Ein Mann© M. Pilch

Di­gi­ta­li­sie­rung be­flü­gelt in­no­va­ti­ve Land­wirt­schaft

von Joa­chim Kläschen

Wäh­rend das Thema ‚Nach­hal­tig­keit‘ in vie­len Be­rei­chen der Ge­sell­schaft ge­ra­de erst ein­zieht, ist es in der Land­wirt­schaft seit lan­gem fest ver­wur­zelt. Al­ler­dings un­ter­schei­det Prof. Dr. Yves Reck­le­ben, der am Fach­be­reich Agrar­wirt­schaft unter an­de­rem ‚Smart Far­ming‘ und ‚Tech­nik in der Pflan­zen­pro­duk­ti­on‘ un­ter­rich­tet, in der Land­wirt­schaft zwei schein­bar ge­gen­sätz­li­che Be­deu­tun­gen des Be­griffs: „Land­wir­te muss­ten immer schon wirt­schaft­lich den­ken und han­deln. In der kon­ven­tio­nel­len Land­wirt­schaft be­deu­tet das bei­spiels­wei­se, bei mög­lichst ge­rin­gem Ein­satz von Mit­teln einen mög­lichst hohen Er­trag zu er­wirt­schaf­ten. Nur wenn Land­wir­te ren­ta­bel ar­bei­ten, kön­nen sie ihren Be­trieb lang­fris­tig – also nach­hal­tig – er­hal­ten. Auf der an­de­ren Seite müs­sen Land­wir­te aber auch mit ihren Res­sour­cen, bei­spiels­wei­se dem Boden, scho­nend um­ge­hen. Die­ses nach­hal­ti­ge Han­deln ist die Vor­aus­set­zung dafür, dass sie ihren Be­trieb ein­mal an eine fol­gen­de Ge­ne­ra­ti­on wei­ter­ge­ben kön­nen.“ Yves Reck­le­ben und seine Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen er­for­schen in ver­schie­de­nen Pro­jek­ten am Fach­be­reich, wie Land­wir­tin­nen und Land­wir­te durch In­no­va­tio­nen in bei­den Be­rei­chen nach­hal­ti­ger ar­bei­ten kön­nen.

Große Be­deu­tung kommt dabei der Di­gi­ta­li­sie­rung zu. Durch Sen­sor- und Bild­in­for­ma­tio­nen in Ver­bin­dung mit wei­te­ren Da­ten­quel­len kön­nen in der Land­wirt­schaft Tä­ti­ge bei­spiels­wei­se einen tie­fe­ren Ein­blick in den Zu­stand und die An­sprü­che ihrer Flä­chen er­hal­ten, wie Reck­le­ben er­klärt. „Dünge- und Pflan­zen­schutz­mit­tel ma­chen einen sehr gro­ßen Pos­ten in den Kal­ku­la­tio­nen von Land­wir­ten aus. Al­lein schon aus die­sem Grund ist es in ihrem In­ter­es­se, diese nur spar­sam ein­zu­set­zen. Sen­so­ren in den Land­ma­schi­nen und Fel­dern kön­nen kon­ti­nu­ier­lich Bo­den­wer­te er­mit­teln und las­sen Rück­schlüs­se über die Bo­den­ge­sund­heit zu. In der Kom­bi­na­ti­on mit Sa­tel­li­ten­auf­nah­men, wie sol­chen aus den Erd­be­ob­ach­tungs­sa­tel­li­ten Sen­ti­nel-2, und Wet­ter­da­ten des Deut­schen Wet­ter­diens­tes er­hal­ten Land­wir­te ein hy­per­lo­ka­les und damit sehr dif­fe­ren­zier­tes Bild vom Zu­stand ihrer Flä­chen – in jedem Fall dif­fe­ren­zier­ter, als schau­ten sie sich vor der Dün­gung nur einen Teil ihrer Flä­che an und zögen aus die­sem Ein­druck dann Rück­schlüs­se auf den Ge­samt­be­darf.“ Mehr noch tra­gen sol­che kom­ple­xen Daten dazu bei, den Land­wir­tin­nen und Land­wir­ten eine dif­fe­ren­zier­te Grü­ner­trags­pro­gno­se zu lie­fern, damit diese früh wis­sen, ob es ‚ein gutes Jahr‘ wird und wo sie noch nach­bes­sern könn­ten.

Doch nicht nur für die ef­fi­zi­en­te­re Aus­brin­gung von Dünge- und Pflan­zen­schutz­mit­teln bie­tet ver­netz­te Tech­no­lo­gie gro­ßes Po­ten­zi­al, weiß Reck­le­ben: „Land­wir­te kön­nen mit der ent­spre­chen­den Tech­nik und Daten bes­ser be­ur­tei­len, wann sie be­stimm­te Ar­beits­schrit­te vor­neh­men. So ist es für den Boden eine be­son­de­re Be­las­tung, wenn er in feuch­tem Zu­stand mit schwe­ren Ma­schi­nen be­fah­ren wird, weil dies zu einer Ver­dich­tung und Schä­di­gung des Bo­dens führt. Prä­zi­se Wet­ter­vor­her­sa­gen und Feuch­tig­keits­mes­sun­gen geben den Land­wir­ten eine bes­se­re Ent­schei­dungs­grund­la­ge für die Be­ar­bei­tung. Wenn der Land­wirt weiß, dass seine Fel­der für eine Be­ar­bei­tung ei­gent­lich noch zu feucht sind, aber die Wit­te­rung be­stän­dig bleibt – also ein op­ti­ma­ler Zeit­punkt für die Be­ar­bei­tung erst noch kommt – kann er Ar­beits­schrit­te ent­spre­chend pla­nen und so den Boden scho­nen.“

