Das vom Bund geförderte Projekt DiGeKo-Net will Menschen mit Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen von Abläufen und Dokumenten im Gesundheitsbereich helfen. Dafür entwickeln die Mitarbeitenden eine App.
Alex* geht nicht gerne zum Arzt. Er muss dort immer Zettel ausfüllen und Fragen beantworten. Doch Alex fällt das Lesen und Schreiben schwer. Schon immer. Bei offiziellen Schreiben ist er auf Unterstützung angewiesen und braucht jemanden, der ihm erklärt, was dort steht. Wann er jedoch seine letzte Vorsorgeuntersuchung absolviert hat, weiß Alex nicht.
In Deutschland gibt es 6,2 Millionen Menschen, denen es geht wie Alex. Sie können nicht ausreichend gut lesen und schreiben. Diese Zahl ist eine Hochrechnung der sogenannten LEO-Studie. Das zeigt, dass das Thema Alphabetisierungsbedarf und geringe Literalität scheinbar noch immer nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dem Problem der Gesundheitskompetenz von Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten nimmt sich das Projekt DiGeKo-Net der Fachhochschule Kiel an. Es ist am Institut für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity angesiedelt. Es hat das Ziel, durch die Entwicklung einer App Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten existenzielle Sachverhalte im Gesundheitswesen verständlich zu machen.
„Insbesondere der Gesundheitsbereich ist von vielerlei Barrieren geprägt – vom Beipackzettel bis zu digitalen Gesundheitsinformationen. Unsere App soll komplexe Themen vereinfacht darstellen, denn viele Abläufe im Gesundheitswesen sind nur schwer zu verstehen. Vor allem, wenn sie auf Schriftsprache basieren“, erklärt Merle Heyrock, die gemeinsam mit Henrike Knudsen das Projekt koordiniert. Das liege aber nicht daran, dass es den an Lese- und Schreibkompetenz mangelnden Menschen an Wissen oder anderweitiger Kompetenz fehlen würde. „Die meisten der Betroffenen stehen erfolgreich im Berufsleben“, erläutert Heyrock. „Sie haben Strategien entwickelt, relativ problemlos durch den Alltag zu kommen.“
Bei der Entwicklung der App nutzt das Projekt nicht nur die Alltagskompetenzen der Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen, sondern auch der FH Kiel voll aus, wie Heyrock schmunzelnd berichtet. Sie hat sich an den Fachbereich Medien gewandt, um sich beim Anwendungs-Design der App helfen zu lassen. Die Studenten Dennis Przytarski und Colin Kavanagh sind bei der Entwicklung der App federführend. Die gewünschten Funktionen und Bedienelemente ohne Lesetexte hat die Projektgruppe zuvor bei Betroffenen abgefragt. „Wir wollen bei der Entwicklung der Gesundheits-App so eng wie möglich mit der Zielgruppe zusammenarbeiten, um ihr auch echte Hilfestellung liefern zu können“, betont Heyrock. Dazu arbeitet DiGeKo-Net mit dem Grundbildungszentrum der Förde-vhs sowie weiteren Organisationen in Schleswig-Holstein zusammen. In der Volkshochschule etwa können Erwachsene Lesen und Schreiben sowie Rechnen und den Umgang mit Computer und Smartphone lernen.
Das mit rund 500.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte dreijährige Projekt läuft noch rund zwölf Monate, bis Ende September 2023. Die erste Phase der Entwicklung und ein Test des Prototyps liegen hinter der Projektgruppe. Dabei sollten die rund 30 Testpersonen einen Anamnesebogen mithilfe der Vorlesefunktion und vorgefertigten Textbausteinen ausfüllen, der danach als PDF ausgegeben wurde. „Wir haben aber eine komplette Informationslandschaft entwickelt, die sich unter anderem damit befasst, wie hausärztliche Praxen arbeiten“, erklärt Heyrock. „Damit wollen wir eine Grundsicherheit bei den Nutzerinnen und Nutzern aufbauen, die sie vielleicht ermutigt, auch andere Ärzte aufzusuchen.“
Die nächste Phase des Projekts steht bereits in den Startlöchern. Im Frühjahr kommenden Jahres soll die App dann in den gängigen App-Stores erhältlich sein.
Das Projekt sucht aktuell eine studentische Hilfskraft. Weitere Details auf der Internetseite.
* Name von der Redaktion geändert.