Wir treten irgendwie immer auf ihr herum, schätzen allenfalls das, was sie hervorbringt – und wissen sie jedenfalls nicht wirklich zu würdigen. Die Rede ist von Erde. Nicht im umfassenden Sinn vom Globus, sondern schlicht von jenem bräunlich-krümeligen Konglomerat, dem vom Radieschen bis zur Jahrtausendeiche alles, was Wurzeln hat, seine Existenz verdankt. In diesem Sinn ist auch das oar Humus- und Erdenwerk Hasselfelde gleichermaßen unscheinbar wie wichtig. Und der wohl am wenigsten bekannte Nachbar der FH Kiel.
Zumindest wer an der FH studiert und nicht gerade im Fachbereich Agrarwirtschaft eingeschrieben ist, dürfte kaum etwas zu tun haben mit dieser Anlage, die gleichwohl vielen ein Begriff ist, die es mit dem Gärtnern haben. Fachleute kommen gar zuweilen aus dem Schwärmen kaum heraus angesichts der kleinen Wunderwerke, die das oar-Werk immer wieder hervorbringt. Exotische Palmen im Botanischen Garten der Uni Kiel, edle Äpfel in Südtirol und vielerlei andere Gewächse der nobleren Art verdanken ihre Pracht ganz wesentlich den akribisch ausgetüftelten Erdmischungen aus Hasselfelde.
Was zugegebenermaßen ein wenig übertrieben ist. Genaugenommen steuert das Werk auf dem Ostufer nur einen Teil dazu bei, weil in derart kreativen Gefilden die Musik im Stammwerk in Dehnhöft spielt. In diesem sehr kleinen und sehr ländlichen Teil der Gemeinde Altenholz bei Kiel wurde vor fast 30 Jahren die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (NGD) aktiv und stieg mit dem Segen und ordentlich Geld der schleswig-holsteinischen Landesregierung in ein Modellprojekt zur Verwertung organischer Abfälle ein.
Nach heutigem Empfinden mag es kaum vorstellbar sein, aber damals steckte das den Deutschen scheinbar in die Wiege gelegte System der Abfalltrennung tatsächlich noch ein Stück in den Kinderschuhen. Was besonders für den Bioabfall gilt. Salatreste, Kaffeesatz, Gammelobst und Co. landeten tatsächlich zumeist im Hausmüll, erst allmählich begannen Gedanken über alternative Möglichkeiten der Verwertung Kontur anzunehmen.
Pionierhaft unterwegs war die NGD. Gemäß ihrer kirchlich-karitativen Verwurzelung hält diese diakonische Einrichtung ihre Fittiche unter anderem über die Schleswiger Werkstätten, in denen Menschen tätig sind, die es wegen ihrer Behinderungen oder kognitiver Beeinträchtigungen auf dem allein von der freien Wirtschaft geprägten Arbeitsmarkt eher schwer haben. Heiß begehrt sind besonders Beschäftigungsmöglichkeiten, die Sinn und Entwicklungsmöglichkeiten bieten. „Das Ziel ist ja, die Leute nach Möglichkeit irgendwann im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen“, erläutert Bernd Clausen, als Betriebsleiter der oar in Dehnhöft auch für die Geschicke des diakonischen Ablegers in Hasselfelde zuständig.
Dort gehört Carsten Jurgeleit zum wahrlich überschaubaren Team, das seit dem Jahr 1995 im Auftrag der Stadt tätig ist, um Grünschnitt und andere Gartenabfälle in Produkte zu verwandeln, die neues Leben sprießen lassen. 27.000 Tonnen umfasst die jährliche Kapazität in Dehnhöft, das auch das gesamte Gebiet des Landkreises Rendsburg-Eckernförde abdeckt. Deutlich kleiner ausgerichtet ist mit 6.500 Tonnen die Anlage in Hasselfelde. Dennoch ist der Beitrag des Ostufers nicht geringzuschätzen, meint Benjamin Zenker, Agrarwissenschaftler und im Humus- und Erdenwerk unter anderem zuständig fürs Qualitätsmanagement. Privatleute und ebenso die Bediensteten von Friedhöfen oder städtischen Grünflächen liefern ihre Grünabfälle in Hasselfelde ab und decken sich genau dort immer wieder neu mit Erde und Kompost ein. Der größte Teil des Komposts bleibt deshalb an Ort und Stelle, etwa 2.000 Tonnen gingen im vergangenen Jahr nach Dehnhöft und legten mit etwas Glück eine steile Karriere als Bestandteil von Spezialmischungen für edle Äpfel oder exotische Palmen hin.
