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Schon wieder eine Reform des Urheberrechts – muss das sein?

von Prof. Dr. Jan B. Schlüter

Nachdem erst letztes Jahr der deutsche Gesetzgeber das nationale Urheberrecht zur Förderung der „Wissensgesellschaft“ reformiert hat, kommen nun die gesetzgebenden Organe der EU mit weiteren Verbesserungsvorschlägen. Muss das sein?

Die Antwort hängt davon ab, welche Interessen es dieses Mal zu fördern gilt – und wie man zu ihnen steht.

Das Urheberrecht ist als immaterielles Recht ein von der Gesellschaft – durch den Gesetzgeber – verliehener künstlicher Schutz zur Förderung künstlerischer, wissenschaftlicher und medienwirtschaftlicher Interessen. Ohne den Schutzanzug des Urheberrechts wären solche Interessen gerade im digitalen Fortschritt, so wertlos, dass es nur Idealisten bliebe, sich mich solchen Dingen zu beschäftigen. Es gehört zum Wesen des Urheberrechts, dass dieser Schutz sich mit den technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Gesellschaft mitentwickeln muss. Es gibt aber auch gesellschaftliche Interessen, die sich gegenüber den normierten Schutzinteressen der Urheber weiterentwickeln. Unsere Gewöhnung und der Vorteil der Nutzung digitaler Medien sowie die zunehmende Vernetzung der Individuen über diese Medien ist eine solche Entwicklung, die (immer wieder) eine neue Feinjustierung bei der Abwägung der Urheberinteressen gegenüber den Nutzerinteressen erfordert.

Bei der letzten Reform des Urheberrechts waren die neu zu bewertenden Nutzerinteressen, die Formen der Nutzung von Werken in der wissenschaftlichen Lehre, die beispielsweise gegenüber der Nutzung im Schulunterricht benachteiligt waren. Bei der EU-Richtlinie zur (Vereinheitlichung der) Reformierung nationaler Urheberrechte geht es um die Berücksichtigung der Urheberinteressen bei der Nutzung ihrer Werke in sozialen Netzwerken, die zwar bislang schon durch eindeutige Regeln geschützt waren, faktisch aber mangels Kontrolle keine Bedeutung mehr hatten.

Dagegen kann doch eigentlich niemand etwas einwenden – soweit er oder sie nicht grundsätzlich die Vergesellschaftlichung des geistigen Eigentums für die bessere Lösung hält.

Das Problem besteht allerdings darin: Die eigentlichen Verletzer des Urheberrechts sind die User, die z.B. durch die Verbindung von fremden (und eigenen) Werken und deren Veröffentlichung in sozialen Netzwerken durch z.B. Video-Mash-Ups häufig (mal auch völlig unbedarft) zum Rechtsbrecher werden. Der (wirtschaftliche) Vorteil aus den User-Inhalten aber liegt bei Plattformen wie Youtube & Co.. Eine Bestrafung der User erscheint daher in vielen Fällen (aber durchaus nicht in allen) „ungerecht“ oder unsachgemäß.

Hier versucht die EU-Reform des Urheberrechts, eine Lösung zu finden. Sie nimmt die sozialen Netzwerke in Verantwortung. Nur ! Diese Netzwerke sind in erster Linie ökonomisch handelnde Unternehmen und keine Medien, die entsprechend ihrer Verantwortung für die Gesellschaft handeln. Entsprechend werden sie auch ihre Verantwortung eher im Sinne ihrer Eigentümer und nicht im Sinne der Gesellschaft wahrnehmen.

Der Unmut der Reaktionen auf die Urheberrechtsreform trifft also eigentlich gar nicht den Gesetzgeber, der durchaus eine sachgemäße Erwägung verfolgt, sondern die Reaktion der Unternehmen auf die neuen Rahmenbedingungen. Und ökonomisch sprechen sehr viele Gründe dafür, dass die Reaktionen der (großen) sozialen Netzwerken bewirken werden, dass die Vielfalt der Informationen und Meinungen in den Netzwerken verloren geht. Nur die größten Anbieter könnten sich Kontrollsysteme leisten, die hinreichend genau vorgehen, dass wie bisher alle Inhalte zugänglich bleiben – reduziert um diejenigen, die Urheberrechte verletzen. Andere Anbieter könnten dadurch vom Markt gedrängt werden. Ohnehin schon starke Monopolisierungstendenzen würden verstärkt.

Dies versuchen bestimmte Ausschlusskriterien der EU-Richtlinie (Umsatzkennzahlen, Userzahlen usw.) zu verhindern. Nicht verhindern kann eine solche Regelung aber, die ökonomische Maxime nach der Lösung mit den geringsten Kosten, was bedeutet: im Zweifel löschen. Da die User diesbezüglich keine (kaum eine) Möglichkeit zur Qualitätsbeurteilung haben – sie können ja nicht beurteilen, was sie nicht wahrnehmen – wären die Reaktionen der Nachfrage hierauf ökonomisch gesehen eher bedeutungslos. Der Verlust von Information und Meinung ist aber natürlich nicht im Interesse der Gesellschaft.

Hat der EU-Gesetzgeber also die Interessen der Gesellschaft gegenüber den Urheberinteressen vernachlässigt? Nein!

