Seit knapp 30 Jahren lehrt Prof. Dr. rer. nat. Alois Schaffarczyk am Fachbereich Maschinenwesen. Er weiß, dass es in Ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen nicht ohne Mathematik- und Physik-Kenntnisse geht. Aber er will an einem Studium Interessierten auch die Angst nehmen, wegen vermeintlich fehlender Kenntnisse den Wunsch einer Ausbildung zur Ingenieurin oder zum Ingenieur vorschnell zu verwerfen.
Die Frage, warum einigen Schülerinnen und Schülern die Auseinandersetzung mit Mathematik und Physik schwerfällt, kann Alois Schaffarczyk nicht eindeutig beantworten. Vielleicht ist es die Art der Wissensvermittlung, vielleicht ist es mitunter auch die Abstraktheit des Gegenstands, vielleicht ein fehlender Alltagsbezug. Für ihn ist ‚Mathe‘ jedoch weit mehr, als ein Schulfach wie alle anderen, sondern eine Denkschule, die in vielen Bereichen des Lebens Anwendung finden kann. „Wenn man hinsieht, ist Mathe überall in der Welt“, bringt er seine Einstellung auf den Punkt. „Wer ein Verständnis für mathematische Denkweise entwickelt, eröffnet sich eine wertvolle Kompetenz, die dabei hilft, vieles zu verstehen und Probleme zu lösen. Entsprechend finde ich es schade, wenn in Talkshows Gäste beklatscht werden, die sich damit brüsten keine Ahnung von Mathe zu haben.“
Dass man es ohne bestimmte Mathematik-Kenntnisse nicht zum Ingenieur oder zur Ingenieurin bringt, räumt Schaffarczyk ein. Aber er ergänzt: „an der FH Kiel bilden wir Ingenieurinnen und Ingenieure aus, und keine Mathematiker.“ An einem einfachen Beispiel macht er deutlich, warum Mathematik beispielsweise für Maschinenbauerinnen und Maschinenbauer unerlässlich ist: „Ingenieure haben weder die Zeit, noch die Mittel, auf blauen Dunst eine Maschine zu bauen, dann festzustellen, dass sie nicht funktioniert, und dann so lange neue Maschinen zu bauen, bis eine davon endlich funktioniert. Stattdessen berechnen sie im Vorfeld die Anforderungen und Konstruieren eine tragfähige Lösung, um sich viele unnötige Fehlschläge zu ersparen.“
Auch wenn die Ausbildung und die vielfältigen Berufsfelder für Ingenieurinnen und Ingenieure immer digitaler werden und Elektronik eine immer größere Rolle spielt, heißt das nicht, dass die Bedeutung von Mathematik und Physik während der Ausbildung abnähme. „Auch ein Elektromotor ist eine Maschine. Um sie zu verstehen, sind bestimmte Kenntnisse unerlässlich. Mathematik ist für Ingenieurinnen und Ingenieure wie eine Sprache“, erklärt Schaffarczyk. „Einigen erscheinen die benötigten Kenntnisse als eine Hürde, aber sie sind kein Sieb oder Selbstzweck, sondern werden tatsächlich im Studium und im Beruf benötigt.“
Angst vor Mathe zu haben und sich von dieser Angst leiten zu lassen, ist für Schaffarczyk ein Irrweg. „Wer im Maschinenbau in den vier Kernfächern ‚Technisches Zeichnen‘, ‚Maschinenelemente, ‚Technische Mechanik‘ und ‚Produktionstechnik‘ zurechtkommt, der scheitert nicht an Mathe“, versichert er.
Zudem bietet der Fachbereich allen die Hilfen, um sich die benötigten Kenntnisse anzueignen, weiß Schaffarczyk: „Schon in den ersten Wochen des Studiums lernen die Studierenden in kleinen Arbeitsgruppen von bis zu zwölf Studierenden. Sie lösen Aufgaben, besprechen ihre Probleme und verstehen schließlich die Lösungen. Dabei kommt es weniger auf die Vorkenntnisse an, als auf den Willen und die Bereitschaft der Studierenden. Wenn der Wille da ist, hat jede und jeder eine Chance. Ich sehe Mathematik auch als einen Denksport und wie in jeder Sportart muss man trainieren, um besser zu werden. Wir betreiben an der Fachhochschule kein Body-Building, sondern Brain-Building. Den einen fällt das leichter, andere müssen sich mehr anstrengen. Wichtig ist es, das Ziel, Ingenieurin oder Ingenieur werden zu wollen, vor Augen zu haben und es im Blick zu behalten.“
Als besonders wichtige Voraussetzung, Ingenieurin oder Ingenieur zu werden, sieht Schaffarczyk weniger ‚Mathe-Talent‘ an, als vielmehr die Bereitschaft, sich mit anderen im Team zur organisieren: „Ein Studium an der FH Kiel ist eine soziale Sache und nur, wenn man mit Kommilitoninnen und Kommilitonen zusammenarbeitet, kann man Erfolg haben. Die Studierenden helfen sich gegenseitig, aber dazu gehört auch die Bereitschaft, Schwächen und Defizite offen anzusprechen und vor allem auch die Fähigkeit, Hilfe von anderen anzunehmen und das nicht als Schwäche zu sehen. Wer denkt, er könne ein Studium alleine durchziehen, der macht sich das Leben unnötig schwer.“
Dass Mathe nicht jedem liegt, ist Schaffarczyk klar. Aber er ist sich sicher, dass jeder, der es will, Mathematik im hier gelehrten Umfang auch verstehen kann. Das nützt in seinen Augen nicht nur im Studium oder dem Beruf, sondern auch im alltäglichen Leben: „Man muss im Leben ebenso wenig Mathematik verstehen, wie man Goethes Faust gelesen haben, ein Instrument spielen, oder eine zweite Fremdsprache sprechen können muss. Aber wenn man sich für vieles Interessiert und sich um eine breite und universelle Bildung bemüht, hat man einen differenzierten Blick und erkennt Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben. Schaden tut Mathe daher nicht.“