Lisann Jensen© Pri­vat

Prak­ti­kum in Ugan­da: Stu­den­tin der FH Kiel hilft Stra­ßen­kin­dern

von Lena Kuhn

Li­sann, Du en­ga­gierst dich bei Saved On Street in Ugan­da. Was macht die Or­gan­sa­ti­on im Kern?

Saved On Street setzt sich ein für die Stra­ßen­kin­der in Kam­pa­la, der Haupt­stadt Ugan­das. Eben­falls ar­bei­ten wir mit Kin­dern, die ge­fähr­det sind, auf die Stra­ße zu gehen. Das heißt, dass wir zu einem Teil in Kam­pa­la sit­zen, wo die Stra­ßen­kin­der sind. Zum an­de­ren Teil sind wir in einem Dorf nörd­lich von Kam­pa­la, Lu­we­ro. Da gibt es Kin­der, die von ihren El­tern zum Bet­teln auf die Stra­ße nach Kam­pa­la ge­schickt wer­den, wenn die Fa­mi­lie nicht die Mög­lich­keit hat, die Schul­ge­büh­ren für die Kin­der zu zah­len. Dann kom­men die meis­ten Kin­der nicht wie­der: Lu­we­ro ist mit dem Bus­ta­xi an­dert­halb Stun­den von der Haupt­stadt ent­fernt. Kam­pa­la hat al­lein 1,5 Mil­lio­nen ge­mel­de­te Ein­woh­ner, wahr­schein­lich deut­lich mehr, wie soll sich ein Kind von acht Jah­ren da nach Hause durch­schla­gen? Viele lau­fen auch weg, weil sie zu­hau­se miss­han­delt wer­den.

Unser Slo­gan ist „Saved On Street – Ca­ring for Street Child­ren”, und ich ar­bei­te seit drei Jah­ren mit die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on zu­sam­men.

Was sind ak­tu­el­le Pro­jek­te von Saved On Street?

Ge­ra­de sind wir dabei, in dem Dorf Lu­we­ro ein Re­ha­bi­lia­ti­on Cen­ter zu bauen. Wir er­rich­ten ge­ra­de zwei Häu­ser dafür und hof­fen, eines noch in die­sem Jahr fer­tig zu krie­gen. Wir haben näm­lich vor, die Kin­der von der Stra­ße zu holen, damit sie weg von den Dro­gen und Ge­fah­ren dort sind. Sie sol­len die Mög­lich­keit haben, si­cher und mit genug Essen auf­zu­wach­sen. Wir möch­ten ihnen bie­ten, etwas All­täg­li­ches zu ler­nen, womit sie spä­ter Geld ver­die­nen kön­nen. Sprich Schnei­dern, Holz­ar­bei­ten, oder Com­pu­ter­ar­bei­ten. Wenn sie das Cen­ter ver­las­sen, sol­len sie die Mög­lich­keit haben, Geld zu ver­die­nen und auf ei­ge­nen Bei­nen zu ste­hen.

Wie fi­nan­ziert sich eure Ar­beit?

Für etwa 30 Kin­der haben wir er­folg­reich Spon­sor*innen in Deutsch­land ge­fun­den, die alle drei Mo­na­te die Schul­ge­büh­ren für diese Kin­der zah­len. Ich re­ge­le dafür den E-Mail-Trans­fer. Den ver­su­che ich mög­lichst trans­pa­rent zu ge­stal­ten. Ich in­for­mie­re über un­se­re Ar­beit hier und schi­cke re­gel­mä­ßig E-Mails mit Fotos. Die Spon­sor*innen haben die Mög­lich­keit, den Kin­dern Ge­schen­ke mit­zu­ge­ben, die ich dann über­rei­che, wie Fotos oder Brie­fe oder viel­leicht ein klei­nes Ku­schel­tier.

Wie hast Du den Ver­ein ent­deckt?

