Studentenpaar über das Leben und Studieren als Eltern
Michaela und Mario lächeln, wenn sie an ihre Tochter denken, die sie in wenigen Minuten wieder in die Arme schließen werden. Freitags ist um 15 Uhr Schluss in der Kindertagesstätte Grenzstraße. Dann sind die beiden wieder an der Reihe, die Betreuung ihrer Tochter zu übernehmen, mit ihr zu spielen, sie zu fördern, sie zu füttern, die Windel zu wechseln. Mia ist jetzt eineinhalb Jahre alt und das ganze Glück der jungen Studierenden-Familie.
Michaela Gräff wurde 2016 schwanger, als sie gerade 23 war, und das ganz bewusst. „Wir haben für uns entschieden, im Studium ein Kind zu bekommen “, sagt Michaela. Mittlerweile studiert sie im vierten Jahr an der Fachhochschule Kiel Informationstechnologie, ihr Freund Mario Oetken studiert Pädagogik und Soziologie an der Christian-Albrechts-Universität, arbeitet nebenbei in einem Unternehmen.
Anders als viele, die ein Studium beginnen, Bachelor und Master abschließen, in das Berufsleben starten und die nächsten Jahre an ihrer Karriere feilen, um erst in den Dreißigern Kinder zu bekommen, haben sich Michaela und Mario für einen anderen Weg entschieden. Sie gehören zu den sechs Prozent der Studierenden in Deutschland, die ein Kind haben.
Aus der Familie kam viel Gegenwind
„Wir wurden mit viel Unverständnis konfrontiert“, erinnert sich Michaela an den Zeitpunkt, als die beiden ihren Freunden und ihren Familien verkündeten, dass sie ein Kind bekommen wollten. „Gerade auch aus der Familie kam viel Gegenwind. Das geht doch nicht, wie wollt ihr das schaffen, ihr seid doch verrückt – das haben wir sehr oft gehört.“ Jetzt, wo Mia auf der Welt ist, freuen sich alle über das kleine Mädchen. „Und alle sind für uns da.“
Unterstützung, das ist es, was studierende Eltern am meisten benötigen. Vor der Geburt haben Michaela und Mario intensiv darüber gesprochen, wie sie die neuen Herausforderungen mit Kind meistern können. „Der finanzielle Aspekt stand definitiv im Vordergrund“, erklärt Mario. „Mir war wichtig, dass die Finanzen im Vorfeld geklärt sind. Wir haben uns beraten lassen, besonders der AStA hat uns sehr gut geholfen.“ Gemeinsam haben sie in Erfahrung gebracht, welche Hilfen studierende Eltern in Anspruch nehmen können, darunter die Geburtsbeihilfe des Studentenwerks, das Kindergeld und Elterngeld, BAföG, Mehrbedarf für Schwangere, Betreuungsprogramme. Auch Stiftungen und Stipendien bieten an, Studierende mit Kind zu unterstützen. „Wir haben davon nur das Elterngeld in Anspruch genommen“, sagt Michaela. „Das hat für uns funktioniert. Mario hat eine Arbeit, wir hatten parallel noch einen Studienkredit laufen, mit dem wir zurechtgekommen sind.“ Die beiden sind sicher, dass die finanziellen Einschränkungen später aufgewogen werden, wenn sie in festen Jobs arbeiten. „Jetzt sind wir zeitlich sehr flexibel, weil wir studieren und unsere Semesterpläne anpassen können. Später haben wir dann ein höheres Einkommen und einen höheren Lebensstandard. Man kann also schon feststellen: Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt“, erzählt Mario.
