Ansicht einer Arbeit von Adriane Steckhan© H. Mundt
In Uni­ka­te ver­wan­del­te Fo­to­gra­fi­en zeigt die Aus­stel­lung von Adria­ne Steck­han im Bun­ker-D.

Künst­le­rin im Ge­spräch: Adria­ne Steck­han über die Aus­stel­lung „LOST“

von Kris­ti­ina Thiel

Die Künst­le­rin Adria­ne Steck­han er­öff­net am 14. April 2022 in der Ga­le­rie Bun­ker-D ihre Aus­stel­lung „LOST“. Im Kurz­in­ter­view ge­währt sie vorab einen kur­zen Ein­blick in die The­men der kom­men­den Aus­stel­lung.

Frau Steck­han, Ihre Aus­stel­lung trägt den Titel „LOST“. Was hat Sie dazu be­wo­gen, ge­ra­de die­sen Titel zu wäh­len?

Die Be­deu­tung des eng­li­schen Be­griffs „lost“ chan­giert zwi­schen „ver­lo­ren“ im Sinne von ori­en­tie­rungs­los, „ver­wirrt“ und dem aku­ten Ver­lust und der damit ver­bun­de­nen Trau­er. Diese Mehr­deu­tig­keit be­schreibt in mei­nen Augen den mo­men­ta­nen Zu­stand der Mensch­heit sehr tref­fend und um­reisst die The­men, die  ich in mei­nen Ar­bei­ten um­zu­set­zen ver­su­che.

Um wel­che The­men geht es in Ihrer kom­men­den Aus­stel­lung und warum?

Mich in­ter­es­siert die Kom­ple­xi­tät der Wahr­neh­mung und ihre Sub­jek­ti­vi­tät. Ich be­schäf­ti­ge mich damit, wie weit man die Fo­to­gra­fie trei­ben kann, wie aus einer be­lie­big re­pro­du­zier­ba­ren, ver­meint­lich ob­jek­ti­ven Fo­to­gra­fie ein Uni­kat mit einer sinn­li­chen Ober­flä­che und einer ei­ge­nen in­di­vi­du­el­len Ma­te­ria­li­tät wird. Dazu ar­bei­te ich mit ver­schie­de­nen Abs­trak­ti­ons­pro­zes­sen, mit denen ich die her­kömm­li­chen Gren­zen der Fo­to­gra­fie er­wei­te­re, in jüngs­ter Zeit auch ver­mehrt skulp­tu­ral. Die Kör­per­haf­tig­keit mei­ner Ar­bei­ten wird mir immer wich­ti­ger.

Ich be­grei­fe meine Ar­bei­ten aber nicht nur als äs­the­ti­sche, son­dern auch als po­li­ti­sche State­ments. In­halt­lich habe ich mich in den letz­ten Jah­ren viel mit dem in­di­vi­du­el­len Me­men­to Mori be­schäf­tigt, der Schwer­punkt ver­schiebt sich in­zwi­schen zu dem uni­ver­sel­len mensch­li­chen Schei­tern und dem damit ver­bun­de­nen Schmerz, hin­ter dem man den­noch die Schön­heit des Seins er­ah­nen kann. Als vi­su­el­le Me­ta­pher die­nen mir dazu vor allem Rui­nen.

Die Grund­la­ge für Ihre Werke lie­fert die groß­for­ma­ti­ge Fo­to­gra­fie, die Sie künst­le­risch mit un­ter­schied­li­chen Werk­tech­ni­ken wei­ter­ver­ar­bei­ten. Was genau ist damit ge­meint? Wie ent­ste­hen Ihre Foto-Ar­bei­ten / In­stal­la­tio­nen?

Die Fo­to­gra­fie ist nur der Start­punkt, so­zu­sa­gen der Stein, der das Ganze ins Rol­len bringt. Die Fo­to­gra­fie wird frag­men­tiert, ver­grö­ßert und die Pig­men­te in eine trans­lu­zi­de Haut aus Acryl­po­ly­mer über­tra­gen. Diese Haut hat eine star­ke Ma­te­ria­li­tät, weist einen Duk­tus auf, hat Fal­ten, Ver­di­ckun­gen, Pig­mentab­rie­be, Nar­ben, Stö­run­gen, die dem ei­gent­li­chen Motiv eine sinn­li­che Ober­flä­che geben, ganz im Ge­gen­satz zu der Ab­we­sen­heit von Ober­flä­che bei der her­kömm­li­chen re­pro­du­zier­ba­ren Fo­to­gra­fie. Die z.T. sehr lan­gen Lang­zeit­be­lich­tun­gen, mit denen ich ar­bei­te, be­wir­ken im ei­gent­lich fo­to­gra­fi­schen Motiv schon eine star­ke, fast ma­le­ri­sche Abs­trak­ti­on. Auf der Ebene des Trä­ger­me­di­ums kom­men wei­te­re wei­te­re Stö­run­gen und Abs­trak­tio­nen dazu. So wech­selt der Blick des Be­trach­ters zwi­schen meh­re­ren Ebe­nen. Da die Ar­bei­ten trans­lu­zid sind spielt das Licht auch immer eine große Rolle. Diese Haut brin­ge ich dann ent­we­der auf Acryl­glas als Trä­ger auf, oder nutze sie als Grund­la­ge für rein skulp­tu­ra­le Ar­bei­ten.

