Die Zunahme von Starkregen-Ereignissen wirkt sich insbesondere auf Städte fatal aus: Mancherorts stehen Straßen, Unterführungen und Keller längere Zeit unter Wasser, andernorts fließt das Wasser viel zu schnell ab, als dass es gut für die Menschen in der Stadt wäre. „Durch die Versiegelung der Flächen – durch den Bau von Straßen, Häusern und Parkplätzen – ist der natürliche Wasserkreislauf in den Städten gestört“, erklärt Dr.-Ing. Sven Liebisch. Ein Lösungsansatz, ist das Konzept der Schwammstadt, weiß der Professor für Wasserbau. „Hierin sind Maßnahmen gebündelt, die Wasser möglichst lange großflächig in der Stadt halten und möglichst langsam wieder in die Umgebung entlassen“, fasst er die Idee knapp zusammen.
Das Wasser in der Stadt zu halten, ist wichtig für das Mikroklima. „Die schwarzen Straßen, die Autos im öffentlichen Raum und die vielen Gebäude speichern an heißen Tagen die Wärme und kühlen erst langsam ab“, erläutert Dr. Brigitte Wotha. „Bleibt der Regen aus und fehlen Wasser- und Grünflächen, dann steigt die Temperatur in der Stadt immer weiter“, sagt die Professorin für Raumplanung mit dem Schwerpunkt Städtebau und Regionalplanung. „So können Temperatur-Unterschiede von bis zu 10 Grad Celsius zwischen einer Stadt und umliegenden kleinen Gemeinden entstehen. Und die hohen, beziehungsweise einfach nicht mehr absinkenden Temperaturen in der Stadt stellen eine Gefahr dar für vulnerable Gruppen wie Kinder, alte Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen.“
Dem Regenwassermanagement, das Liebisch seinen Bachelor-Studierenden am Institut für Bauwesen im vierten Semester vermittelt – da sind er und Wotha sich einig – wurde von vielen Kommunen lange nicht die gebührende Bedeutung beigemessen. Aber es tut sich etwas: „Bei der Planung von Neubaugebieten ist ein Regenwassermanagement frühzeitig zu berücksichtigen“, sagt der Professor. So müssen beispielsweise Flächen für den Rückhalt und die Versickerung frühzeitig in der Flächennutzungsplanung vorgesehen werden. „Grundsätzlich soll das Handeln dem Grundsatz ‚So viel Versickerung wie möglich, so wenig Ableitung wie nötig‘ folgen“, legt Wotha dar. Die höchste Priorität hat dabei das Vermeiden von versiegelten Flächen. „Das lässt sich beispielsweise durch wasserdurchlässigen Befestigungsmaterialien realisieren. Und auch Dachbegrünungen sorgen dafür, dass anfallendes Regenwasser in der Fläche gehalten wird“, so Liebisch weiter. Wenn sich eine Ableitung des Regenwassers nicht vermeiden lässt, verhindern Regenrückhaltebecken durch eine kontrollierte Abgabe Hochwasserspitzen in den Gewässern. „Durch das vorsorgende Einbeziehen von Grüner Infrastruktur mit Bäumen und Parks und das Mitdenken von Blauer Infrastruktur mit natürlichen und künstlichen offenen Wasserflächen verbessert sich das Mikroklima in der Stadt. Gerade bei zunehmenden Hitzetagen kann hier Erleichterung durch Verdunstung und Schatten für die Bevölkerung geschaffen werden“, führt die Professorin aus.
Weitaus schwieriger gestaltet sich allerdings der klimaverbessernde Umbau im Bestand, auch weil es hier viele widerläufige Interessen und Belange gibt. „Sicher würde es zu einer Verbesserung des Mikroklimas beitragen, wenn auf einer frei werdenden Fläche in der Innenstadt ein Park angelegt würde“, nennt Liebisch ein Beispiel und führt aus: „Aber es winken auch Investoren mit viel Geld, die auf der Fläche etwas bauen möchten und die zudem versprechen, Arbeitsplätze, Wohnraum oder Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen.“ Doch es gibt viele Stellschrauben, an denen Kommunen drehen können, um das Wasser in der Stadt zu halten und das Mikroklima zu verbessern. Eine solche Schraube ist die Fassadenbegrünung. Sie verschattet die Gebäude und verhindert ihr Aufheizen, zudem speichert das Stadtgrün Wasser. Liebisch führt die Kö-Bogen II in Düsseldorf als Beispiel an.
Wann immer die Erde in der Stadt aufgegraben werden muss, bieten sich Chancen. So in Kiel, bei der Sanierung der Abwasserkanäle unter der Straße Holstenbrücke. Das 2020 fertiggestellte Holstenfleet bringt eine weitere Wasserfläche und Bäume in die Stadt, wo vorher nur Asphalt war. „Wenn statt Asphalt Pflaster mit großen Fugen verlegt wird, bekommt das Wasser bessere Möglichkeiten zu versickern“, erklärt Liebisch eine weitere Maßnahme. „Jeder Baum trägt zu einem besseren Mikroklima in der Stadt bei, und Rigolen, einfach zu verbauende unterirdische Wasserspeicher, leisten ebenfalls einen Beitrag“, nennt der Professor Schwammstadt-Maßnahmen, die beispielsweise flankierend zu einer Kanalsanierung umgesetzt werden können.
„Die Zeit zum Handeln ist jetzt“, betont Brigitte Wotha. „Aufgrund der Klimaveränderung und den Auswirkungen auf die Menschen bleibt keine Zeit, länger zu warten. Stadtverwaltung, Politik und die Menschen in der Stadt sind gefragt, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.“ Und tatsächlich treibt die Schwammstadt auch die Kieler Stadtverwaltung um. So soll der Schützenpark mit einer Förderung in Höhe von 2 Millionen Euro im Sinne der Schwammstadt umgestaltet werden. „Zu den Maßnahmen gehört ein Entschlammen des Teiches, damit dieser mehr Wasser speichern kann, eine versickerungsfreundliche Umgestaltung der Wege und eine Verlängerung der Teichanlage“, zählt Brigitte Wotha auf. Doch der Park steht im Schatten einer viel größeren Baumaßnahme, die in der Landeshauptstadt ansteht: Der Bau eines Straßenbahn-Netzes. Und mit der Tram geht die große Chance einher, die Stadt und ihre öffentlichen Räume baulich klimafreundlicher zu gestalten. „Am Institut für Bauwesen bilden wir die Fachkräfte dafür aus“, schließt Liebisch. „Und es warten große, spannende und unsere Zukunft prägende Aufgaben auf sie“, führt Wotha hinzu.