Ein Mann in blau-gestreiftem Hemd sitzt auf einer Treppe und lächelt freundlich in die Kamera.© H. Ohm

Pro­gram­mie­ren gegen die Angst

von viel.-Re­dak­ti­on

Malte Bo­e­de­ker ent­wi­ckel­te im Rah­men sei­nes Mas­ter­stu­di­ums Mul­ti­me­dia Pro­duc­tion (MMP) mit dem Schwer­punkt Me­di­en­kon­zep­ti­on für das IN­TER­REG-Pro­jekt Ap­plied Health den Pro­to­typ für eine App, die Stu­die­ren­den dabei hel­fen kann, Auf­ge­regt­heit und sogar Angst vor Re­fe­ra­ten und Vor­trä­gen in den Griff zu be­kom­men. Wie das funk­tio­niert, hat der 28-Jäh­ri­ge Joa­chim Kläschen ver­ra­ten.

Woher kam die Idee für eine App, um Stu­die­ren­den mit Prü­fungs­angst zu hel­fen? Sind Sie per­sön­lich be­trof­fen?

Das fra­gen alle als ers­tes (lacht). Na­tür­lich gibt es auch für mich Schö­ne­res, als vor einem vol­len Saal zu spre­chen. Aber in jedem Se­mi­nar, in dem Re­fe­ra­te und Prä­sen­ta­tio­nen dazu ge­hör­ten, habe ich von vie­len Kom­mi­li­to­nin­nen und Kom­mi­li­to­nen ge­hört „Ich hasse es!“. Selbst die­je­ni­gen, die in den Vor­le­sun­gen aktiv Fra­gen stell­ten und sich be­tei­lig­ten, hat­ten Angst vorne zu ste­hen und einen Vor­trag zu hal­ten. Sogar in Rhe­to­rik-Se­mi­na­ren, in denen klar war, dass jede und jeder ir­gend­wann vor den an­de­ren spre­chen muss­te. Es gibt sogar Stu­die­ren­de, die ge­zielt keine Se­mi­na­re be­su­chen, in denen sie vor an­de­ren spre­chen müs­sen.

Wel­che Hil­fe­stel­lun­gen bie­tet die Frei­spre­cher-App Be­trof­fe­nen?

Wenn eine Prü­fung oder ein Re­fe­rat an­steht, kön­nen sie den Ter­min in die App ein­ge­ben. An­schlie­ßend mel­det sie sich jeden Tag mit In­for­ma­tio­nen und Tipps. An­fangs sind es vor allem Übun­gen, die hel­fen sich zu ent­span­nen und zu er­ken­nen, dass Re­de­si­tua­tio­nen gar nicht so schlimm sind. Nä­hert sich der Prü­fungs­ter­min, bie­tet die App ver­schie­de­ne Maß­nah­men an, die kurz vor und wäh­rend der Re­de­si­tua­ti­on hel­fen kön­nen. Zu­sätz­lich gibt es Übun­gen, in denen die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer die Mög­lich­keit haben, be­stimm­te As­pek­te von Re­de­si­tua­tio­nen in si­che­rer Um­ge­bung zu trai­nie­ren. Es geht darum, die Angst­spi­ra­le zu durch­bre­chen und die Si­tua­ti­on in Ge­dan­ken vorab zu durch­le­ben, um die Angst davor zu ver­lie­ren.

Was muss­ten Sie bei der Kon­zep­ti­on der App be­ach­ten?

Der Aus­tausch mit den Psy­cho­lo­gin­nen und Psy­cho­lo­gen vom be­tei­lig­ten ZIP – der Kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie am UKSH – war sehr wich­tig, um mir dar­über klar zu wer­den, was für eine App ent­ste­hen soll­te. Über einen Zeit­raum von zwei Mo­na­ten habe ich mich vier Mal mit ihnen ge­trof­fen. Am An­fang war das ziem­lich viel theo­re­ti­scher Input. Schlie­ß­lich ging es vor allem darum, einen Trai­nings­plan zu ent­wi­ckeln, der sich in einer App ab­bil­den, aber auch für eine The­ra­pie nut­zen lässt.

