Dir Grafik zeigt einen Mann mit 6 Armen, die alle verschiedene Tätigkeiten ausführen.© Pixa­bay

Sin­gle- und Mul­ti­tas­king: Ein Pla­doy­er für die Kon­zen­tra­ti­on

von viel.-Re­dak­ti­on

We­ni­ger tun und pro­duk­ti­ver sein

Mehr, mehr und noch mal mehr – Stopp. Was ist denn mit der Zeit pas­siert? Wo sind sie bloß hin, diese Mi­nu­ten und Stun­den, in denen man sich Zeit neh­men konn­te, für alles, was wich­tig war? Als man noch Nach­rich­ten lesen konn­te, ohne E-Mails zu che­cken; als man einen Text schrieb, ohne gleich­zei­tig das Essen zu ko­chen; als man noch Auto fuhr, ohne zu sim­sen. Warum haben wir heute alle keine Zeit mehr? Ist sie we­ni­ger ge­wor­den?Julia Kö­nigs aus der viel.-Re­dak­ti­on über Sin­gle- und Mul­ti­tas­king und dar­über, wie wir end­lich wie­der bes­ser und wirk­lich pro­duk­ti­ver wer­den.  

Wenn ich mich mor­gens an mei­nen Schreib­tisch setze, geht es los: un­ge­le­se­ne E-Mails, un­be­ant­wor­te­te Text-Nach­rich­ten, Li­te­ra­tur für die nächs­te Vor­le­sung, eine Ab­ga­be in der kom­men­den Woche, zwei ver­pass­te An­ru­fe, ach, zum Sport muss ich auch, da kann ich meine Lern­zet­tel für die Prä­sen­ta­ti­on gleich mit­neh­men – al­lein das Den­ken an diese Flut von Auf­ga­ben und In­for­ma­tio­nen lässt es mir kalt den Rü­cken run­ter lau­fen. Denn ich weiß, wie es ist, wenn man ver­sucht, alles zur sel­ben Zeit zu er­le­di­gen und am Ende damit schei­tert. Unser un­na­tür­lich ex­zes­siv ge­wor­de­nes Ver­lan­gen da­nach, alles gleich­zei­tig zu er­le­di­gen, nennt man Mul­ti­tas­king. Der Be­griff ge­hört, wie ich finde, fast schon zum guten Ton dazu.

„Warst du heute er­folg­reich?“

„Oh ja, ich bin ein Meis­ter im Mul­ti­tas­king.“

Oder:

„Wie schaffst du das alles?“

„Mul­ti­tas­king, na­tür­lich!“

Als wäre die­ser Trend zum Alles-auf-ein­mal-er­le­di­gen die Lö­sung un­se­res grund­le­gen­den Pro­blems: Wir haben we­ni­ger Zeit für immer mehr Auf­ga­ben. Dabei ist die Ant­wort sim­pel: Nie­mand nimmt uns un­se­re Zeit weg – wir neh­men sie uns selbst.

Mul­ti­tas­king klaut Zeit

Mul­ti­tas­king ist ein mo­der­ner My­thos. Die Uni­ver­si­tät Mi­chi­gan konn­te mit einer Stu­die be­le­gen, bei der die Pro­ban­den eine Auf­ga­be er­le­di­gen und zwi­schen­durch immer wie­der un­ter­bro­chen und ab­ge­lenkt wur­den, dass die Pro­duk­ti­vi­tät durch Mul­ti­tas­king enorm nach­lässt: Eine Un­ter­bre­chung von 2,8 Se­kun­den führ­te zu dop­pelt so vie­len Feh­lern in der Ur­sprungs­auf­ga­be. Wur­den die Pro­ban­den für vier Se­kun­den ge­stört, war die Feh­ler­quo­te sogar vier­mal so hoch.

Der Grund: Das Ge­hirn muss stän­dig zwi­schen ver­schie­de­nen Tä­tig­kei­ten um­schal­ten. Das kos­tet Zeit und En­er­gie und be­deu­tet, dass jede ein­zel­ne Auf­ga­be nicht mit vol­ler Auf­merk­sam­keit er­le­digt wer­den kann. Wer täg­lich alles zur sel­ben Zeit macht, hat au­ßer­dem einen hohen Cor­ti­sol-Spie­gel, also deut­lich mehr Stress­hor­mo­ne im Kör­per. Zu viel Cor­ti­sol kann die Er­in­ne­rungs­re­gi­on in un­se­rem Ge­hirn, die Gro­ßhirn­rin­de, schä­di­gen.

Stu­den­ti­sche Multi-Tas­ker

Was be­deu­ten diese Tat­sa­chen für uns Stu­die­ren­de, die sich in der immer schnel­ler und an­spruchs­vol­ler wer­den­den Welt noch zu­recht­fin­den müs­sen?

