Seit dem 4. Januar 2021 absolviert Merle Aldag, Studierende im Masterstudiengang Agrarmanagement, ein freiwilliges Praktikum bei einem Start-up im dänischen Sønderborg. Für ihr Auslandspraktikum nimmt sie die Erasmusförderung in Anspruch. Über ihre Erfahrungen spricht sie im Interview mit Marie Ohm.
Frau Aldag, warum haben Sie sich für ein Praktikum im Ausland entschieden?
Für mich sind geförderte Auslandsaufenthalte ein großer Pluspunkt des Studiums. Als Studierende sollte man die Möglichkeit, im Ausland Sachen auszuprobieren, unbedingt wahrnehmen, insbesondere weil es Förderprogramme wie Erasmus gibt.
Und warum gerade in Dänemark?
Mein Freund ist Däne, und ich wollte endlich Dänisch lernen. Ich hatte ursprünglich vor, nach Kopenhagen zu gehen, aber in Sønderborg habe ich leichter einen Platz gefunden, und die Lebenshaltungskosten sind niedriger. In Sønderborg herrscht Kleinstadt-Atmosphäre, und man kommt einfacher zurecht.
Worum geht es in Ihrem Praktikum?
Das Start-up Farmer's Window arbeitet mit Augmented Reality. Es installiert Kameras bei landwirtschaftlichen Betrieben, die dann einen Live-Stream zeigen, z.B. von Hühnern. Wenn man die App öffnet und sein Smartphone auf die Eierverpackung hält, wird das Video aufgerufen. Damit wird mehr Transparenz in der landwirtschaftlichen Produktion geschaffen, und die Verbraucher lernen, wie Lebensmittel produziert werden. Es ist wirklich spannend, in einem Start-up zu arbeiten. Ich bekomme alle Schritte der Unternehmensgründung mit – wir haben gerade das Patent beantragt. Außerdem habe ich viel Kontakt zu Kunden und Kooperationspartnern. Das ist toll, denn so kann ich mein Dänisch verbessern.
Wie haben Sie den Platz gefunden?
Ich hatte mich erst in Kopenhagen bei Startup- Acceleratoren beworben, bin dann aber auf die Grenzregion aufmerksam geworden und habe den Start-up-Inkubator in Sønderborg kontaktiert. Ich wurde an ein Start-up weitergeleitet, das mit Landwirtschaft zu tun hat. Also habe ich mich bei Farmer's Window beworben und wurde genommen.
Wie haben Sie eine Unterkunft gefunden?
Ich habe mich auf die Warteliste eines Studentenwohnheims setzen lassen. Nach zwei Monaten bekam ich die Zusage für ein Einzimmer-Apartment für umgerechnet 300 Euro im Monat.
Was hat Ihnen die Eingewöhnung erleichtert?
In den ersten zwei Wochen habe ich in einer WG gewohnt, weil meine Wohnung noch nicht frei war. Durch die Mitbewohner habe ich gleich Anschluss gefunden, und der Kontakt besteht noch. Außerdem habe ich nette Kolleg*innen und andere Start-ups im "Iværksætter-Service", wo mein Arbeitsplatz ist, kennengelernt. Mein Chef betreut mich gut. Er hat auch meine Erasmus-Formulare unterschrieben.
Wie wirkt sich die Pandemie auf das Praktikum aus?
Ich darf zwar im Büro im Start-up-Inkubator sein, jedoch wird auf Abstand geachtet. Externe haben keinen Zutritt, und Meetings mit dänischen Hochschulen, Förderprogrammen und Programmierern finden online statt. Aber wir fahren noch zu den Höfen, wo wir die Kameras aufstellen. Ich bin nicht enttäuscht von den Auswirkungen der Pandemie auf mein Praktikum. Es gibt nur weniger soziale Aktivitäten.
Wie kommen Sie finanziell über die Runden?
Das Praktikum ist unbezahlt, aber dank Erasmus lässt es sich gut leben. Ich habe mich gerade zusätzlich für das dänische Wohngeld beworben. Glücklicherweise ist das Leben in Sønderborg günstiger als z.B. Kopenhagen. Für mich geht die Kosten-Nutzen-Rechnung auf – zuhause müsste ich auch Miete bezahlen, könnte aber nicht Dänisch lernen und diese Erfahrungen sammeln.
Können Sie Ihren Arbeitsalltag beschreiben?
Ich fange um 9 Uhr an, und nach einer Teambesprechung haben wir hauptsächlich Meetings. Ich höre vorerst viel zu, da alles auf Dänisch ist. Im Moment beschäftige ich mich mit einer PR-Strategie für Farmer's Window. Ein paar Aufgaben im Büro fallen auch immer an. Wir fahren oft zu den Kunden, den landwirtschaftlichen Betrieben, wo es auch praktische Aufgaben für mich gibt. In der Regel ist um 16 oder 17 Uhr Feierabend.
Gibt es Unterschiede zu Deutschland?
Die Arbeitskultur ist schon etwas anders. Man merkt, dass die Work-Life-Balance in Dänemark wichtig ist. Der Umgang ist lockerer und die Hierarchie flacher. Man duzt sich direkt mit den Kunden, wodurch man auf Augenhöhe in das Gespräch reingeht. Das ist mir besonders bei Professores aufgefallen, mit denen wir Meetings hatten. Aber am Fachbereich Agrarwirtschaft an der FH ist es ja auch entspannt.
Wie haben Sie sich bisher durch den Auslandsaufenthalt weiterentwickelt?
Ich habe den Schritt von der Studentin zur Arbeitnehmerin gemacht. Ich musste mich neu strukturieren, muss jetzt Aufgaben priorisieren und meine Zeit und Energie einteilen. Ich konnte mir bereits Hilfreiches von meinem Chef abgucken: Erwartungsmanagement und Transparenz gegenüber den Kunden und Partnern, „weniger ist mehr“, keine leeren Versprechungen und gute Vorbereitung auf Kundengespräche. Mein Dänisch wird auch immer besser, und fachlich lerne ich Neues dazu wie die Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Landwirtschaft.
Welche Tipps können Sie Kommiliton*innen geben, die ein Praktikum in Dänemark absolvieren möchten?
Im ersten Monat muss man sich in Dänemark um viele administrative Sachen kümmern. Die dänische Personennummer beantragen, ein Bank-Konto öffnen etc. Natürlich sollte man beachten, dass man anfangs dänische Kronen bei sich hat oder eine Bankkarte, bei der keine Auslandsgebühren anfallen. Den Zeitaufwand für die Erasmus-Bewerbung sollte man auch nicht unterschätzen. Die Bewerbung im Portal ist aber klar und eindeutig. Aus dem International Office habe ich super Unterstützung von Frau Hahn erhalten.
Welche drei Ratschläge würden Sie anderen Studierenden geben?
1. Haltet euch von anderen Deutschen fern! (lacht)
2. Man kann immer nachfragen! Fragen kostet nichts, also habt keine Scheu.
3. Ein Auslandsaufenthalt bringt euch immer weiter. Nutzt euren Studierendenstatus. Es gibt so viele Möglichkeiten und Förderungen für Studierende!