Schwarze Plastiken in Baumform mit Wurzeln© Wink­ler

Künst­le­rin im Ge­spräch: Insa Wink­ler über „Finde Deine ... Wur­zel“

von Kris­ti­ina Thiel

Mit Ihrer Ar­beit „An Stadt – Statt Grün“ sind Sie seit 2009 auf dem Cam­pus vie­len be­reits be­kannt, nun folgt eine Aus­stel­lung im Bun­ker-D. Was reizt Sie daran, ihre Ar­bei­ten an die­sem Ort zu prä­sen­tie­ren?

Ich habe 1988 an der Muthe­si­us Hoch­schu­le mein Di­plom in Bil­den­der Kunst bei Prof. Jan Ko­bla­sa mit dem Thema „Pflan­ze Mensch“ ab­ge­schlos­sen und auch nach­her durch meine Mit­glied­schaft im BBK Schles­wig-Hol­stein und in dem von Ko­bla­sa ge­präg­ten Klas­sen­zu­sam­men­halt durch den An­röch­ter Stein immer den Draht nach Kiel ge­hal­ten.

Auch war ich im Ost­ufer Kunst­la­bo­ra­to­ri­um aktiv, da­mals ent­wi­ckel­te ich für den jet­zi­gen Bun­ker-D ein Nut­zungs­kon­zept. Ich woll­te den Bau­stahl, der im Ge­bäu­de aus den Wän­den her­vor­kam zu einem „Kunst­bal­kon aus „Bau­stahl­ge­flecht“ ver­wen­den. Be­reits seit 1986 ver­wen­de ich für meine Plas­ti­ken häu­fig weg­ge­wor­fe­ne, ver­wor­re­ne Bau­stäh­le, die beim Ab­riss zu Tage tre­ten und kre­iere dar­aus „Kunst­ge­wäch­se“.  Der Hin­ter­ein­gang eig­net sich daher für eine klei­ne Er­in­ne­rung an meine da­ma­li­gen Ideen. Auch die vie­len Ein­la­dun­gen zu den Aus­stel­lun­gen im Bun­ker-D, dar­un­ter viele mei­ner Kol­leg*innen, haben mich wie­der neu­gie­rig auf den da­mals er­kun­de­ten Bun­ker ge­macht.

Ihre Aus­stel­lung trägt den Titel „Finde Deine ... Wur­zel“ – eine durch­aus mehr­deu­ti­ge und phi­lo­so­phi­sche Auf­for­de­rung. Hat die­ser Titel einen be­son­de­ren Hin­ter­grund?

Wur­zeln in ihrer Form und Funk­ti­on sind für mich seit sehr lan­ger Zeit ein Kern­the­ma. Der Auf­ruf des Fin­dens der ... Wur­zeln im­pli­ziert ja schon die Viel­schich­tig­keit. Ich kann den Aus­stel­lungs­ti­tel eben­so auf mich selbst be­zie­hen, denn in Kiel lie­gen die bild­haue­ri­schen Wur­zeln, eben­so be­sin­ne ich mich nach fast vier­zig Jah­ren Kunst auf das Motiv der Wur­zel, und ge­ra­de als ich 1995 wäh­rend des „(Os­ter­ufer) Kunst La­bo­ra­to­ri­ums“ für ei­ni­ge Mo­na­te in Kiel war, ent­wi­ckel­te ich hier die ers­ten Zei­chen mei­ner Pflan­zen­spra­che, in der es um die Dy­na­mik des Wachs­tums geht. „Die Wur­zel ist der Mund der Pflan­ze“ schreibt Al­ber­tus Ma­gnus (de Ve­ge­ta­bi­li­bus). An den Wachs­tums­kräf­ten der Natur las­sen sich auch in­ter­es­san­te Ana­lo­gi­en – als Dia­lo­ge zwi­schen Mensch und Natur – kris­tal­li­sie­ren.  Diese damit ver­bun­de­ne pro­zess­haf­te Dy­na­mik in doch eher star­ren Plas­ti­ken aus­zu­drü­cken ist seit An­be­ginn mei­ner „Bild­haue­rei“ eines mei­ner ste­ti­gen Ge­stalt­be­dürf­nis­se. Wur­zeln bil­den in der Erde ein für uns Men­schen doch eher ein un­sicht­ba­res Netz­werk. In der Be­geg­nung mit dem Pu­bli­kum haben die Wur­zeln nun auch eine sym­bo­li­sche Auf­ga­be: Sie sol­len in­spi­rie­ren, sich mit den ei­ge­nen nach­hal­ti­gen Wur­zel zu be­schäf­ti­gen und die Wur­zeln hier­bei als ein „Sym­prak­ti­sches Zei­chen“ für ei­ge­ne krea­ti­ve Pro­zes­se wahr­zu­neh­men. Daher ist die Wur­zel auch ein ana­lo­ges Bild zu un­se­rem ve­ge­ta­ti­ven Ner­ven­sys­tem und dem Ge­hirn als Zen­trum des Wil­lens.

