Hinter der Maschinenhalle des Lindenhofes grünt der Klee, wogt der goldgelbe Weizen im leichten Wind, wartet die reife Gerste auf die Ernte. In Ostenfeld, etwa zehn Kilometer östlich von Rendsburg, erstreckt sich das Versuchsfeld des Fachbereichs Agrarwirtschaft der FH Kiel über eine Bodenfläche von 20 Hektar und ist damit etwa halb so groß wie ein halber Golfplatz mit 18 Löchern. Das Gelände sieht anders aus als die großflächigen Felder ringsum, denn es ist penibel eingeteilt in drei Meter breite und zehn Meter lange Parzellen, auf denen unter anderem Getreidearten wie Weizen, Roggen, Gerste, Hirse und Raps und Biomassepflanzen wie Mais wachsen.
„Wir sind vergleichbar mit der Stiftung Warentest – ich glaube, wir sind sogar besser“, beschreibt der Leiter des Lindenhofes Prof. Klaus Schlüter die Arbeit dort lächelnd. Hier nämlich prüft das Versuchsfeldteam fast alles, was für die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein wichtig und vielleicht sogar überlebenswichtig ist. So testen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Pflanzensorten, Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, Bodenbearbeitung und Ernteertrag. Stolz ist Prof. Schlüter auch auf das Qualitätssiegel für „Gute Experimentelle Praxis“, kurz GEP. Über diese Auszeichnung von der Landwirtschaftskammer freuen sich er und sein Team seit über zehn Jahren.
Pflanzenschutz ist einer der Schwerpunkte auf dem Lindenhof: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchen, Krankheiten der Kulturpflanzen vorzubeugen und zu verhindern. „Gelbrost ist in diesem Jahr auf dem Vormarsch“, stellt Prof. Schlüter fest und zeigt auf einem Poster, wie Rostpilze die Blätter der Pflanze zerstören und ihr damit die Lebensgrundlage entziehen. Während sich viele Menschen über den sonnigen und trockenen Frühling in diesem Jahr freuten, machte er der Landwirtschaft zu schaffen.
Auf einem kleinen Roggenfeld zeigt sich noch eine andere Erkrankung. Die reifen Ähren lassen längliche dunkelviolette Ausbuchtungen erkennen: Mutterkorn. Ursache ist auch hier ein Pilz, der giftige Substanzen, sogenannte Alkaloide, absondert und bei Menschen zu Halluzinationen, Krämpfen und sogar zum Tod führen kann. Im Mittelalter litten viele Menschen – vor allem in Nordeuropa – unter dieser lähmenden todbringenden Krankheit. Heute gibt es Mittel dagegen: Zum einem sind neue Roggensorten weniger anfällig, zum anderen sortieren Siebe und Scanner die gefährlichen Mutterkörner aus. In sehr geringer Dosis ist ihr Inhaltsstoff auch hilfreich: Er wird als wehenförderndes Mittel bei der Geburtshilfe eingesetzt – deshalb der Name „Mutterkorn“.
Prof. Klaus Schlüter ist Phytomediziner, hat sich also auf Pflanzenkrankheiten spezialisiert. „Wir wollen, dass die Landwirtschaft so umweltverträglich wie möglich arbeitet, und bevorzugen daher den flankierenden Pflanzenschutz“, erklärt er sein Ziel. Deshalb prüft das Team des Lindenhofes Sorten, die weniger anfällig für Krankheiten sind, und unternimmt auch in der Produktionstechnik immer neue Experimente, um die Kulturpflanzen vor Schädlingen zu schützen. „Wir führen alle unsere Versuche an verschiedenen Parzellen durch und wiederholen sie jeweils viermal, um eine größere Sicherheit in den Ergebnissen zu erreichen“, erklärt der Wissenschaftler. Dabei müsse sich das Team auch immer wieder darauf einstellen, gegebenenfalls neue EU-Regelungen für die Landwirtschaft einzuhalten. „In Zukunft sollen weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden oder auch gar keine mehr“, sagt er, „und das wird natürlich Folgen für den Ertrag und die Wirtschaftlichkeit von Höfen haben.“ Bei den aktuellen Versuchen berücksichtigen die Lindenhof-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen geänderten Spielraum in der Landwirtschaft bereits.