Eine Freun­din von mir hat 2015 ein Aus­lands­jahr in Ugan­da ge­macht. Sie hat in einer Grund­schu­le ge­ar­bei­tet und zum Ende ihres Auf­ent­hal­tes hier den Grün­der von Saved On Street ken­nen­ge­lernt. Ich hatte zu der Zeit ge­ra­de meine Aus­bil­dung zur Er­zie­he­rin an­ge­fan­gen. Als sie wie­der nach Ugan­da fuhr, frag­te sie mich, ob ich nicht mit­kom­men wol­len würde. Sie woll­te mir die Or­ga­ni­sa­ti­on zei­gen, damit wir viel­leicht ge­mein­sam das Spon­sor*in­nen­pro­gramm or­ga­ni­sie­ren könn­ten. Dann konn­te ich 2017 im Rah­men mei­ner Aus­bil­dung ein drei­wö­chi­ges Prak­ti­kum hier ma­chen. Ein Jahr spä­ter war ich noch mal da.

Und dies­mal machst Du dort ein Prak­ti­kum – im Zuge dei­nes Stu­di­ums?

Ja, das Prak­ti­kum ist im Rah­men mei­nes Stu­di­ums. Ich stu­die­re So­zia­le Ar­beit im zwei­ten Se­mes­ter. In den IDW habe ich über Frau Chris­ti­ne Bou­din vom In­ter­na­tio­nal Of­fice er­fah­ren, dass man durch ERAS­MUS auch Prak­ti­ka im Aus­land ma­chen kann. Und auch, dass man sich für Sti­pen­di­en dafür be­wer­ben kann. Das habe ich ge­macht. Und jetzt mache ich statt eines vier­wö­chi­gen Prak­ti­kums in Deutsch­land ein sechs­wö­chi­ges in Ugan­da. Ich habe das Sti­pen­di­um be­kom­men, das ist rich­tig gut. Ich muss den So­zi­al­ar­bei­ter, der mich vor Ort be­glei­tet, selbst be­zah­len. Das ist ziem­lich teuer. Aber für ein Prak­ti­kum brau­che ich eine An­lei­tung. Bil­dung ist hier eben nicht um­sonst, auch für mich nicht. Des­we­gen bin ich auch sehr froh über das Sti­pen­di­um.

Was ist Deine Auf­ga­be wäh­rend des Prak­ti­kums vor Ort?

Ge­ra­de haben wir eine sehr in­ten­si­ve Phase: Wir be­su­chen alle 40 Kin­der zu­hau­se in ihren Fa­mi­li­en und gu­cken uns die Si­tua­ti­on dort an. Das ist sehr zeit­in­ten­siv, aber auch sehr wich­tig, kom­men doch ganz viele Dinge zum Vor­schein. Würde ich nicht das von einem So­zi­al­ar­bei­ter be­treu­te Prak­ti­kum ma­chen, wäre dafür keine Zeit.

Ich mache Be­sor­gun­gen von Din­gen, die die Kin­der brau­chen, Arzt­be­su­che, küm­me­re mich in der Öf­fent­lich­keits­ar­beit um die In­sta­gram-Seite. Ich schrei­be für jedes Kind ein Pro­fil, führe dafür mit den Kin­dern In­ter­views und mache Fotos. Das kos­tet un­heim­lich viel Zeit und läuft sonst par­al­lel zum Spon­sor*in­nen­pro­gramm in Deutsch­land. Ich schrei­be stän­dig E-Mails an die Spon­sor*innen, um sie auf dem Lau­fen­den zu hal­ten und Fra­gen zu be­ant­wor­ten.

Ge­ra­de pla­nen wir au­ßer­dem eine Party, bei der wir die Ge­schen­ke der Spon­sor*innen ver­tei­len. Es soll auch Snacks für die Kin­der geben und wir wol­len mit ihnen deut­sche Spie­le wie das Be­we­gungs­spiel „Herr Fi­scher, Herr Fi­scher, wie tief ist das Was­ser?“ spie­len. Das ken­nen die Kin­der hier nicht. Dann wol­len wir ge­mein­sa­me Brie­fe an die Spon­sor*innen schrei­ben.

Wie ist das Leben der Kin­der, die Du be­suchst?