Jas­pers for­mu­liert es mit den Wor­ten: „Alles, was in der Welt schön, zweck­mä­ßig, ge­ord­net und in der Ord­nung von einer ge­wis­sen Voll­endung ist – alles, was wir im un­mit­tel­ba­ren Na­tur­schau­en mit Er­grif­fen­heit in un­er­schöpf­li­cher Fülle er­fah­ren, das ist nicht aus einem ra­di­kal er­kenn­ba­ren Welt­sein, etwa aus einer Ma­te­rie zu be­grei­fen. Die Zweck­mä­ßig­keit des Le­ben­di­gen, die Schön­heit der Natur in allen Ge­stal­ten, die Ord­nung der Welt über­haupt wird im Maße des Fort­schrei­tens fak­ti­scher Er­kennt­nis immer ge­heim­nis­vol­ler“ [ Jas­pers, 7]. Eine ent­wur­zel­te reale also nicht mehr le­ben­di­ge Wur­zel wird zum Kunst­werk und zeigt die Ver­zwei­gun­gen, die sie im Wachs­tum an­ge­legt hat. Der Mensch hin­ter­lässt auch seine Spu­ren auf der Erde und pflanz­li­che Wur­zeln kön­nen uns dazu an­re­gen un­se­ren Ver­zwei­gun­gen nach­zu­spü­ren.

 

Sie nut­zen Ihre Kunst, um auf den Dia­log zwi­schen Mensch und Natur auf­merk­sam zu ma­chen. Um wel­che The­men und The­men­schwer­punk­te geht es dabei genau?

Die Ant­wort auf diese Frage kann viel­schich­tig sein. Es sind eher sehr de­tail­lier­te kom­ple­xe Sicht­wei­sen auf die Natur: Wachs­tums­struk­tu­ren, Kul­tur­land­schaf­ten oder eben Um­welt. Die Be­schäf­ti­gung mit Natur ist seit mei­ner Kind­heit ir­gend­wie selbst­ver­ständ­lich und in der Be­ob­ach­tung der Ver­än­de­run­gen un­se­rer Land­schaf­ten ent­wick­le ich eine künst­le­ri­sche Ver­ant­wor­tung. Bei­spiels­wei­se habe ich mich über viele Jahre mit der Land­wirt­schaft be­schäf­tigt und bin letzt­end­lich für ei­ni­ge Zeit eine „Ei­chel­schwein­bäue­rin“ ge­wor­den, um der glücksum­wor­be­nen Kraft der Schwei­ne, die in der mo­der­nen Zi­vi­li­sa­ti­on er­schre­ckend ge­hal­ten wer­den, nach­zu­spü­ren. Al­ler­dings mit einem Dis­kurs in­mit­ten des Fel­des Land­wirt­schaft und nicht als reine Kunst­kri­tik!

Sie haben seit Mitte der Neun­zi­ger Jahre den Be­griff „So­ci­al Land­art“ eta­bliert. Was ver­birgt sich da­hin­ter?