Na­tür­lich haben wir oft meh­re­re Ab­ga­ben um die selbe Zeit herum oder gar zwei Prü­fun­gen an einem Tag. Aber ist es nicht so, dass wir uns ent­schei­den kön­nen, einen Tag nur die­sem einen Thema voll und ganz zu wid­men? Mul­ti­tas­king wird ja nach­ge­sagt, Zeit ein­zu­spa­ren. Un­term Strich ist das aber falsch: Wer Auf­ga­ben nicht auf­merk­sam er­le­digt…

  • hat Er­geb­nis­se von schlech­te­rer Qua­li­tät (und muss nach­ar­bei­ten),
  • über­sieht ei­ge­ne Ideen, weil man nicht zum Nach­den­ken kommt (und braucht wie­der mehr Zeit, um auf gute Ideen zu kom­men),
  • wirkt ge­stresst, wird viel­leicht krank (und braucht Zeit, um sich wie­der zu er­ho­len),
  • ist nicht mehr rich­tig auf­nah­me­fä­hig in wich­ti­gen Ter­mi­nen oder Vor­le­sun­gen (und muss auch hier nach­ar­bei­ten oder kommt in Er­klä­rungs­not),
  • ver­min­dert die ei­ge­ne Auf­merk­sam­keits­span­ne immer wei­ter (bis man sich gar nicht mehr auf kom­ple­xe Auf­ga­ben kon­zen­trie­ren kann) und
  • scha­det auf die Dauer der ei­ge­nen Fä­hig­keit, gute Ent­schei­dun­gen zu tref­fen (da das Ge­hirn sich vor schwe­ren Fra­gen zu­rück­zieht, sich nicht fest­le­gen kann und schnell er­mü­det).

Mul­ti­tas­king fängt schon dabei an, dass wir essen und gleich­zei­tig Net­flix schau­en oder stän­dig un­se­re Face­book-Nach­rich­ten che­cken, wäh­rend wir uns un­ter­hal­ten. Für die kurz­zei­ti­ge emo­tio­na­le Be­frie­di­gung be­kom­men wir meist nur einen doo­fen Kom­men­tar oder müs­sen nach­fra­gen, worum es denn im Ge­spräch noch ge­ra­de ging. Die Zeit, die wir mitt­ler­wei­le durch­schnitt­lich auf­merk­sam sein kön­nen, liegt bei acht Se­kun­den. Ein Gold­fisch kann sich für neun Se­kun­den lang auf eine Sache kon­zen­trie­ren. Was kön­nen wir also tun?

Sin­gle-Tas­king

Macht.​eine.​Sache.​zur.​Zeit. Ja, ganz genau: Es geht darum, nur eine Auf­ga­be zu ma­chen und dabei so wenig Un­ter­bre­chun­gen wie mög­lich zu haben. Sin­gle-Tas­king, nennt man das in der Wis­sen­schaft der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on. Wir Men­schen sind dafür ge­macht, nur eine Sache zu einer be­stimm­ten Zeit zu ma­chen. Wir funk­tio­nie­ren nicht, wenn wir E-Mails lesen, Musik hören und gleich­zei­tig mit Oma te­le­fo­nie­ren, die uns doch nur da­nach fra­gen möch­te, wann wir sie mal wie­der be­su­chen.

Sin­gle-Tas­king ist eine Übungs­sa­che, wenn man die­ses Schritt-für-Schritt-Ma­chen­nicht mehr ge­wohnt ist. Ein paar wert­vol­le Tipps von mir:

  • Handy weg­le­gen, wäh­rend ihr euch mit je­man­dem un­ter­hal­tet.
  • E-Mails nur zwei­mal täg­lich lesen und dann eine Stun­de Zeit neh­men, um alle zu be­ant­wor­ten.
  • Ge­dan­ken, die wäh­rend einer Auf­ga­be ein­fal­len, in einem No­tiz­buch mit Stift und Pa­pier für spä­ter auf­schrei­ben und sich nicht selbst ab­len­ken.
  • Tat­säch­lich be­en­den, was ihr an­ge­fan­gen habt.
  • Üben, „NEIN“ zu sagen, wenn ihr zu viel zu tun habt.

Zeit­ma­nage­ment bes­ser pla­nen ler­nen

Wir mul­ti­tas­ken, um schnel­ler zu ar­bei­ten und so mehr Geld zu ver­die­nen – aber ist Geld wirk­lich so viel er­stre­bens­wer­ter als Zeit? Wenn man ein­mal dar­über nach­denkt, wird klar, dass Zeit doch we­sent­lich schwe­rer zu be­kom­men ist als Geld. Zeit ist er­schöpf­lich – das ei­ge­ne Ein­kom­men kann man theo­re­tisch immer pla­nen, man kann fest­le­gen, wann man wie viel Geld zur Ver­fü­gung hat. Mit der Zeit geht das nicht. Jeder von uns hat nur diese Jahre, Mo­na­te, Tage.

Wie tei­len wir unser Geld ein? Meis­tens mit einem Bud­get­plan. Das­sel­be kön­nen wir auch mit un­se­rer Zeit tun. Wir kön­nen fest­le­gen, wie viel Zeit wir die­ser einen Auf­ga­be wid­men, bis wir sie ab­ge­schlos­sen haben.

Ihr seid noch un­si­cher, wie ihr wirk­lich gute Zeit­plä­ne er­stellt und ge­hört zu den chro­ni­schen Multi-Tas­kern? Die Fach­hoch­schu­le Kiel bie­tet im Zen­trum für Ler­nen und Lehr­ent­wick­lung Kurse zum Zeit- und Selbst­ma­nage­ment an.

Julia Kö­nigs

© Fach­hoch­schu­le Kiel