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, weiß Carsten Jurgeleit, der mit seinem Kollegen Frank Berger die komplette Belegschaft des Kompostwerks in Hasselfelde bildet. Jurgeleit nimmt die Kundschaft in Empfang, regelt das Formale und Finanzielle, Berger ist draußen aktiv. Das Grünflächenamt der Stadt Kiel, Betriebe aus dem Garten- und Landschaftsbau, Hausmeisterfirmen und auch Privatleute, die Grünschnitt aus ihren Haus- oder Kleingärten bringen, nutzen die Dienste dieser Anlage, die sich auf etwa einem Hektar Fläche ausbreitet. Bezahlt wird je nach Menge und Volumen, denn auch wenn der Grünabfall auf der Anlage scheinbar einfach nur herumliegt, braucht es viel Aufwand bis zur wertvollen Erde. „Die Mischung macht’s“ ist dabei ein Satz, der wie so oft im Leben gerade auch fürs Kompostieren gilt. Holz- und Grünschnitt werden zunächst gemischt und mit einem Schredder zerkleinert, damit die Mikroorganismen ihre Arbeit verrichten können. Schon nach zwei oder drei Tagen erreicht ein Komposthaufen auf diese Weise eine Temperatur von etwa 70 Grad, immer wieder wird dann aber die Masse mit Maschinen aufgelockert und gefräst. „Es braucht einfach viel Sauerstoff und manchmal vielleicht auch Wasser, damit Kompost entstehen kann“, erläutert Carsten Jurgeleit, der nach einem bewegten Berufsleben im Herbst 2005 eine Umschulung zum „Werker in der Abfallwirtschaft aufnahm“ und seither rundum zufrieden ist. Weil er viel Kontakt mit Menschen hat, weil er selbstständig arbeiten kann – und auch weil er sieht, dass seine Arbeit sinnvoll ist.16 bis 20 Wochen dauert es, bis die Biomasse wieder auf 25 Grad heruntergekühlt ist und weiterverarbeitet werden kann. Je nach späterer Verwendung wird das Material dann unterschiedlich fein gesiebt, sodass daraus letztlich eine mehrere hundert Produkte umfassende Palette an Substraten oder Fertigerden hergestellt werden kann.
Die Wege des Komposts aus Hasselfelde nehmen dabei zweierlei Richtungen. Etwa 2.000 Tonnen landeten im vergangenen Jahr in Altenholz und wurden dort zu spezielleren Produkten veredelt, ungefähr dieselbe Menge wurde gleich wieder in Hasselfelde abgegeben.
So oder so betreibt die NGD auf diesem Gebiet Kreislaufwirtschaft in Reinkultur. Und das weitaus störungsfreier als vor knapp 30 Jahren, als es losging mit den verwerterischen Bemühungen um den Bioabfall. Nicht nur zu Kompost sollte er nach den anfänglichen Vorstellungen werden, sondern darüber hinaus zunächst gepresst und dann vergoren zu Biogas. Eine Strategie, die sich zwar sehr gut anhörte, aber schwer zu realisieren war. Vom Grünschnitt bis zur Bananenschale alles auf einen Haufen zu werfen und am Ende etwas Vernünftiges herauszubekommen, das entpuppte sich immer mehr als Herkulesaufgabe. Selbst wenn sich in einem solchen Haufen nur befände, was tatsächlich drin sein soll, wäre die Sache schon schwierig genug gewesen. Hinzu kam ein ewiges Kunststoff-Problem, das sich trotz ausgefeilter Methoden nie vollständig lösen ließ. Was wiederum dazu führte, dass sich Kompost mit entsprechenden Rückständen nur schwer an Privatpersonen und an Landwirtschaftsbetriebe mit Bio-Anspruch überhaupt nicht verkaufen ließ. „Dieses Mischmasch ist schwierig“, formuliert es Bernd Clausen in nüchternem Norddeutsch. Genauso nüchtern weist er darauf hin, dass im Übrigen auch die Nutzung von abbaubaren Kunststofftüten für den häuslichen Bio-Abfall nicht die allerbeste Idee ist: „Im Prinzip funktioniert das zwar, aber es dauert für normale Kompostierungsprozesse viel zu lange, bis diese abgebaut sind.“
In Dehnhöft und Hasselfelde schlägt sich die Kreislaufwirtschaft mit solchen Widrigkeiten nicht mehr herum. Zwischen 2014 und 2016 wurde die ursprünglich auch zur Energieproduktion vorgesehene Anlage zurückgebaut, seither hat man es nur noch mit reinem Grünschnitt zu tun. Nur noch? Fachleute wie Clausen hätten durchaus das Recht, durch eine solche Formulierung beleidigt sein. Ganz abgesehen von der aufwendigen Vorgehensweise vom Ursprungsmaterial zum Kompost, verkennen derart flapsige Worte in der Tat, wieviel Fleiß, Fachkunde und Leidenschaft bisweilen dahintersteckt, um aus gewöhnlicher Erde ein kostbares Spezialprodukt zu machen. Pflanz- und Blumenerde gelangt in der Region über sämtliche Famila- und Markant-Märkte in die Gärten und auf die Balkone, insgesamt aber stellt die oar sogar 400 verschiedene Substrate und Fertigprodukte her. Soll eine Dachbegrünung ihrem Namen wirklich Ehre machen, eine Alpenstaude den Gipfel der Ästhetik erreichen oder ein Buschwindröschen nicht wie vom Winde verweht daherkommen, ist immer wieder die Expertise der Erdkundigen von der oar gefragt.