Meine al­ler­ers­te öf­fent­li­che Ar­beit 1984, noch im Stu­di­um, war eine In­stal­la­ti­on im Priel auf Hal­lig Hooge. Zwölf klei­ne flo­ß­ar­ti­ge Augen waren so ver­an­kert, dass sie mit der Tide stie­gen und san­ken. In Per­for­man­ces, bei denen sich Ob­jek­te ver­bie­gen las­sen, habe ich meine Er­kennt­nis ver­tieft, dass die Um­welt sich in einer per­ma­nen­ten Trans­for­ma­ti­on be­fin­det. „So­ci­al Land­art“ lehnt sich unter die­sem As­pekt ei­ner­seits an den Werk­be­griff der So­zia­len Plas­tik an, in dem es um die allen Men­schen in­ne­woh­nen­de Krea­ti­vi­tät und die Trans­for­ma­ti­ons­fä­hig­keit des Men­schen geht. Über­tra­gen auf die Ar­beit an kon­kre­ten The­men und Ge­bie­ten geht es um die Wahr­neh­mung der kul­tu­rel­len, so­zia­len, öko­lo­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Zu­sam­men­hän­ge, also auch den Stör­fel­dern in der Um­welt. Die „So­ci­al Land­art“ ist daher kein Ein­zel­künst­ler­tum, son­dern eher eine kol­lek­ti­ve Kunst in einer so­zia­len Land­schaft.

Als Mit­be­grün­de­rin der Pro­du­zen­ten­ga­le­rie Prima Kunst kann ich sagen, dass die Be­reit­schaft, ge­mein­sa­me Kunst­pro­duk­tio­nen zu be­strei­ten, eine stän­dig wach­sen­de Tä­tig­keit in mei­ner künst­le­ri­schen Lauf­bahn ge­wor­den ist. Das kann man viel­leicht am bes­ten auch mit dem Wort „Raum­ku­ra­ti­on“ er­läu­tern, indem sich Men­schen mit allen Sin­nen for­schend und für­sorg­lich auf ihre Um­welt ein­las­sen. Es geht aber nicht nur um Har­mo­nie, son­dern auch darum, kri­ti­sche Dia­lo­ge zu­zu­las­sen. So­ci­al Land­art lässt sich bei­spiels­wei­se mit dem 7000 Ei­chen Pro­jekt von Jo­seph Beuys er­klä­ren, denn seine Ar­beit hat quasi die kom­plet­te Grü­nor­dung der Stadt Kas­sel ge­prägt. Wei­te­res Bei­spiel bie­tet das „Green Heart of Hol­land“ des Künst­ler­du­os „The Har­ris­sons“ (USA), die durch ihre künst­le­ri­sche Pla­nungs­ar­beit auf kom­mu­na­ler Ebene einen gan­zen Land­strich ver­än­dert haben. Ich selbst habe mich ge­mein­sam mit an­de­ren Künst­ler*innen auf das Moor ein­ge­las­sen, oder auf das ver­strahl­te „Tscher­no­byl­ge­biet“ in Be­la­rus, wo 1996 schon der Wi­der­stand gegen den Macht­ha­ber Lu­ka­schen­ko spür­bar war. Letzt­end­lich ist der we­sent­li­che Ge­stal­tungs­fak­tor der So­ci­al Land­art die Zeit und In­ten­si­tät und die Trans­dis­zi­pli­na­ri­tät, mit der sich Kunst­schaf­fen­de und eben auch alle an­de­ren Be­tei­lig­ten auf kon­kre­te Ge­stal­tungs­pro­zes­se ein­las­sen. Es kön­nen ja auch sehr per­so­nen­be­zo­ge­ne Pro­zes­se sein, wie bei­spiels­wei­se das Pro­jekt „Over Your Cites Gras will Grow“.

Was er­war­tet die Be­su­che­rin­nen und Be­su­cher Ihrer Aus­stel­lung im Bun­ker-D?

