Mit 16 Jahren war Thilo Oeding klar, dass er die Schule möglichst schnell hinter sich lassen wollte. „Weil mich die naturwissenschaftlichen Fächer damals am meisten ansprachen und weil ich von Freunden in der Ausbildung viel Positives gehört hatte, wollte ich einen technischen Beruf ergreifen“, erinnert sich der heute 26-Jährige. Mit seinem Realschulabschluss in der Tasche bewarb sich der Waldorfschüler unter anderem bei thyssenkrupp Marine Systems (tkMS) in Kiel um einen Ausbildungsplatz als Konstruktionsmechaniker der Fachrichtung Schweißtechnik. „Das Aufgabenfeld in der Ausschreibung klang für mich sehr interessant, denn in meiner Freizeit habe ich viel in meiner Metallwerkstatt gearbeitet“, erinnert er sich. „Und die verschiedenen Schweißverfahren klangen für mich sehr spannend.“
Seine Bewerbung war erfolgreich, nahm aber Wendungen. Am 1.9.2014 startete Oeding seine Ausbildung als Konstruktionsmechaniker, allerdings mit der Fachrichtung Ausrüstungstechnik, schwenkte nach dem ersten Lehrjahr auf Industriemechaniker um. Wenngleich Thilo Oeding eigentlich froh war, die Schule hinter sich gelassen zu haben, erwies sich die Berufsschule wider Erwarten als Offenbarung. „Durch den technischen Fokus, habe ich tatsächlich Spaß am Lernen entwickelt. Auch weil in der Berufsschule das theoretische Fundament zu meiner praktischen Arbeit bei tkMS vermittelt wurde, so dass schließlich alles ineinandergriff.“ Der Wissensdurst wurde so groß, dass Oeding begann, sich für ein Studium zu interessieren. Allerdings fehlte ihm dafür der nötige Abschluss. Doch davon ließ er sich nicht abschrecken - im Gegenteil.
„Wenn etwas so schwierig ist, dass es andere abschreckt, sehe ich es als sportliche Herausforderung“, lacht Oeding. Um seinen Plan vom Studium umzusetzen, ging er einen harten Weg: „Während andere den Feierabend und die Freizeit genossen, war ich ab dem dritten Lehrjahr in der Meisterschule der Wirtschaftsakademie (WAK). Zwei Jahre lang habe ich dienstags, donnerstags und samstags in der Abendschule gebüffelt, um an die Hochschulzugangsberechtigung zu kommen.“ Einer seiner Dozenten an der WAK, Prof. Dr.-Ing. Henning Strauß, der an der FH Kiel lehrt, motivierte Oeding mit seinen Erzählungen von der Ausbildung an der FH Kiel.
Der Doppel-Abschluss als Industriemeister Metall und Mechatronik ebnete dem damals 22-Jährigen schließlich diesen Weg in die Hochschule. Als dann bei tkMS im Jahr 2019 firmenintern ein industriebegleitetes Studium angeboten wurde, ließ sich Oeding nicht lange bitten. Im Assessment Center konnte er sich erfolgreich gegen fünf andere Kandidaten durchsetzen und schließlich neben seiner Tätigkeit im Unternehmen ein Maschinenbau-Studium an der FH Kiel beginnen.
Während seines Studium lernte Oeding schnell Gleichgesinnte Industriemechaniker kennen. „Zusammen mit zwei Kommilitonen, die auf den Werften von Nobiskrug und Lürssen arbeiteten, habe wir eine Lerngruppe gegründet. Wir haben uns toll ergänzt und jeden Tag zusammengesessen.“ Auch hier zahlte sich aus, dass Oeding bereits im Berufsleben stand: „Mein Praxiswissen war im Studium ein großer Vorteil, denn die vermittelte Theorie fiel so auf fruchtbaren Boden. Alles wurde aus wissenschaftlicher Basis genau erklärt und so haben sich mir viele Zusammenhänge erschlossen –dass eine Schweißnaht irgendwann reißt kann, war mir klar, aber warum sie es unter welchen Bedingungen tut, das Zusammenspiel von Kräften, Vektoren und Material, das habe ich durch das Studium dann richtig verstanden“, nennt Oeding ein Beispiel.
Im Februar 2022 hat Oeding sein Bachelor-Studium erfolgreich abgeschlossen – in fünf statt sechs Semestern. Seither ist der 26-jährige als Betriebsingenieur bei tkMS tätig. Er kümmert sich um die Optimierung von bestehenden Prozessen und darf Neues ausprobieren. Großes Potenzial sieht er im Bereich Digitalisierung. So erprobt er beispielsweise den Einsatz von Augmented-Reality-Anwendungen. Zudem unterstützt er ein multifunktionales Team, das eine Plattform ausrüstet. Neben diesen Tätigkeiten organisiert er Workshops für die Mitarbeiter, Produktvorstellungen von Fremdfirmen und Messebesuche für die eigenen Reihen.
Die Lust auf das Lernen ist bei Thilo Oeding trotz all der Arbeit aber nicht versiegt. Er hat sich neben seiner Tätigkeit bei tkMS an der FH Kiel bereits für den nicht-konsekutiven Master-Studiengang ‚Betriebswirtschaftslehre‘ eingeschrieben und möchte schließlich den Master in ‚Business Administration‘ machen. „Die Kenntnis der wirtschaftlichen Hintergründe und Zusammenhänge ist wichtig, um mich beruflich weiterzuentwickeln. Ich kann es mir sehr gut vorstellen, irgendwann in der Führungsebene zu arbeiten“, umreißt der Betriebsingenieur seine langfristigen Zukunftspläne. „Mich reizt die Challenge“, bringt er seine Motivation auf den Punkt.