Blick auf ein Tablet© A. Wim­ber
Die App soll im Früh­jahr 2023 er­hält­lich sein.

Pro­blem­los zum Arzt: Hilfe für Men­schen mit Al­pha­be­ti­sie­rungs­be­darf

von Ann-Chris­tin Wim­ber

Das vom Bund ge­för­der­te Pro­jekt Di­Ge­Ko-Net will Men­schen mit Schwie­rig­kei­ten beim Lesen und Ver­ste­hen von Ab­läu­fen und Do­ku­men­ten im Ge­sund­heits­be­reich hel­fen. Dafür ent­wi­ckeln die Mit­ar­bei­ten­den eine App.

Alex* geht nicht gerne zum Arzt. Er muss dort immer Zet­tel aus­fül­len und Fra­gen be­ant­wor­ten. Doch Alex fällt das Lesen und Schrei­ben schwer. Schon immer. Bei of­fi­zi­el­len Schrei­ben ist er auf Un­ter­stüt­zung an­ge­wie­sen und braucht je­man­den, der ihm er­klärt, was dort steht. Wann er je­doch seine letz­te Vor­sor­ge­un­ter­su­chung ab­sol­viert hat, weiß Alex nicht.

In Deutsch­land gibt es 6,2 Mil­lio­nen Men­schen, denen es geht wie Alex. Sie kön­nen nicht aus­rei­chend gut lesen und schrei­ben. Diese Zahl ist eine Hoch­rech­nung der so­ge­nann­ten LEO-Stu­die. Das zeigt, dass das Thema Al­pha­be­ti­sie­rungs­be­darf und ge­rin­ge Li­te­ra­li­tät schein­bar noch immer nicht in der Mitte der Ge­sell­schaft an­ge­kom­men ist. Dem Pro­blem der Ge­sund­heits­kom­pe­tenz von Men­schen mit Lese- und Schreib­schwie­rig­kei­ten nimmt sich das Pro­jekt Di­Ge­Ko-Net der Fach­hoch­schu­le Kiel an. Es ist am In­sti­tut für In­ter­dis­zi­pli­nä­re Gen­der­for­schung und Di­ver­si­ty an­ge­sie­delt. Es hat das Ziel, durch die Ent­wick­lung einer App Men­schen mit Lese- und Schreib­schwie­rig­kei­ten exis­ten­zi­el­le Sach­ver­hal­te im Ge­sund­heits­we­sen ver­ständ­lich zu ma­chen.

„Ins­be­son­de­re der Ge­sund­heits­be­reich ist von vie­ler­lei Bar­rie­ren ge­prägt – vom Bei­pack­zet­tel bis zu di­gi­ta­len Ge­sund­heits­in­for­ma­tio­nen. Un­se­re App soll kom­ple­xe The­men ver­ein­facht dar­stel­len, denn viele Ab­läu­fe im Ge­sund­heits­we­sen sind nur schwer zu ver­ste­hen. Vor allem, wenn sie auf Schrift­spra­che ba­sie­ren“, er­klärt Merle He­y­rock, die ge­mein­sam mit Hen­ri­ke Knud­sen das Pro­jekt ko­or­di­niert. Das liege aber nicht daran, dass es den an Lese- und Schreib­kom­pe­tenz man­geln­den Men­schen an Wis­sen oder an­der­wei­ti­ger Kom­pe­tenz feh­len würde. „Die meis­ten der Be­trof­fe­nen ste­hen er­folg­reich im Be­rufs­le­ben“, er­läu­tert He­y­rock. „Sie haben Stra­te­gi­en ent­wi­ckelt, re­la­tiv pro­blem­los durch den All­tag zu kom­men.“

Bei der Ent­wick­lung der App nutzt das Pro­jekt nicht nur die All­tags­kom­pe­ten­zen der Stu­di­en­teil­neh­mer und -teil­neh­me­rin­nen, son­dern auch der FH Kiel voll aus, wie He­y­rock schmun­zelnd be­rich­tet. Sie hat sich an den Fach­be­reich Me­di­en ge­wandt, um sich beim An­wen­dungs-De­sign der App hel­fen zu las­sen. Die Stu­den­ten Den­nis Przy­tar­ski und Colin Ka­va­nagh sind bei der Ent­wick­lung der App fe­der­füh­rend. Die ge­wünsch­ten Funk­tio­nen und Be­dien­ele­men­te ohne Le­se­tex­te hat die Pro­jekt­grup­pe zuvor bei Be­trof­fe­nen ab­ge­fragt. „Wir wol­len bei der Ent­wick­lung der Ge­sund­heits-App so eng wie mög­lich mit der Ziel­grup­pe zu­sam­men­ar­bei­ten, um ihr auch echte Hil­fe­stel­lung lie­fern zu kön­nen“, be­tont He­y­rock. Dazu ar­bei­tet Di­Ge­Ko-Net mit dem Grund­bil­dungs­zen­trum der Förde-vhs sowie wei­te­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen in Schles­wig-Hol­stein zu­sam­men. In der Volks­hoch­schu­le etwa kön­nen Er­wach­se­ne Lesen und Schrei­ben sowie Rech­nen und den Um­gang mit Com­pu­ter und Smart­pho­ne ler­nen.

Das mit rund 500.000 Euro vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) ge­för­der­te drei­jäh­ri­ge Pro­jekt läuft noch rund zwölf Mo­na­te, bis Ende Sep­tem­ber 2023. Die erste Phase der Ent­wick­lung und ein Test des Pro­to­typs lie­gen hin­ter der Pro­jekt­grup­pe. Dabei soll­ten die rund 30 Test­per­so­nen einen Ana­mne­se­bo­gen mit­hil­fe der Vor­le­se­funk­ti­on und vor­ge­fer­tig­ten Text­bau­stei­nen aus­fül­len, der da­nach als PDF aus­ge­ge­ben wurde. „Wir haben aber eine kom­plet­te In­for­ma­ti­ons­land­schaft ent­wi­ckelt, die sich unter an­de­rem damit be­fasst, wie haus­ärzt­li­che Pra­xen ar­bei­ten“, er­klärt He­y­rock. „Damit wol­len wir eine Grund­si­cher­heit bei den Nut­ze­rin­nen und Nut­zern auf­bau­en, die sie viel­leicht er­mu­tigt, auch an­de­re Ärzte auf­zu­su­chen.“

Die nächs­te Phase des Pro­jekts steht be­reits in den Start­lö­chern. Im Früh­jahr kom­men­den Jah­res soll die App dann in den gän­gi­gen App-Stores er­hält­lich sein.

Das Pro­jekt sucht ak­tu­ell eine stu­den­ti­sche Hilfs­kraft. Wei­te­re De­tails auf der In­ter­net­sei­te.

 

* Name von der Re­dak­ti­on ge­än­dert.

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