Das Team des Lindenhofes ist klein, entsprechend familiär ist der Ton. Fest angestellt sind zwei Agrartechniker für die Arbeit auf dem Versuchsfeld, für die exakten Analysen ist der Laborleiter Hartmut Ott zuständig. Andere Teammitglieder werden seit vielen Jahren über Drittmittel finanziert: So arbeitet Dr. Ute Kropf als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Forschungsprojekte des Lindenhofes, und Stefan Brauer unterstützt als Feldassistent beide Versuchstechniker. Alle haben ihre speziellen Aufgaben: Agrartechniker Werner Banck begleitet die Versuche durch alle Jahreszeiten, um die anfallenden Arbeiten zeitgerecht einzuleiten und durchzuführen. Mit der am Fachbereich Agrarwirtschaft im Laufe vieler Jahre entwickelten Datenbank kann er auf alle relevanten Informationen zugreifen. Er schafft damit überhaupt die Voraussetzung, um Pflanzen und Boden zu bewerten, um Mineraldünger auszubringen und Versuchsmittel einzusetzen. Alle Teammitglieder müssen außerdem äußerst flexibel sein. Denn wenn es nötig ist, wird auf dem Hof sehr früh am Morgen oder sehr spät am Abend und auch an Wochenenden und Feiertagen gearbeitet.
Um die Technik ständig einsatzbereit zu halten, sind vor allem die Kreativität und das technische Geschick von Metallbaumeister Wolfgang Schroedter gefragt. Ihm ist es zu verdanken, dass selbstentwickelte, hochspezialisierte Schlepper für das Säen, Düngen und Ernten eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um große, glänzend gepflegte Oldtimer, die mit modernster digitaler Technik versehen sind. „Wir besitzen wahrscheinlich die ältesten Maschinen der Fachhochschule – manche stammen noch aus dem Jahr 1965 –, haben diese aber mit Computertechnik von heute ausgerüstet“, erklärt er.
Bordcomputer, zum Teil mit mehreren Monitoren, sind ebenso selbstverständlich wie ein GPS-System. „Das brauchen wir, um auf dem Feld geradeaus fahren und genaue Spuren ziehen zu können“, sagt Wolfgang Schroedter. Für die Versuche sei es wichtig, zentimetergenaue Spuren zu ziehen, ergänzt Dr. Ute Kropf, die seit 14 Jahren im Lindenhof-Team arbeitet und hofft, über weitere Forschungsprojekte dabei zu bleiben. „Dazu messen wir die Parzellen auf dem Versuchsfeld mit GPS ein. Wir müssen dabei rechte Winkel beachten und immer genau dieselbe Parzelle bearbeiten wie im Vorjahr. Denn unsere Messdaten müssen verlässlich und von Jahr zu Jahr vergleichbar sein.“
Die moderne Technik auf den Schleppern ist auch noch aus einem anderen Grund nötig. Da der Lindenhof nur wenig eigenes Personal beschäftigt, müssen die Arbeiten auf dem Feld mit so wenig Menschen wie möglich geleistet werden: Ob beim Säen, Düngen oder Ernten, die Maschinen werden von einer einzigen Person bedient. Die Schlepper aus dem vergangenen Jahrhundert stammen meistens nicht aus dem Fachhandel, sondern sind Maschinen, die Landwirte nicht mehr gebrauchen konnten. „Immer wieder wurden uns Schrottmaschinen von den umliegenden Höfen gespendet, die wir dann an unsere Bedürfnisse angepasst haben“, sagt Wolfgang Schroedter. „Der Kollege könnte ganze Bücher darüber schreiben, wie er die Maschinen neu gebaut und mit alten oder neuen Motoren ausgerüstet hat“, erzählt Prof. Schlüter schmunzelnd. „Immer wieder musste er improvisieren, wenn keine Ersatzteile mehr vorhanden waren.“ Klar, dass das ganze Lindenhof-Team stolz ist auf Schroedters Arbeit. „Bei unserer jährlichen Agrartechniker-Tagung stellen wir immer fest, wie gut andere Fachhochschulen und deren Versuchshöfe ausgestattet sind. Nordrhein-Westfalen erhält dafür wesentlich mehr Geld“, weiß Werner Banck, der zweite Versuchstechniker auf dem Hof.
Der Lindenhof finanziert sich hauptsächlich aus zwei Quellen: aus wissenschaftlichen Forschungsprojekten, über die Drittmittel eingeworben werden, und aus Aufträgen von Firmen oder Organisationen. Wichtig ist dem Forschungsteam seine Unabhängigkeit von Unternehmen. So bewirbt es keine speziellen Sorten oder empfiehlt bestimmte Pflanzenschutzmittel, sondern veröffentlicht nur die Ergebnisse der Tests und Analysen, die bei Fachleuten sehr begehrt und auch bundesweit anerkannt sind. Die aktuellsten sind in dem regelmäßig erscheinenden Newsletter „Lindenhof aktuell“ nachzulesen.
