Ein konkretes praktisches Problem lösen und den Alltag vieler Menschen erleichtern – das war die Motivation von Patrick Rehder und Wanhou Leng. Für ihre Projektarbeit tüftelten die beiden Mechatronik-Studenten ein halbes Jahr lang an einem intelligenten Blindenstock.
Die Anregung stammt von Jürgen Gibbisch aus Mühbrook bei Bordesholm. „Als ich 2019 im Spanien-Urlaub sah, wie eine blinde Dame Schwierigkeiten bei der Orientierung hatte, dachte ich, dass man doch etwas entwickeln müsste, das für mehr Sicherheit im Alltag sorgt“, berichtet der 67-Jährige. Wieder daheim war das Feedback aus der Industrie trotz Patentanmeldung eher ernüchternd. „Es hieß, man habe keine Forschungskapazitäten“, sagt der Frühpensionär. Unterstützung für die Umsetzung seiner Idee fand Gibbisch am Fachbereich Informatik und Elektrotechnik der FH Kiel.
Prof. Dr.-Ing. Christoph Weber erkannte das Potenzial des Vorhabens und schrieb die Entwicklung im Sommersemester 2021 als Projektarbeit aus: „Mechatronikerinnen und Mechatroniker müssen Mechanik, Elektronik und Informatik miteinander verbinden und das ganze System im Blick haben – deswegen ist der Blindenstock ein perfektes Beispiel für angewandte Mechatronik.“
Der Stock unterscheidet sich durch spezifische Elemente von herkömmlichen Blindenstöcken: Ultraschallsensoren scannen die Umgebung, um Abstände in die Höhe und zu den Seiten zu ermitteln. „Das kann man sich vorstellen wie ein trichterförmiges Fenster“, erklärt der 29-jährige Patrick Rehder. Auch der Untergrund wird gescannt, um Unebenheiten aufzuspüren.
Kommt die Nutzerin oder der Nutzer einem Hindernis zu nahe, weisen haptische, akustische und visuelle Signale darauf hin: „Die sehbehinderte Person wird dann beispielsweise durch Vibration des Griffs oder über den integrierten Lautsprecher gewarnt“, beschreibt der 27-jährige Wanhou Leng.
Viele der Komponenten des Prototyps haben die beiden Studenten am Computer modelliert und kostengünstig per 3D-Druck aus Kunststoff gefertigt. Aufgewertet wird die Orientierungshilfe zusätzlich durch ein GPS-Modul: Falls der Stock einmal verloren geht, lässt er sich orten. Künftig soll noch eine Navigationseinheit ergänzt werden. Die Basis des Systems bildet ein Mini-Computer – der Raspberry Pi. Dank einer herkömmlichen, leicht austauschbaren Powerbank ist der Stab bis zu sechs Stunden am Stück einsatzbereit.
„Die Arbeit haben wir uns aufgeteilt“, betonen die angehenden Ingenieure. Während Rehder vorrangig für die Konstruktion der Bauteile zuständig war, kümmerte sich Leng überwiegend um die Sensorik. Für die Entwickler ist das Projekt mit der Fertigstellung des Prototyps abgeschlossen. Sie widmen sich in den kommenden Monaten ihrem Bachelor-Abschluss. Zum Sommersemester 2022 wird die Weiterentwicklung dann in die Hände anderer Studierender übergeben.
An Arbeit wird es den Nachfolger*innen nicht mangeln: Der aktuelle Prototyp ist noch zehn Zentimeter zu lang und mit ungefähr 2,5 Kilo auch noch zu schwer. Gibbisch betont: „Der aktuelle Stand ist eine super Basis. Jetzt fehlen noch ein paar Kleinigkeiten zur Serienreife.“ Ziel des Ideengebers ist es, Investor*innen zu finden und die Orientierungshilfe für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen zu vermarkten – mit der tatkräftigen Unterstützung weiterer Mechatronik-Studierender könnte es im kommenden Jahr so weit sein.