Je nach Verwendungszweck kommen dabei von Kies über Kokosfasern bis zu Lava höchst verschiedenartige Materialien zum Einsatz. Und ein echtes Ende, so sieht es der unter anderem fürs Qualitätsmanagement zuständige Agrarwissenschaftler Benjamin Zänkert, ist schon wegen der sich immer wieder ändernden Trends nie in Sicht: „Zurzeit schaffen sich immer mehr Leute Hochbeete an. Da sind dann auch wir gefordert, weil Erde mit einer großen Wasserhaltefähigkeit benötigt wird.“
Zugleich zeichnen sich Trends ab, die unumgänglich und von Dauer sind. In wenigen Jahren soll Torf als Bestandteil von Pflanz- und Blumenerde verboten werden, um damit die Hochmoore zu schützen, die als wichtige Biotope zur CO2-Speicherung gelten. Längst schon arbeitet man in Altenholz und Hasselfelde an alternativen Mixturen, wohl wissend, dass es auch dann – wie etwa bei den Kokosfasern – um Rohstoffe geht, die nur begrenzt zur Verfügung stehen.
Diese großen Themen und auf der anderen Seite die stets neuen kleinen Herausforderungen um Substrate für ganz spezielle Pflanzen an womöglich ganz speziellen Standorten machen für Clausen den Reiz seine Metiers aus. Der 56-Jährige, gelernter Baumschulgärtner, über den Zivildienst zu einer Ausbildung als Erzieher gekommen und bei der oar Schritt für Schritt zum Kompostexperten geworden, stellt seit je auch seinen privaten Garten in den Dienst der Sache respektive der vollkommenen Erde. „Das ist eine ewige Versuchsstation“, grinst er und gibt zu erkennen, wieviel Spaß er an genau diesen Tüfteleien hat. Sich Zeit zu nehmen für ein Anliegen, das entspricht der Philosophie dieses Unternehmens, das mehr als nur eine Firma sein will. „Uns geht‘s um die Arbeit“, sagt Clausen und verweist auf den Wert gerade der einfachen Tätigkeiten, die immer mehr wegrationalisiert worden sind. Verpacken, verladen, sortieren, Hand anlegen, das steht im Mittelpunkt. Und eben nicht Effizienz bis zum Äußersten.
Am Standort Dehnhöft samt seiner kleinen Außenstelle Hasselfelde beschäftigt die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie knapp 60 Leute mit und ohne Behinderung. Die meisten davon sind in der Kompostierung tätig, viele aber auch in ‚Schrebers Landmarkt‘, ebenso ein Spross der NGD wie der unweit entfernte Biohof Kubitzberg, der auch dank seines angegliederten Ladens zu gelebter Inklusion beiträgt. Nicht anwendbar ist dieses inklusive Modell unter den derzeitigen Bedingungen aber für die Kompostierungsanlage Hasselfelde. Gute Ideen gäbe es durchaus, doch fehlt es von den sanitären Anlagen bis zu Aufenthaltsräumen an der Infrastruktur. Klar ist, dass ein erweiterter Aufgabenzuschnitt und pädagogisches Personal nötig wären, um auch auf dem Ostufer Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen. Völlig unrealistisch scheint das nicht, nur hat die NGD aktuell aber auch kein fertiges Konzept in der Schublade. Wobei die Reise in der Perspektive ohnehin in eine etwas andere Richtung gehen könnte. „Eigentlich müssten wir an die Betriebe ran“, meint Kompost- und Menschenfreund Clausen. Seine Vision: Anstatt die mit nicht stromlinienförmigen Potenzialen versehenen Menschen für die Betriebe zu qualifizieren, einfach die Betriebe für den sinnvollen Einsatz dieser Menschen zu qualifizieren.
Und wer weiß, vielleicht kann auch die Fachhochschule Kiel, auf deren Gelände so manches Pflänzlein dank guter Erde aus Hasselfelde gedeiht, dank innovativen Zutuns ihres Fachbereichs Soziale Arbeit und Gesundheit dazu etwas beitragen. Angefangen hat die oar-Geschichte ja ebenfalls schon mit einem Modellprojekt.