Die Interessen der Gesellschaft hat dieser Vorschlag zur Urheberrechtsreform zwar vernachlässigt, dies aber gegenüber den ökonomischen Interessen der sozialen Netzwerke. Ebenso verliert dieser Gesetzesvorschlag – wie viele anderen – die Verantwortung der Netzwerke als Informationsquelle und Motor einer pluralistischen Gesellschaft aus den Augen. Deshalb ist der erstaunliche Widerstand in der Gesellschaft eigentlich nicht überraschend. Erstaunlich ist nur, dass dieser Widerstand doch eher selten ist. Vor zwei Jahren beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz zur Ausgestaltung der Verantwortung der Netzwerke gegenüber Ehrverletzungen und Meinungsäußerungsdelikten (und vieles mehr) gab es demgegenüber nur einen Aufstand in beschränkten (Fach-)Kreisen. Das dahinterstehende ökonomische und gesellschafts-politische Problem war jedoch dasselbe.

Und was ist jetzt die Lösung?

Es gibt viele gute Lösungsmöglichkeiten. Die EU hat (bisher) beschlossen, es den Unternehmen zu überlassen mit welcher „Managementmethode“ sie ihre Verantwortung wahrnehmen (Art. 13). Die EU geht sogar so weit, dass im gegenwärtigen Vorschlag ausdrücklich auf „automatische“ Kontrollsysteme zurückgegriffen werden darf – nicht muss! Damit überlässt sie es dem Markt, der Reaktion von Angebot und Nachfrage, ob dadurch ein Verlust von Informations- und Meinungsvielfalt eintritt. In Monopolmärkten, in denen die Nachfrage keine Möglichkeit zur Kontrolle der Qualität von Vielfalt hat, ist dies zumindest ethisch „selten“ eine gute Lösung.

Das eigentliche Problem besteht in der Art und Weise der Kontrolle. Sie muss die urheberrechtlich zulässigen Inhalte durchlassen und die anderen ausfiltern. Algorithmen können das heute – zum Glück – noch nicht. Unser Formen des Ausdrucks und des Verstehens von Meinungen und Informationen unter Menschen sind eben doch so vielfältig, dass – noch – kein Automatismus diese Form der Menschlichkeit versteht. Und beim Urheberrecht darf man nie vergessen, dass es um „geistiges“ Eigentum für die „Geister“ der Gesellschaft geht.

Also liegt die Lösung darin, eine individuelle, menschliche Kontrolle der Inhalte vorzunehmen. Übrigens: Youtube lässt Inhalte schon heute durch Menschen in Milliarden von Einzelfällen kontrollieren (nachdem diese z.T. durch Algorithmen „vorsortiert“ wurden). Es gibt ja schließlich nicht nur die EU, die bestimmte Inhalte auf bestimmten globalen Plattformen kontrollieren (lassen) will. Andere Rechtsordnungen sind da durchaus weniger „diplomatisch“. So gesehen geht es doch nur um eine Anpassung des Geschäftsmodells von Youtube & Co.: Inhalte so publizieren, dass sie mit den vorgegebenen Rechtsnormen im Einklang stehen und die damit verbundenen Kosten ins Verhältnis zu setzen mit den wirtschaftlichen Wert der Datenanalyse ihrer Nutzer. Angesichts der Unternehmensergebnisse erscheint mir die richtige Lösung einfach: entweder Youtube kann die Strafen aus millionenfachen Rechtsverletzungen ihrer Nutzer bezahlen oder ein entsprechendes Management, das die Inhalte kontrolliert, um rechtswidrige Publikationen zu verhindern. Das machen andere Medien auch. Und wenn beides nicht funktioniert, handelt es sich um ein rechtswidriges Geschäftsmodell. Das ist Drogenhandel ja auch – und für dessen ökonomische Interessen hat sich bislang auch noch kein Gesetzgeber (in der EU) eingesetzt.

Anmerkung:

Auf den weiteren Aspekt, der ebenfalls im Zusammenhang mit der EU-Reform des Urheberrechts (berechtigt) diskutiert wird (Art. 11), soll hier nicht näher eingegangen werden. Dass europaweit nunmehr auch die Publikationsleistung von Verlegern einen urheberrechtsgleichen Schutz erlangt kann man richtig oder falsch finden. In Deutschland hat das dementsprechende Leistungsschutzrecht der Presseverlage nur „viel Lärm um Nichts“ hervorgerufen. Die EU-Reform zieht diese deutsche Rechtslage nur nach. Ist man dafür, dass die ökonomischen Interessen der Presseverlage gegenüber Suchmaschinen und sozialen Netzwerken zusätzlichen Schutz verlangen, dann ist diese Regelung sicherlich gut. Der ökonomische Sinn jedoch ist (auch europaweit) zumindest zweifelhaft. In Ländern in denen eine solche Regelung bereits bestand und in denen Verlage entsprechend vor allem gegenüber dem Markführer in Europa (Google) vorgingen, verschwanden die Angebote der Verlage (mit entsprechenden Hinweisen auf deren Inhalte) einfach aus den Suchergebnissen. Meines Wissens nach wurde bislang für die Online-Nutzung der Publikationsleistung eines Verlages durch Suchmaschinen noch nie etwas bezahlt.

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