 

Angst ist ein kom­ple­xes Thema, daher sind wir ge­mein­sam über­ein­ge­kom­men, uns auf eine An­wen­dung zu be­schrän­ken, die sich auf Re­de­angst im Stu­di­um fo­kus­siert. Wei­ter war der Hin­weis wich­tig, die Ent­span­nungs­übun­gen in der Phase vor der Prü­fung vom Kör­per weg auf die Si­tua­ti­on zu len­ken: Am An­fang ist es hilf­reich, den ei­ge­nen Atem und Kör­per be­wusst wahr­zu­neh­men, aber wäh­rend des Vor­trags dann auf jedes Si­gnal des Kör­pers zu ach­ten, hilft na­tür­lich nie­man­dem wei­ter – im Ge­gen­teil.

Woher stam­men die in­halt­li­chen Ideen für die App?

Grö­ß­ten­teils kam der Input von den Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten. Viele An­re­gun­gen habe ich auch aus der Fach­li­te­ra­tur ent­nom­men und für die App auf­be­rei­tet. Es war aber wich­tig ab­zu­klä­ren, wel­che Übun­gen und Hin­wei­se sich in der Pra­xis auch um­set­zen las­sen und wel­che wirk­lich hilf­reich sein kön­nen.

Konn­ten Sie ei­ni­ge Ideen nicht um­set­zen?

Oh, da gab es vie­les, aber bis­her han­delt es sich ja nur um einen Pro­to­typ – mehr war in der kur­zen Zeit nicht zu schaf­fen. Ani­ma­tio­nen oder Vi­de­os, um die Übun­gen zu il­lus­trie­ren, wären eine schö­ne Er­gän­zung. Bei ver­schie­de­nen Übun­gen hätte ich zum Bei­spiel gerne die Ka­me­ra und das Mi­kro­fon des Smart­pho­nes ein­ge­bun­den. Ge­gen­wär­tig ist der Pro­to­typ als Web-App um­ge­setzt, also nicht auf ein Gerät ma­ß­ge­schnei­dert. Wenn man die App nativ für An­dro­id- oder Apple-Ge­rä­te pro­gram­miert, hat man mehr Zu­griff auf die Ge­rä­te­hard­ware und könn­te bei­spiels­wei­se Push-Mel­dun­gen sen­den, damit sie täg­lich auf sich auf­merk­sam macht.

Wel­cher As­pekt Ihrer Ar­beit an der Frei­spre­cher-App hat Sie am stärks­ten in­ter­es­siert?

Vor allem die Be­dien­bar­keit und die Ge­stal­tung der Be­dien­ober­flä­che, das Look-and-feel, waren für mich wich­tig. Eine App für den täg­li­chen Ge­brauch muss man ein­fach gerne be­nut­zen wol­len, daher muss sie sich gut an­füh­len. Grund­sätz­lich be­trifft das nicht nur die Gra­fik, son­dern auch die Struk­tur.

Ist der Pro­to­typ be­reits ge­tes­tet wor­den?

Lei­der noch nicht, ein ech­ter Beta-Test wäre der nächs­te Schritt. Dass die Übun­gen funk­tio­nie­ren, kann ich je­doch aus Ei­gen­ver­su­chen be­stä­ti­gen. Ich habe ge­merkt, dass ich vor Re­de­si­tua­tio­nen über­haupt nicht mehr an­ge­spannt bin, weil ich viele der Aus­lö­ser für Auf­ge­regt­heit durch die In­hal­te der App ken­nen­ge­lernt habe.

Die App ist im Kon­text des IN­TER­REG-Pro­jekts Ap­plied Health ent­stan­den, das zei­gen soll­te, wie An­wen­dun­gen für Mo­bil­ge­rä­te bei der Ge­ne­sung und Nach­sor­ge hel­fen kön­nen. Wie haben Sie von dem Pro­jekt er­fah­ren und was hat Sie daran be­son­ders in­ter­es­siert?

Wäh­rend des MMP-Stu­di­ums sind Pro­jek­te mit Un­ter­neh­men ein fes­ter Be­stand­teil. In die­sem Rah­men habe ich be­reits im Pro­jekt Health Games mit­ge­ar­bei­tet, das Vi­deo­spie­le und Ge­sund­heits­vor­sor­ge ver­band und so­zu­sa­gen ein Vor­rei­ter von Ap­plied Health war. Weil mich Ga­me­de­sign sehr in­ter­es­siert, woll­te ich gerne wei­ter dabei sein. Neben mei­ner Ar­beit an der Frei­spre­cher-App habe ich bei der Nach­sor­ge-App am De­sign mit­ge­wirkt.