KiTa-Platz an der FH Kiel
Nicht nur die finanzielle Frage spielt für Michaela und Mario eine Rolle. Sie wohnen am Marinearsenal im Kieler Stadtteil Ellerbek, nahe an der Fachhochschule. Ihre Tochter Mia ist an der FH in der KiTa Grenzstraße untergebracht. Den Platz für Mia haben Michaela und Mario schnell bekommen. Nach einem Anruf konnten sie die Einrichtung besichtigen und sich das Konzept anhören. Die Chancen standen gut, denn als Studierendenpaar standen sie auf der Prioritätenliste sehr weit oben. „Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen, als wir den Platz hatten“, sagt Michaela. „Es war auch die einzige Einrichtung auf dem Ostufer, die uns vom Konzept her zugesagt hat. Die anderen wären auf dem Westufer gewesen. Wir wollen das Beste für unser Kind, und zwar so, dass die Betreuung mit unseren eigenen Vorstellungen von Erziehung übereinstimmt.“ Das Ziel der KiTa ist es, jedes Kind ganz individuell wahrzunehmen, in den eigenen Lernprozessen zu unterstützen und ganzheitlich zu betreuen. Die Mitarbeiterinnen sehen sich als Bildungsbegleiterinnen für die Kinder, um ihnen Zeit, Raum und Material anzubieten, damit sich jedes Kind selbst ausprobieren kann.
Ein Studium um das Kind herum planen
Das Fachbereichsgebäude von Michaela liegt direkt nebenan, auch nach Hause ist es nicht weit. „Wäre Mia auf dem Westufer in der KiTa, hätten wir da auch wohnen müssen, das hätte gerade Michaelas Studium noch mehr erschwert“, sagt Mario. „Jetzt haben wir den Weg zur KiTa viel kürzer und Michaela ist näher bei unserer Tochter, wenn sie in die Vorlesung muss.“
Bis 15 Uhr ist Mia täglich in der KiTa untergebracht, bevor Mario oder Michaela sie abholen. „Danach ist für einen von uns beiden an diesem Tag nichts Anderes mehr möglich, einer muss zu Hause sein“, erzählt Michaela, die meistens diejenige ist, die sich zuhause um Mia kümmert. „Es ist schon so, dass wir zeitlich eingeschränkt sind.“
Michaela plant ihr Semester rund um ihre Tochter. Sie belegt eine Veranstaltung dann, wenn sie vormittags stattfindet und Mia untergebracht ist. Findet eine verpflichtende Veranstaltung am Nachmittag statt, organisieren Mario und Michaela eine andere Betreuung. „Entweder ist dann Mario da oder meine Mutter oder meine Schwester, je nachdem, wer gerade zufällig einspringen kann“, sagt Michaela.
Klausuren schreiben ist kaum möglich
Das Studium des jungen Elternpaars hat sich seit der Geburt ihrer Tochter sehr verlangsamt, doch sie haben damit kein Problem. „Bei mir war das sowieso absehbar“, sagt Mario lachend, „ich wusste, dass ich länger brauchen würde. Ja, wir haben schon Zeitverlust, es dauert alles länger, das darf man nicht unterschätzen. Michaela hat im ersten Jahr auch pausieren müssen. Wer sich vornimmt, trotz Kind Klausuren zu schreiben…also, wer das schafft, Respekt, aber die meisten schaffen es nicht.“ Ein Urlaubssemester hat Michaela nicht gemacht: „Wir hatten das Glück, dass Mia genau in den Semesterferien zur Welt kam.“ Als die Kleine drei Wochen alt war, stand Michaela wieder in einem Wochenend-Seminar und besuchte eine Vorlesung, die einmal wöchentlich stattfand. In dieser Zeit blieb Mario zuhause. Auch im Semester danach konnte Michaela an einem Modul teilnehmen. „Ich muss dazu sagen, ich habe im ersten Semester nach der Geburt keine Klausuren geschrieben, das hat nicht funktioniert“, sagt Michaela ernst. „Im zweiten habe ich mit Ach und Krach eine Prüfung bestanden. Man sollte einfach nicht erwarten, dass man noch das Gleiche leisten kann wie vorher.“ Mario hatte Glück, denn er hatte seine wichtigen Prüfungen bereits abgeschlossen, ehe seine Tochter geboren wurde.