Die Aus­stel­lung kon­zen­triert sich sehr auf das Motiv der Wur­zel, und hier­bei bin ich wie­der ein­mal am An­fang eines Pro­jek­tes, das sich mit den ak­tu­el­len Fra­gen der Zu­kunft aus­ein­an­der­setzt, näm­lich mit der Suche nach un­se­ren mensch­li­chen Wur­zeln, oder die Frage, wo wir uns in die­ser Zeit per­sön­lich neu ver­wur­zeln möch­ten. In der Aus­stel­lung habe ich mir selbst die Muße ge­las­sen, mit den Wur­zeln ganz frei und künst­le­risch zu ar­bei­ten: Ich lasse dabei Holz­ar­bei­ten spre­chen, die be­reits 1995 aus Wur­zeln ge­fer­tigt wur­den. Dem ge­gen­über ge­stellt, prä­sen­tie­re ich 17 ent­wor­fe­ne Wur­zeln, die in der Aus­stel­lung in ganz un­ter­schied­li­cher Weise prä­sent sind: als Klein­plas­ti­ken, in Ma­le­rei und als Holz­druck. Ich be­nut­ze hier­bei meine selbst her­ge­stell­te Ei­chen­tin­te die für zehn Gra­fik­map­pen mit den 17 Wur­zeln in das Pa­pier ein­si­ckert. Diese Wur­zel­zei­chen sind aber auch par­ti­zi­pa­ti­ve „Per­for­mance Ob­jek­te“, denn man kann die Fi­gu­ren be­we­gen und be­schrei­ben, also mit ihnen um­ge­hen. Ich prä­sen­tie­re eine ex­em­pla­ri­sche mehr­di­men­sio­na­le Vor­ge­hens­wei­se an einem ak­tu­el­len Thema, das ich im nächs­ten Jahr dann auch an den kol­lek­ti­ven Schnitt­stel­len in Zu­sam­men­ar­beit mit dem „ar­te­co­lo­gy_­net­work e.V.“ wei­ter ver­tie­fen werde. Da meine künst­le­ri­sche Ar­beit quasi un­sicht­ba­re For­schungs­pro­zes­se vor­aus­setzt, habe ich in den letz­ten Jah­ren ver­sucht die „So­ci­al Land­art“, die als Be­griff seit 1999 von mir ge­setzt wurde, als eine mo­dell­haf­te nach­hal­ti­ge Pra­xis in einer Pro­mo­ti­on zu er­fas­sen. Die Pu­bli­ka­ti­on steht für die­sen Herbst in Aus­sicht.

Neben der Aus­stel­lung bie­ten Sie am 9. Sep­tem­ber einen in­ter­ak­ti­ven Work­shop an. An wen rich­tet sich die­ses An­ge­bot, und was er­war­tet die Teil­neh­mer*innen?

Wie schon be­schrie­ben möch­te ich ein per­for­ma­ti­ves Spiel mit den Wur­zeln der Aus­stel­lung ent­wi­ckeln. Von den Teil­neh­mer*innen wün­sche ich mir, dass sie sich auf das Spie­len mit den Wur­zel ein­las­sen und auch sel­ber ei­ge­ne Wur­zeln ent­wer­fen. Der Bun­ker-D soll auch zu einer So­ci­al Land­art wer­den, indem die 17 abs­trak­ten Ziele der nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung je­weils per­sön­lich ver­stan­den wer­den. Ich wün­sche mir eine spie­le­ri­sche At­mo­sphä­re, in der die Wur­zeln mit die­sen Zie­len – wie auch immer - ver­knüpft wer­den, aber be­son­ders wün­sche ich mir auch, dass die An­we­sen­heit all die­ser Wur­zeln die Be­su­cher an­re­gen kann, ei­ge­ne Ge­dan­ken­strän­ge zu fin­den und ei­ge­ne nach­hal­ti­ge Ziele zu for­men. Die Ob­jek­te (Wur­zeln) kön­nen dabei durch die Teil­neh­mer*innen in Dia­log tre­ten. Mit Blick auf die Hy­gie­ne in „Co­ro­na-Zei­ten“ kann der Work­shop auch draus­sen statt­fin­den, und der Cam­pus kann hier­bei auch auf eine in­ter­es­san­te Weise neu ent­deckt wer­den.

© Fach­hoch­schu­le Kiel