Was reizt Sie daran, ihre Ar­bei­ten in der Ga­le­rie Bun­ker-D aus­zu­stel­len? Hat die Ge­schich­te des Bun­ker-D einen Ein­fluss auf die The­men­wahl bzw. Kon­zep­ti­on der Aus­stel­lung?

Ich ar­bei­te immer sehr raum­be­zo­gen. Nach­dem ich mir die Ga­le­rie­räu­me an­ge­se­hen habe, war es klar, dass ich dort un­be­dingt aus­stel­len muss.

Ich habe mich schon in frü­he­ren Ar­bei­ten mit der Me­ta­pho­rik von Rui­nen aus­ein­an­der­ge­setzt, doch eher unter dem As­pekt von Er­in­ne­rung, Iden­ti­tät und ur­ba­nem Raum. In­spi­riert von Jean Tin­gue­lys „Men­ge­le To­ten­tanz“ in Basel bin ich unter an­de­ren Vor­zei­chen zu die­sen Mo­ti­ven zu­rück­ge­kehrt.

Meine ak­tu­el­le Werkse­rie ba­siert auf der Do­ku­men­ta­ti­on des Ab­ris­ses eines ehe­ma­li­gen Kunst­or­tes in Ham­burg. Ähn­lich wie die ver­kohl­ten Reste des Bau­ern­hof­brands, die Tin­gue­ly be­nutz­te, ste­hen die Rui­nen stell­ver­tre­tend für die Trüm­mer, die der Mensch welt­weit als Spur sei­nes Schei­terns hin­ter­lä­ßt, ob durch Krie­ge oder von ihm pro­vo­zier­te Na­tur­ka­ta­stro­phen. Durch die alt­meis­ter­li­che Pa­let­te und die Abs­trak­ti­on im fo­to­gra­fi­schen Motiv wirkt das Ge­wirr der ver­schlun­ge­nen Be­weh­run­gen mit den darin ge­hal­te­nen Be­ton­bro­cken fast or­ga­nisch und in sei­nem For­men na­he­zu ba­rock. Wenn man sich eine Weile auf die Bil­der ein­lässt, ent­ste­hen darin An­mu­tun­gen von Kör­pern oder Kno­chen, ein­ge­spannt in dem ver­schlin­gen­den Me­tall­ge­flecht. Die Ma­te­ria­li­tät und die pro­zess­be­ding­te Abs­trak­ti­on geben den Ar­bei­ten aber zu­gleich eine un­er­war­te­te Leich­tig­keit.

Na­tür­lich sind Re­mi­nis­zen­zen an das vom Krieg ver­wüs­te­te Deutsch­land eben­so ge­wollt. Die Zer­brech­lich­keit un­se­rer Le­bens­ge­wohn­hei­ten und un­se­rer De­mo­kra­tie wer­den uns durch die welt­po­li­ti­schen Ge­scheh­nis­se ja ge­ra­de mal wie­der dras­tisch vor Augen ge­führt. Des­halb ist der Bun­ker-D mit sei­nem his­to­ri­schen Kon­text und in sei­nem rohen Ori­gi­nal­zu­stand ideal für die Ar­bei­ten.

Was er­war­tet die Be­su­che­rin­nen und Be­su­cher in den Räu­men? Wor­auf soll­ten die Kunst­in­ter­es­sier­ten be­reit sein, sich ein­zu­las­sen?

In der Aus­stel­lung wer­den aus­schlie­ß­lich neu ent­stan­de­ne Ar­bei­ten zu sehen sein: Vor allem auf den Raum ab­ge­stimm­te und in­stal­la­ti­ve Ar­bei­ten. Sie haben in­halt­lich z.T. eine ge­wis­se Schwe­re, dem ste­hen aber immer auch eine fast ly­ri­sche Schwe­re- und Sub­stanz­lo­sig­keit ge­gen­über, sowie die An­mu­tung eines pflanz­li­chen Wu­cherns. Was der Be­su­cher un­be­dingt mit­brin­gen muss ist Zeit, denn was sich zwi­schen dem abs­tra­hier­ten Motiv in der Tiefe des Bil­des und der Ober­flä­che ab­spielt, er­schlie­ßt sich erst nach und nach, und je län­ger man die Ar­bei­ten be­trach­tet, desto grö­ßer wird ihr Re­so­nanz­raum, desto mehr in­ne­re Bil­der stei­gen auf und umso in­ten­si­ver kann sich der Be­trach­ter mit ihnen in Bezug set­zen.

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