Sozialpädagog*innen sind auf dem Arbeitsmarkt sehr begehrt. Das war nicht immer so. Als Florian Bödecker, Professor für Soziale Arbeit mit älteren Menschen, 2004 mit seinem Studium fertig war, gab es ABM-Stellen, aber kaum feste Jobs. Bödecker ging also nach England, um Berufserfahrungen zu sammeln. Wie es ihm dort erging, wie dies seine Forschung beeinflusst hat und was er seinen Studierenden an der FH Kiel nahebringen möchte, darüber hat er mit Frauke Schäfer gesprochen.
Sie haben Erziehungswissenschaften, Fachrichtung Sozialpädagogik, in Hildesheim und an der Freien Universität in Berlin studiert, warum?
Ich wollte beruflich mit Menschen zu tun haben, und auf einen Studienplatz für Psychologie hätte ich vier Jahre warten müssen. Nach dem Studium habe ich als Projektmanager beim Kreativhaus e.V. in Berlin gearbeitet, eine ABM-Stelle, knapp ausgestattet. Es gab kaum Jobs für Sozialpädagogen, Berlin war eine arme Stadt. Weil ich dort keinen Job gefunden habe, bin ich nach England gegangen.
England, weil es sprachlich am unkompliziertesten war?
Das war nicht der Grund. Soziale Arbeit hatte in England keinen guten Ruf, es war ein Beruf mit sehr wenig Prestige. Deshalb waren die Behörden gezwungen, Ausländer wie mich anzuheuern. Aber es war für mich auch sehr wertvoll, meine Sprachkenntnisse zu verbessern.
Und war England eine gute Entscheidung?
Ich denke, es war gut, sonst wäre es bei mir schlicht nicht weitergegangen. Ichhabe als Support Worker in einer Art WG für Ältere mit geistiger Behinderung angefangen. Als ich meine Anerkennung als Social Worker hatte, habe ich eine Stelle in Cambridge in einem Team für Ältere mit psychischen Problemen gefunden. Ich habe die Arbeit mit älteren Menschen als sehr angenehm empfunden, vielleicht auch gerade, weil ich ein Herz für die körperliche und seelische Verletzlichkeit von Menschen habe. Der große Gewinn meiner Tätigkeit ist, daß ich mich mit einer Lebensphase beschäftige, die ich und auch die meisten Studierenden noch vor uns haben. In England habe ich meinen Schwerpunkt gefunden und Erfahrung gesammelt, die mir später bei weiteren Bewerbungen zugute kamen.
Das englisch-deutsche Verhältnis ist ja nicht immer ein Einfaches. Vor allem aufgrund der verheerenden Folgen des zweiten Weltkriegs in England. Hatten Sie mit Menschen zu tun, die diesen Krieg noch erlebt hatten und wie sind diese Ihnen begegnet?
Ich habe tatsächlich noch mit Kriegsteilnehmern gearbeitet, unter anderem mit einem ehemaligen Kampfpiloten. Aber ich hatte in England nie das Gefühl, als Deutscher diskriminiert zu werden. Das könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass Cambridge eine wohlhabende Gegend ist. Referenzen auf meine deutsche Herkunft gab es zwei Mal, die waren aber nicht böse oder kritisch gemeint. Dieser Kampfpilot sagte einmal zu mir: „I fought you guys.“ Daraufhin habe ich ihn korrigiert und gesagt, dass ich nicht zu dieser Generation gehöre. In England gibt es aber auch in Arbeitszusammenhängen sehr klare Antidiskriminierungs-Policies. Wer da etwas Entsprechendes sagt, findet sich ganz schnell in einem ernsten Meeting wieder.
Sie sind dann in die Forschung gewechselt und haben zu Demenz und Paarkonflikten geforscht. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?
Ich hatte mich beim Netzwerk Altersforschung für ein Stipendium beim Graduiertenkolleg Demenz an der Universität Heidelberg beworben und bin deswegen nach Deutschland zurückgekehrt. In meiner Promotion wollte ich mich mit einem Thema befassen, das für mich auch eine Bedeutung hat. In England hatte ich mit Paaren zu tun, in denen einer an Demenz erkrankt war, und ich hatte das Gefühl, absolut nicht hilfreich zu sein. Und das ist schlimm, weil die Menschen ja konkret und direkt Hilfe brauchen. Deshalb wollte ich dieser Erfahrung im Rahmen meiner Doktorarbeit auf den Grund gehen, damit Paaren vielleicht in Zukunft besser geholfen werden kann. Ihnen ist die Arbeit auch gewidmet. Ich habe dann eine Interviewstudie gemacht, obwohl es ganz schwierig war, Paare zu finden, die darüber reden wollen. Es waren auch bewegende Gespräche. Der Titel lautet zwar „Paarkonflikte bei Demenz“, aber es geht auch um andere, grundsätzliche Themen, und die beschäftigen mich durchaus weiter.
Haben Sie sich schon überlegt, wo sie hier Ihren Schwerpunkt setzen möchten?
Ich möchte die ganze Vielfältigkeit des Älterwerdens abdecken, da gibt es ganz viel, was mich reizt. Hier werde ich im ersten Semester die Seminare „Lebenswelten älterer Menschen“ und die „Soziale Arbeit mit älteren Menschen“ durchführen und als neues Angebot „Leben und Bildung im, für und mit dem Alter“. Da soll es auch eine Kooperation mit dem AWO-Servicehaus in Mettenhof geben, das sich ein intergenerationelles Musik-Gesangs- und Theaterprojekt wünscht. Grundsätzlich möchte ich den Studierenden deutlich machen, wie vielfältig das Thema ist, und warum sich die Beschäftigung damit auch gerade für junge Leute lohnt. Die Soziale Arbeit mit älteren Menschen ist für die Studierenden kein attraktives Arbeitsfeld, und das finde ich schade, denn es wird dem Thema nicht gerecht. Der Schwerpunkt liegt oft auf dem Pflegerischen und der Betreuung. Dabei müssen wir ja nur an uns selber denken. Wenn wir in den Ruhestand gehen, möchten wir ja nicht nur betreut werden, wir haben noch viel vor und erwarten, dass wir als selbstlernende und selbstgestaltende Menschen ernst genommen werden. Letztlich sind Altersthemen Lebensthemen: Wie kann ich anderen Menschen nah sein? Wie gehe ich mit meinem Körper um, welche Bedeutung hat er für mich, wenn er mich einschränkt? Wie gehe ich konstruktiv mit meinen Gefühlen oder überhaupt mit anderen Menschen um? Wie kann ich die zwischenmenschliche Nähe erhalten und vielleicht auch wieder reparieren? Was bedeutet die Endlichkeit meines Lebens für mich und was macht das Leben für mich wirklich wertvoll? Deshalb biete ich im kommenden Semester als zusätzliches Seminar an: „Altersthemen als Lebensthemen einer Sozialen Arbeit der Lebensspanne“. Mit der Stelle in der Kiel ist für mich ein Traum wahrgeworden: Mich auf einer festen Stelle mit den Facetten des Älterwerdens beschäftigten zu können, ist etwas, für das ich sehr dankbar bin, weil ich schon Jahre nach einer solchen Chance gesucht hatte.