Eine Stadtansicht© LH Kiel/Mona Taube
Das Hols­ten­fleet ist eine Bau­maß­nah­me im Sinne der Schwamm­stadt, um Was­ser in der Stadt zu hal­ten.

Schwamm­stadt Kiel? Wie Bau­maß­nah­men das Mi­kro­kli­ma ver­bes­sern

von Joa­chim Kläschen

Die Zu­nah­me von Stark­re­gen-Er­eig­nis­sen wirkt sich ins­be­son­de­re auf Städ­te fatal aus: Man­cher­orts ste­hen Stra­ßen, Un­ter­füh­run­gen und Kel­ler län­ge­re Zeit unter Was­ser, an­dern­orts flie­ßt das Was­ser viel zu schnell ab, als dass es gut für die Men­schen in der Stadt wäre. „Durch die Ver­sie­ge­lung der Flä­chen – durch den Bau von Stra­ßen, Häu­sern und Park­plät­zen – ist der na­tür­li­che Was­ser­kreis­lauf in den Städ­ten ge­stört“, er­klärt Dr.-Ing. Sven Lie­bisch. Ein Lö­sungs­an­satz, ist das Kon­zept der Schwamm­stadt, weiß der Pro­fes­sor für Was­ser­bau. „Hier­in sind Maß­nah­men ge­bün­delt, die Was­ser mög­lichst lange groß­flä­chig in der Stadt hal­ten und mög­lichst lang­sam wie­der in die Um­ge­bung ent­las­sen“, fasst er die Idee knapp zu­sam­men.

Das Was­ser in der Stadt zu hal­ten, ist wich­tig für das Mi­kro­kli­ma. „Die schwar­zen Stra­ßen, die Autos im öf­fent­li­chen Raum und die vie­len Ge­bäu­de spei­chern an hei­ßen Tagen die Wärme und küh­len erst lang­sam ab“, er­läu­tert Dr. Bri­git­te Wotha. „Bleibt der Regen aus und feh­len Was­ser- und Grün­flä­chen, dann steigt die Tem­pe­ra­tur in der Stadt immer wei­ter“, sagt die Pro­fes­so­rin für Raum­pla­nung mit dem Schwer­punkt Städ­te­bau und Re­gio­nal­pla­nung. „So kön­nen Tem­pe­ra­tur-Un­ter­schie­de von bis zu 10 Grad Cel­si­us zwi­schen einer Stadt und um­lie­gen­den klei­nen Ge­mein­den ent­ste­hen. Und die hohen, be­zie­hungs­wei­se ein­fach nicht mehr ab­sin­ken­den Tem­pe­ra­tu­ren in der Stadt stel­len eine Ge­fahr dar für vul­ne­r­a­ble Grup­pen wie Kin­der, alte Men­schen und Men­schen mit chro­ni­schen Er­kran­kun­gen.“

Dem Re­gen­was­ser­ma­nage­ment, das Lie­bisch sei­nen Ba­che­lor-Stu­die­ren­den am In­sti­tut für Bau­we­sen im vier­ten Se­mes­ter ver­mit­telt – da sind er und Wotha sich einig – wurde von vie­len Kom­mu­nen lange nicht die ge­büh­ren­de Be­deu­tung bei­ge­mes­sen. Aber es tut sich etwas: „Bei der Pla­nung von Neu­bau­ge­bie­ten ist ein Re­gen­was­ser­ma­nage­ment früh­zei­tig zu be­rück­sich­ti­gen“, sagt der Pro­fes­sor. So müs­sen bei­spiels­wei­se Flä­chen für den Rück­halt und die Ver­si­cke­rung früh­zei­tig in der Flä­chen­nut­zungs­pla­nung vor­ge­se­hen wer­den. „Grund­sätz­lich soll das Han­deln dem Grund­satz ‚So viel Ver­si­cke­rung wie mög­lich, so wenig Ab­lei­tung wie nötig‘ fol­gen“, legt Wotha dar. Die höchs­te Prio­ri­tät hat dabei das Ver­mei­den von ver­sie­gel­ten Flä­chen. „Das lässt sich bei­spiels­wei­se durch was­ser­durch­läs­si­gen Be­fes­ti­gungs­ma­te­ria­li­en rea­li­sie­ren. Und auch Dach­be­grü­nun­gen sor­gen dafür, dass an­fal­len­des Re­gen­was­ser in der Flä­che ge­hal­ten wird“, so Lie­bisch wei­ter. Wenn sich eine Ab­lei­tung des Re­gen­was­sers nicht ver­mei­den lässt, ver­hin­dern Re­gen­rück­hal­te­be­cken durch eine kon­trol­lier­te Ab­ga­be Hoch­was­ser­spit­zen in den Ge­wäs­sern. „Durch das vor­sor­gen­de Ein­be­zie­hen von Grü­ner In­fra­struk­tur mit Bäu­men und Parks und das Mit­den­ken von Blau­er In­fra­struk­tur mit na­tür­li­chen und künst­li­chen of­fe­nen Was­ser­flä­chen ver­bes­sert sich das Mi­kro­kli­ma in der Stadt. Ge­ra­de bei zu­neh­men­den Hit­ze­ta­gen kann hier Er­leich­te­rung durch Ver­duns­tung und Schat­ten für die Be­völ­ke­rung ge­schaf­fen wer­den“, führt die Pro­fes­so­rin aus.

