Ein Modellboot© J. Kläschen

Künst­li­cher Wind für bes­se­re Segel

von Joa­chim Kläschen

Der Ver­suchs­auf­bau vor dem Wind­ka­nal der FH Kiel dürf­te Mo­dell­bau­er be­geis­tern: Vor den be­weg­li­chen ver­ti­ka­len La­mel­len des Luftaus­las­ses des Wind­ka­nals steht eine Se­gel­yacht mit einem knapp zwei Meter hohen Mast. Wäh­rend Prof. Dr.-Ing. Kai Graf am Stell­pult den Ver­such vor­be­rei­tet, nimmt sein La­bo­r­in­ge­nieur Paul Schlo­cker­mann eines von vier neu ge­fer­tig­ten Mo­dell­se­geln und mon­tiert es am Mo­dell. „Das kommt von einem Kie­ler Se­gel­ma­cher, mit dem wir für die­sen Ver­such zu­sam­men­ar­bei­ten“, führt Schlo­cker­mann aus. „Wir wol­len hier im Wind­ka­nal mit Hilfe die­ser Mo­dell­se­gel die Ei­gen­schaf­ten von vier un­ter­schied­lich ge­schnit­te­nen so­ge­nann­ten Gen­na­kern prü­fen.“

Doch das ist nur ein As­pekt der Test­rei­he, wie Prof. Dr.-Ing. Kai Graf vom Fach­be­reich Ma­schi­nen­we­sen er­gänzt: „Wir be­nö­ti­gen die ge­won­ne­nen Mess­da­ten, um unser VPP wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Das Ve­lo­ci­ty Pre­dic­tion Pro­gramm be­rech­net dann die Ge­schwin­dig­keit, die die Yacht mit die­sen Se­geln auf allen Kur­sen zum Wind und für jede Wind­ge­schwin­dig­keit er­rei­chen kann. Über­ge­ord­ne­tes Ziel ist es, un­se­re VPP-An­wen­dung für die Nut­zung auf den heute in Nord­eu­ro­pa sehr ver­brei­te­ten Crui­ser/Racer-Yach­ten aus­zu­wei­ten.“ Se­gel­boo­te die­ses Typs eig­nen sich so­wohl für ge­müt­li­che Se­gel­aus­flü­ge, als auch für die Teil­nah­me an Re­gat­ten. Viele sind mitt­ler­wei­le mit einem Gen­na­ker aus­ge­stat­tet, einem gro­ßen, bau­chi­gen, asym­me­tri­schen drei­ecki­gen Vor­se­gel. Und genau ein sol­ches steht heute auf dem Prüf­stand.

Ein Maus­klick von Graf, und die ge­gen­läu­fi­gen Tur­bi­nen im Un­ter­ge­schoss set­zen sich in Be­we­gung. Mit einer kon­stan­ten Ge­schwin­dig­keit von fünf Me­tern pro Se­kun­de rauscht eine Brise durch die manns­ho­hen La­mel­len und trifft auf das Mo­dell, des­sen Gen­na­ker sich leicht bläht. Die dreh­ba­re Sechs-Kom­po­nen­ten-Waage, auf der das Se­gel­boot steht, misst, wie sich die Yacht bei dem Wind ver­hält. Die Werte kön­nen Graf und Schlo­cker­mann auf einem Mo­ni­tor am Prüf­stand ab­le­sen. Von hier aus steu­ern sie auch die sechs Schritt­mo­to­ren an Bord des Mo­dells, die die Segel trim­men, als ar­bei­te eine un­sicht­ba­re Mini-Crew an Bord. Zudem kön­nen die bei­den Strö­mungs­ana­lys­ten die Po­si­ti­on des Mo­dells ro­tie­ren, um so Wind aus un­ter­schied­li­chen Rich­tun­gen zu si­mu­lie­ren.

„Es geht uns um die Er­mitt­lung der ma­xi­ma­le Vor­triebs­kraft“, er­klärt Graf und deu­tet auf eine un­ste­te Linie auf dem Mo­ni­tor, die den Zeit­ver­lauf des Se­gel­vor­triebs zeigt. „Wir wol­len durch das An­pas­sen aller Va­ria­blen des Se­gel­trimms er­mit­teln, wozu die­ser Gen­na­ker in der Lage ist.“ Die Linie steigt, wäh­rend der Pro­fes­sor per Maus­klick ein un­sicht­ba­res Crew­mit­glied dazu treibt, eine Gen­na­ker­schot zu fie­ren. Doch plötz­lich fängt das eben noch bau­chi­ge Segel an zu flat­tern, und die Linie bricht ein. „Das war dann wohl etwas zu viel“, kom­men­tiert Graf nüch­tern, „aber, dass was wir hier ma­chen, ist eben etwas ganz Neues. Das er­for­dert dann auch viel Aus­pro­bie­ren.“ Wäh­rend­des­sen ver­sucht Paul Schlo­cker­mann den Gen­na­ker durch be­hut­sa­mes Zup­fen im Wind zu hal­ten, aber mit den ak­tu­el­len Pa­ra­me­tern ist ein­fach nichts zu ge­win­nen, das in­no­va­ti­ve Vor­se­gel will nicht auf­hö­ren zu flat­tern.

Über an­dert­halb Stun­den wech­seln Graf und Schlo­cker­mann immer wie­der den Kurs zum Wind und die Span­nung der Segel, bis sie das idea­le Zu­sam­men­spiel ge­fun­den haben und das Mo­dell die grö­ßt­mög­li­che Vor­triebs­kraft ent­wi­ckelt. Für 20 Se­kun­den muss die Linie auf dem Höchst­stand blei­ben ohne ein­zu­bre­chen, damit die spä­ter er­neut über­prüf­te Mes­sung als va­li­des Re­sul­tat gilt. Ihre Er­geb­nis­se tei­len die Strö­mungs­ana­lys­ten mit dem Se­gel­ma­cher, der die Er­kennt­nis­se in eine Ver­bes­se­rung der Segel ein­flie­ßen las­sen kann. „Die­ser Tech­no­lo­gie­trans­fer zwi­schen Wis­sen­schaft und Wirt­schaft war der An­lass für den Bau der vom Land fi­nan­zier­ten An­la­ge“, weiß Graf, der den Wind­ka­nal von 15 Jah­ren aus der Taufe ge­ho­ben hat.

„Es gibt nur we­ni­ge große Se­gel­her­stel­ler auf der Welt, die ei­ge­ne Wind­ka­nä­le haben, um ihre Pro­duk­te zu ver­bes­sern“, er­klärt der Pro­fes­sor, der wie sein La­bo­r­in­ge­nieur be­geis­ter­ter Seg­ler ist. „Mit un­se­rer An­la­ge geben wir Se­gel­ma­chern aus der Um­ge­bung die Mög­lich­keit, sich und ihre Pro­duk­te im Rah­men von Ko­ope­ra­ti­ons­pro­jek­ten wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.“ So ist es in der Ver­gan­gen­heit zu vie­len span­nen­den Test­läu­fen ge­kom­men, bei denen sich auch Mo­del­le foi­len­der Ka­ta­ma­ra­ne im Wind­ka­nal be­wei­sen muss­ten. „Das ist eine tolle Zu­sam­men­ar­beit, bei der wir uns her­vor­ra­gend er­gän­zen“, schlie­ßt Graf, wäh­rend der Wind be­stän­dig mit 5 Me­tern pro Se­kun­de durch die Halle weht und sich der Gen­na­ker bläht.

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