Bei Ap­plied Health haben deut­sche und dä­ni­sche Hoch­schu­len und Kli­ni­ken mit­ein­an­der ko­ope­riert. Wie haben Sie den Aus­tausch mit den dä­ni­schen Pro­jekt­part­nern er­lebt und was hat Sie am meis­ten be­ein­druckt?

Wir haben uns zwei Mal mit den dä­ni­schen Stu­die­ren­den ge­trof­fen; ein­mal in Kiel und ein­mal in Dä­ne­mark. Vor allem beim Aus­tausch über un­se­re Kon­zep­te er­schien mir die dä­ni­sche Ar­beits­grup­pe deut­lich ent­spann­ter. Sie hat mehr aus­pro­biert und ist das Pro­jekt of­fe­ner an­ge­gan­gen. Im di­rek­ten Ver­gleich waren wir viel struk­tu­rier­ter und haben zu­nächst einen Plan auf­ge­stellt und ihn dann ver­folgt.

Ar­bei­ten Sie in­zwi­schen an an­de­ren Soft­ware-Pro­jek­ten?

Ja, klar! Ge­mein­sam mit einem Kom­mi­li­to­nen habe ich eine 3-D-Um­ge­bung für die Vir­tu­al-Rea­li­ty-Bril­le Ocu­lus Rift ent­wi­ckelt. Es soll­te ein Hor­ror­spiel wer­den, bei dem uns be­son­ders die Im­mer­si­on, also das Ein­tau­chen in die vir­tu­el­le Welt, in­ter­es­siert hat. Al­ler­dings waren wir etwas zu op­ti­mis­tisch; das Ganze war lei­der zu kom­plex, um es zu zweit neben dem Stu­di­um zu schaf­fen. Ak­tu­ell ar­bei­te ich an einem Spiel für An­dro­id-Smart­pho­nes. Nichts Spek­ta­ku­lä­res, aber ich woll­te gerne alle As­pek­te der Spie­le­ent­wick­lung ken­nen­ler­nen – von der Idee über die Pro­gram­mie­rung bis hin zur Ver­mark­tung.

Sie schei­nen sehr me­di­en­af­fin zu sein, ver­mut­lich lag daher ein Stu­di­um in die­sem Be­reich für Sie nahe?

MB: Ja, wobei ich zu­erst an der FH in mei­ner Hei­mat Sach­sen-An­halt ein Se­mes­ter Was­ser­wirt­schaft stu­diert habe. Aber dann habe ich schnell ge­merkt, dass mich die Welt der Me­di­en doch mehr reizt. Ich in­ter­es­sie­re mich schon lange sehr für Filme – vor allem für die Er­zeu­gung von Emo­tio­nen und At­mo­sphä­re darin. Aber ich habe auch Spaß am Er­stel­len von 3-D-Ani­ma­tio­nen, Bild­be­ar­bei­tung und Vi­deo­spie­len. Bei mei­nen Re­cher­chen stieß ich im In­ter­net auf das An­ge­bot der FH Kiel. Der Stu­di­en­gang Mul­ti­me­dia Pro­duc­tion deck­te viele mei­ner In­ter­es­sen ab und ich ver­spre­che mir davon eine so­li­de Grund­la­ge für einen Me­di­en­be­ruf.

Wis­sen Sie schon, wie es nach Ihrem Ex­amen wei­ter­ge­hen soll?

In einem Jahr möch­te ich den Mas­ter ab­schlie­ßen. An­schlie­ßend würde ich gerne Vi­deo­spie­le ent­wi­ckeln. Aber am liebs­ten für eine klei­ne Firma, in der ich Ein­fluss auf die Spie­le neh­men kann: Ich möch­te kein klei­nes Zahn­rad in einer gro­ßen Firma sein, son­dern lie­ber mit­ent­schei­den, wie sich das Vi­su­el­le und die At­mo­sphä­re in einem Spiel ent­fal­ten.

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