Das Dorf ist sehr groß, zu­min­dest von der Flä­che her. Die Kin­der woh­nen alle sehr ver­teilt. Al­lein das Dorf hat sechs Schu­len, weil es hier üb­lich ist, dass man zwi­schen fünf und zehn Ge­schwis­tern hat. Da es sehr viele Kin­der gibt, muss es auch sehr viel Schu­len geben. Man kann nicht sagen, dass es eine ty­pi­sche ugan­di­sche Fa­mi­lie gäbe, da gibt es viele ver­schie­de­ne Mus­ter. Manch­mal sind die Väter weg­ge­lau­fen, manch­mal ist es aber auch an­ders herum, dass die Müt­ter ab­hau­en. Viele Kin­der wach­sen auch bei ihren Gro­ß­el­tern auf, wäh­rend die El­tern ar­bei­ten. Es gibt auch ein In­ter­nat für die Kin­der, deren El­tern so weit auf dem Land woh­nen, dass die Kin­der lange lau­fen müss­ten, um zur Schu­le zu kom­men. Wenn die Kin­der die Mög­lich­keit haben, zur Schu­le zu gehen, dann kom­men sie meis­tens mit drei Jah­ren in die Baby Class. Das kann man sich vor­stel­len wie Kin­der­gar­ten, aber sie ler­nen auch schon die ers­ten For­men und Far­ben. Dann geht es wei­ter in die Midd­le Class, in der auch äl­te­re Kin­der sind. Das ist wie eine Fa­mi­li­en­grup­pe. Im An­schluss geht es in die Top Class, das ist eine Art Vor­schu­le. Schlie­ß­lich kommt die Pri­ma­ry School, Grund­schu­le so­zu­sa­gen. Die hat sie­ben Klas­sen, P1 bis P7. Da­nach kön­nen sie, wenn die Mög­lich­keit be­steht, auf eine Se­con­da­ry School gehen, die hat auch noch mal sie­ben Klas­sen. Im An­schluss kann der Be­such des Col­le­ges fol­gen. In der Schu­le wird lei­der noch viel ge­schla­gen. Das ist eine Er­zie­hungs­maß­nah­me. Die Kin­der haben meis­tens kurze Haare, auch die Mäd­chen. Das ist zum einen eine Form von Re­spekt ge­gen­über den Er­wach­se­nen; zum an­de­ren auch eine ein­fa­che Hy­gie­ne-Maß­nah­me. Die Kin­der müs­sen Schul­uni­for­men tra­gen, damit alle gleich sind und nicht ge­mobbt wird. Nur: Die Kin­der, die sich schon die Schul­ge­büh­ren nicht leis­ten kön­nen, kön­nen sich de­fi­ni­tiv auch keine Uni­form leis­ten.

Manch­mal denke ich mir, krass, das würde in Deutsch­land halt nie­mals funk­tio­nie­ren. Man­che El­tern ver­su­chen, auch wenn sie keine Schul­ge­büh­ren zah­len kön­nen, die Kin­der trotz­dem zur Schu­le zu schi­cken. Aber nach ei­ni­ger Zeit be­kom­men die Kin­der dann Haus­ver­bot in der Schu­le. Ich habe  vor­ges­tern mit einem sol­chen Kind ge­spro­chen. Er sitzt seit drei Jah­ren zu­hau­se und war­tet dar­auf, wie­der in die Schu­le gehen zu dür­fen.

Also ist Dein Ein­satz, wenn Du nach Deutsch­land zu­rück­kommst, ei­gent­lich gar nicht vor­bei?

Nein. Ich fange jetzt schon an, trau­rig zu wer­den, weil ich mich schon wie­der ver­ab­schie­den muss. Aber ich werde von Zu­hau­se aus de­fi­ni­tiv wei­ter­ar­bei­ten. Das wird wei­ter­ge­hen. Wir haben in mei­ner Prak­ti­kums­zeit hier ja mehr Kin­der in das Pro­gramm auf­ge­nom­men. Für die muss ich noch mehr Pro­fi­le schrei­ben und noch mehr Spon­sor*innen fin­den.

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