnis“. Vor allem in Pflegeberufen ist die Erwägung einer Impfpflicht zum Schutz der Pflegebedürftigen naheliegend. „Darf das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit dafür ausgehebelt werden?“, lautet eine der Fragen, die die juristische Unsicherheit widerspiegeln. Zwischendurch werden von den Vortragenden über verteilte grüne Daumen nach oben und rote Daumen nach unten immer wieder Stimmungsbilder zu Fragestellungen eingeholt wie „Wer begrüßt grundsätzlich die Diskussion über eine Impfpflicht am Arbeitsplatz? Wer sieht das Recht auf körperliche Unversehrtheit ohne Impfpflicht gefährdet?“.
Corentin Le Mao aus Frankreich macht in Kiel seinen Master. Vorher hat der 30-Jährige passenderweise Jura studiert und kann die Betrachtung einer Impfpflicht im Arbeitsverhältnis um die französische Sichtweise erweitern. In der anschließenden Gesprächsrunde erklärt er die Unterschiede zu Deutschland: „In Frankreich gibt es in vielen Berufen schon Impfpflichten, was die Sache natürlich einfacher macht, da viele Rechtsunsicherheiten bereits geklärt worden sind.“ Auch die Staatsform macht einen Unterschied. „Frankreich ist ein zentralistisches Land und kann solche Dinge auf nationaler Ebene schneller und einfacher einführen“, so Le Mao.
Amir Bobojonov (28) referiert zum Thema „Impfpflicht und Auskunft im Arbeitsverhältnis“. Dazu stellt er die juristischen Schwierigkeiten einer Impfpflicht vor. „Der Staat hat auf der einen Seite eine Fürsorgepflicht, auf der anderen Seite gilt eine erzwungene Impfung als Körperverletzung“, erläutert Bobojonov. Vergleichend schaut er dabei auf Russland, wo die Lage ebenfalls schwierig erscheint: „Auf der einen Seite ist dort die Impfskepsis noch weit höher als hier. Auf der anderen Seite muss man in einigen Teilen, wie dem autonomen Gebiet der Chanten und Mansen/Jugra als Ungeimpfter aktuell erst eine Erlaubnis zum Rausgehen beantragen.“ In der anschließenden Gesprächsrunde gibt er zu bedenken: „Die öffentliche Debatte in Deutschland führt meistens an den rechtlichen Fragen vorbei. Dabei könnte man sich so sachlicher mit der Thematik auseinandersetzen.“
Eine weitere Gruppe hat sich mit online stattfindenden Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften auseinandergesetzt, die aktuelle Gesetzesgrundlage dafür läuft aus. „Die blieben auch beim Abklingen der Pandemie beliebt“, erläutern die Studierenden. Allerdings entstünden ebenfalls neue juristische Unsicherheiten – mit dem großen Risiko der Anfechtbarkeit.
Prof. Diefenhardt ist nach den Vorträgen und Diskussionen sichtlich zufrieden. „Alle haben sich sehr professionell mit ihren Themen auseinandergesetzt. Umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sie zuvor ihren Bachelor in anderen Fächern gemacht haben.“ Eine erlernte Kompetenz sei dabei besonders wichtig: „Sich in einen fremden Themenkomplex vertieft einarbeiten zu können, hilft dabei, mit Selbstvertrauen späteren beruflichen Herausforderungen zu begegnen. Wissenschaftlich arbeiten heißt auch, sich seine eigene Sichtweise zu erarbeiten und nicht zu replizieren“, betont die Dozentin.