Beim Einsatz auf dem Feld wird erst richtig deutlich, was die Landmaschinen leisten können. Einer der Schlepper für das Düngen beispielsweise ist ähnlich ausgerüstet wie ein Infusionsgerät im Krankenhaus: Er gibt die Gülle für das Feld ganz genau dosiert ab. Dabei kann im Führerhaus über Touchscreen oder per Knopfdruck die Dosis je nach Anforderung einer Versuchsparzelle während des Einsatzes geändert werden. „So muss niemand mehr vom Schlepper absteigen, wenn plötzlich von zwei auf fünf Kilogramm Dünger umgestellt werden soll“, erläutert Hartmut Ott.
Der Computer auf dem Ernteschlepper kann sogar noch mehr: Bei der Ernte auf dem Gerstenfeld identifiziert, wiegt und speichert er den Ertrag unmittelbar über eine Datenbank. Dabei wird über die Maschine automatisch eine Probe genommen und ebenfalls genau identifiziert –und zwar mit einem ausgedruckten Etikett und einem Barcode wie an einer Supermarktkasse. „Damit sind mögliche Fehler bei der Identifizierung ausgeschlossen“, freut sich Werner Banck. Die Probe geht anschließend direkt ins Labor zu Hartmut Ott, wo die zuständige Laborantin die Feuchtigkeit des Getreides und seine Inhaltsstoffe misst.
Auch das, was der Schlepper bei der Getreideernte hinter sich lässt, verdient Beachtung – das Stroh. „Es ist schön trocken und goldgelb“, diagnostiziert Dr. Ute Kropf, „ein Zeichen für gesundes Stroh.“ Stroh, das Krankheitskeime enthält, ist ein Problem für die Landwirtinnen und Landwirte. Denn dort, wo im Stall Stroh eingesetzt wird, fressen die Tiere auch davon und können sich entsprechend anstecken. „Gerade Jungtiere, wie Ferkel und Kälber, sind dann gefährdet.“
Früher war die Ernte auf dem Lindenhof wesentlich arbeitsintensiver und fehleranfälliger. „Da musste eine zweite Person bei der Ernte dabei sein, die Probe in Jutesäcke füllen und vorher vorbereitete Etiketten draufkleben“, erinnert sich Werner Banck.
Angefangen hatte das erste Team des Versuchsfelds der Fachhochschule ohnehin ganz bescheiden. Als 1989 der Betrieb der damaligen privaten Nordischen Universität in Flensburg eingestellt wurde, blieb dort ein Versuchsfeld mit einer Größe von 36 Hektar übrig. „Wir übernahmen damals zwei Versuchstechniker der Hochschule und konnten die Flächen bei Flensburg verpachten. Mit dem Erlös konnten wir dann hier auf einem Resthof in Ostenfeld anfangen, mit gerade mal zwei Hektar Land und den beiden Technikern“, erinnert sich Hartmut Ott. „Und mit EU-Mitteln haben wir langsam den Maschinenpark aufgebaut.“
Der Lindenhof ist aber nicht nur für die Forschung enorm wichtig, sondern auch für die Lehre am Fachbereich Agrarwirtschaft. „Unsere Studierenden können hier in der Praxis verfolgen, was sie in Seminaren und Vorlesungen lernen. Ich bin durch die Forschungsprojekte und den Kontakt zu unseren auftraggebenden Firmen ganz am Puls der Zeit“, sagt Prof. Klaus Schlüter. „Aktuelle Kenntnisse kann ich so direkt an die Studierenden weiter geben.“ Und diese wissen das auch zu schätzen. Denn beim bundesweiten Hochschulranking der landwirtschaftlichen Fachzeitschrift top agrar, in dem Studierende bestimmte Fachrichtungen wie Pflanzenproduktion, Tierproduktion und Agrarökonomie bewerten können, rangiert der Fachbereich Agrarwirtschaft der FH Kiel seit mehreren Jahren im Spitzenbereich. „Das mag auch daran liegen, dass wir ein kleiner Fachbereich sind und wir Lehrenden uns viel Zeit für unsere Studierenden nehmen“, meint Prof. Schlüter.
„Die Berufsaussichten für unsere Absolventinnen und Absolventen sind ausgesprochen gut“, sagt Werner Banck. Entweder gehen die studierten Landwirtinnen und Landwirte auf den familieneigenen Hof zurück, oder sie finden Stellen als Beratende in staatlichen Institutionen, Firmen oder Vereinen. „Bei der Exmatrikulation wissen zwar einige noch nicht ganz genau, wo sie im Anschluss arbeiten werden. Aber das liegt daran, dass sie aus mehreren Angeboten auswählen können.“ Und das ist heutzutage für Hochschulabsolventinnen und -absolventen absolut nicht selbstverständlich.
von Sigrid Werner-Ingenfeld