Weit­aus schwie­ri­ger ge­stal­tet sich al­ler­dings der kli­ma­ver­bes­sern­de Umbau im Be­stand, auch weil es hier viele wi­der­läu­fi­ge In­ter­es­sen und Be­lan­ge gibt. „Si­cher würde es zu einer Ver­bes­se­rung des Mi­kro­kli­mas bei­tra­gen, wenn auf einer frei wer­den­den Flä­che in der In­nen­stadt ein Park an­ge­legt würde“, nennt Lie­bisch ein Bei­spiel und führt aus: „Aber es win­ken auch In­ves­to­ren mit viel Geld, die auf der Flä­che etwas bauen möch­ten und die zudem ver­spre­chen, Ar­beits­plät­ze, Wohn­raum oder Ein­kaufs­mög­lich­kei­ten zu schaf­fen.“ Doch es gibt viele Stell­schrau­ben, an denen Kom­mu­nen dre­hen kön­nen, um das Was­ser in der Stadt zu hal­ten und das Mi­kro­kli­ma zu ver­bes­sern. Eine sol­che Schrau­be ist die Fas­sa­den­be­grü­nung. Sie ver­schat­tet die Ge­bäu­de und ver­hin­dert ihr Auf­hei­zen, zudem spei­chert das Stadt­grün Was­ser. Lie­bisch führt die Kö-Bogen II in Düs­sel­dorf als Bei­spiel an.

Wann immer die Erde in der Stadt auf­ge­gra­ben wer­den muss, bie­ten sich Chan­cen. So in Kiel, bei der Sa­nie­rung der Ab­was­ser­ka­nä­le unter der Stra­ße Hols­ten­brü­cke. Das 2020 fer­tig­ge­stell­te Hols­ten­fleet bringt eine wei­te­re Was­ser­flä­che und Bäume in die Stadt, wo vor­her nur Asphalt war. „Wenn statt Asphalt Pflas­ter mit gro­ßen Fugen ver­legt wird, be­kommt das Was­ser bes­se­re Mög­lich­kei­ten zu ver­si­ckern“, er­klärt Lie­bisch eine wei­te­re Maß­nah­me. „Jeder Baum trägt zu einem bes­se­ren Mi­kro­kli­ma in der Stadt bei, und Ri­go­len, ein­fach zu ver­bau­en­de un­ter­ir­di­sche Was­ser­spei­cher, leis­ten eben­falls einen Bei­trag“, nennt der Pro­fes­sor Schwamm­stadt-Maß­nah­men, die bei­spiels­wei­se flan­kie­rend zu einer Ka­nal­sa­nie­rung um­ge­setzt wer­den kön­nen.

„Die Zeit zum Han­deln ist jetzt“, be­tont Bri­git­te Wotha. „Auf­grund der Kli­ma­ver­än­de­rung und den Aus­wir­kun­gen auf die Men­schen bleibt keine Zeit, län­ger zu war­ten. Stadt­ver­wal­tung, Po­li­tik und die Men­schen in der Stadt sind ge­fragt, ge­mein­sam an Lö­sun­gen zu ar­bei­ten.“ Und tat­säch­lich treibt die Schwamm­stadt auch die Kie­ler Stadt­ver­wal­tung um. So soll der Schüt­zen­park mit einer För­de­rung in Höhe von 2 Mil­lio­nen Euro im Sinne der Schwamm­stadt um­ge­stal­tet wer­den. „Zu den Maß­nah­men ge­hört ein Ent­schlam­men des Tei­ches, damit die­ser mehr Was­ser spei­chern kann, eine ver­si­cke­rungs­freund­li­che Um­ge­stal­tung der Wege und eine Ver­län­ge­rung der Teich­an­la­ge“, zählt Bri­git­te Wotha auf. Doch der Park steht im Schat­ten einer viel grö­ße­ren Bau­maß­nah­me, die in der Lan­des­haupt­stadt an­steht: Der Bau eines Stra­ßen­bahn-Net­zes. Und mit der Tram geht die große Chan­ce ein­her, die Stadt und ihre öf­fent­li­chen Räume bau­lich kli­ma­freund­li­cher zu ge­stal­ten. „Am In­sti­tut für Bau­we­sen bil­den wir die Fach­kräf­te dafür aus“, schlie­ßt Lie­bisch. „Und es war­ten große, span­nen­de und un­se­re Zu­kunft prä­gen­de Auf­ga­ben auf sie“, führt Wotha hinzu.

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