Besonders bei Müttern ist das, was Michaela erlebt hat und noch erlebt, ganz normal. Da der Fokus auf dem eigenen Kind liegt, wird oft alles andere unwichtig. Auch von Phänomenen wie Schwangerschafts- und Stilldemenz kann Michaela viel erzählen. „Als ich schwanger war und studiert habe, davon ich weiß gar nichts mehr. Ich habe alles vergessen!“ Nur mit Hilfe ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen konnte sie die Pflichtveranstaltungen durchstehen. „Ich war vom Kopf her einfach gar nicht da“, erinnert sich Michaela. „Auch als ich noch gestillt habe, stand Mia immer im Vordergrund. Wenn man sich im Studium also für ein Kind entscheidet, kann man sich darauf einstellen, dass man erstmal nicht mehr denken kann.“
Unterstützung ist das Wichtigste
Die Menschen, die in der KiTa arbeiten, der Kreis anderer studierender Eltern und ihre Familien unterstützen Michaela und Mario jetzt viel. „Egal worum es geht, Kleidung für Mia, Möbel, Babysitting … wir können uns verlassen. Wenn mal jemand aufpasst, hilft uns das sehr, besonders auch abends“, sagt Mario. „Wenn wir das nicht hätten, dann hätten wir ein Problem. Wir brauchen auch Zeit für uns.“
Bis zum dritten Lebensjahr darf Mia noch in der KiTa Grenzstraße bleiben. Wenn der Wechsel ansteht, ist sie genau drei Jahre alt. Michaela und Mario haben jetzt noch eineinhalb Jahre Zeit, um einen neuen Kindergartenplatz zu finden, ihr Studium zu beenden und eine Arbeit zu suchen. Auf der Warteliste für den Kindergarten ist Mia schon eingetragen. Wo sie dann wohnen werden, steht noch nicht fest. Mario betont, dass sie alles ruhig nacheinander angehen werden. „Wir wollen jetzt so schnell wie möglich mit dem Studium fertig werden, besonders für Michaela ist das wichtig. Wir werden schauen, wo wir den Kindergarten bekommen, dann suchen wir uns dort eine Wohnung. Ich arbeite schon nebenbei in einem Job, bei dem ich auch in Zukunft bleiben werde. Wenn Michaela arbeitet, ist es wieder eine ganz andere Sache, aber das kommt dann.“
Studium mit Kind – immer wieder
Beide sind sich trotz aller Herausforderungen sicher, dass sie sich immer wieder für ein Kind im Studium entscheiden würden. „Auf jeden Fall“, sagt Michaela lächelnd. Irgendwann möchten sie auch ein zweites Kind bekommen. „Aber erst, wenn ich auch arbeite und wir weniger von unserer Familie abhängig sind“, meint Michaela. Mario stimmt ihr zu. „Jetzt wäre es zu viel. Aber später gerne.“
Wichtig sei es, sich bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind im Studium nicht hineinreden zu lassen, findet Michaela. „Letztendlich sind wir allein dafür verantwortlich. Ich finde aber, jeder sollte sich bewusst machen, was damit zusammenhängt.“ Man habe nicht mehr so viel Zeit für Freunde, mit denen man vorher Zeit verbringen konnte. „Die Lebensbereiche verschieben sich“, stimmt Mario seiner Freundin zu. „Man darf es sich nicht zu einfach vorstellen. In dem Moment ist es ein krasser Lebenswandel. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann kann ich jedem sagen, dass ich es immer wieder so machen würde.“
Es ist kurz vor drei. Michaela und Mario holen Mia aus der Krippe ab, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages noch mit ihrer Tochter zu genießen.
Julia Königs
Weitere Informationen
Die Kindertagesstätte für Studierendenkinder Grenzstraße liegt gegenüber der Mensa der FH Kiel und hat 10 Plätze für Kinder im Krippenalter (ein bis drei Jahre). Das Konzept der KiTa, weitere Informationen und Anmeldeformulare gibt es hier. Das Studentenwerk Schleswig-Holstein bietet hier einen umfangreichen Überblick darüber, welche Unterstützungen Studierende mit Kindern erhalten können, welche Beratungsstellen es gibt und an wen man sich bei Fragen wenden kann.
FH-Kinder, die sich interessieren, wo ihre Eltern studieren, sind am 12. April 2018 herzlich zum Kinder-Campus-Tag an der FH Kiel eingeladen. Informationen und Anmeldung hier.