Um der Land­wirt­schaft wei­te­re Ein­bli­cke zu geben, ar­bei­tet der Fach­be­reich Agrar­wirt­schaft zu­sam­men mit dem Fach­be­reich In­for­ma­tik und Elek­tro­tech­nik und dem Fach­be­reich Me­di­en an dem Pro­jekt „BeSt-SH“. Ziel ist es zum einen, alle Pro­zes­se, die in land­wirt­schaft­li­chen Be­trie­ben an­fal­len, exakt zu er­fas­sen und ihr Zu­sam­men­wir­ken zu ana­ly­sie­ren. „Wenn Land­wir­te um ex­ak­te Werte ihres Fut­ters und das Ver­hal­ten ihrer Tiere wis­sen, ver­ein­facht das nicht nur die Pla­nung beim Ein­kauf und der La­ger­ka­pa­zi­tä­ten; sie er­hal­ten bei­spiels­wei­se auch Ein­bli­cke in die Zu­sam­men­set­zung der Gülle und kön­nen diese viel ef­fek­ti­ver in Ab­hän­gig­keit vom Nähr­stoff­ge­halt ein­set­zen“, weiß Reck­le­ben. Schlie­ß­lich sol­len Be­trie­be und ihre Pro­zes­se so in einer Aug­men­ted Rea­li­ty (AR) um we­sent­li­che In­for­ma­tio­nen er­wei­tert wer­den. Mit einem Head­set kön­nen In­ter­es­sier­te auf eine räum­li­che Nach­bil­dung ihres Be­trie­bes bli­cken und Ver­än­de­run­gen und deren Aus­wir­kun­gen live ver­fol­gen. Bei­spiels­wei­se, wie sich die Größe einer An­la­ge auf das Ge­samt­ge­fü­ge des Be­triebs aus­wirkt. Wie in einem Vi­deo­spiel wer­den Kom­po­nen­ten in der Si­mu­la­ti­on ver­scho­ben, ver­grö­ßert und ver­klei­nert, die Aus­wir­kun­gen auf die Pro­duk­ti­on und Stoff­strö­me um­ge­hend sicht­bar. Diese Er­kennt­nis­se über die kom­ple­xen Zu­sam­men­hän­ge sol­len nicht nur in der Land­wirt­schaft aktiv und be­ra­tend Tä­ti­gen hel­fen, son­dern auch schon in die Aus­bil­dung von an­ge­hen­den Land­wir­tin­nen und Land­wir­ten sowie Stu­die­ren­den ein­flie­ßen.

Dass in der Land­wirt­schaft selbst kleins­te Ver­än­de­run­gen große Aus­wir­kun­gen haben kön­nen, zeigt ein mitt­ler­wei­le ab­ge­schlos­se­nes Pro­jekt am Fach­be­reich, das sich mit der flä­chen­de­cken­den Be­reit­stel­lung von Kor­rek­tur­si­gna­len aus­ein­an­der­setzt. Reck­le­ben er­klärt: „Bei der Be­ar­bei­tung der Fel­der be­nö­ti­gen die Land­ma­schi­nen prä­zi­se Po­si­ti­ons­an­ga­ben. Her­kömm­li­che GPS-Si­gna­le sind zu un­ge­nau, denn sie be­stim­men die Po­si­tio­nen le­dig­lich auf ei­ni­ge Meter. Mit Hilfe von so­ge­nann­ten Kor­rek­tur­si­gna­len las­sen sich die Ma­schi­nen auf einen Zen­ti­me­ter-prä­zi­sen Kurs brin­gen, der es den Land­wir­ten er­mög­licht, die zur Ver­fü­gung ste­hen­de Flä­che best­mög­lich aus­zu­nut­zen. Auch wer­den durch die kor­ri­gier­ten An­ga­ben die Ver­brauchs­men­gen für Dünge- und Pflan­zen­schutz­mit­tel re­du­ziert, was neben dem wirt­schaft­li­chen Vor­teil auch die Böden schont.“ Aus die­sem Pro­jekt am Fach­be­reich ist schlie­ß­lich das Start-up-Un­ter­neh­men ‚Sim2x‘ her­vor­ge­gan­gen, das der Land­wirt­schaft und Lohn­un­ter­neh­mern ex­ak­te Daten für 150 Euro im Jahr zur Ver­fü­gung stellt; ein an­ge­sichts der Ein­spa­run­gen bei den Ar­beits­mit­teln und den Mög­lich­kei­ten zur ef­fek­ti­ve­ren Be­wirt­schaf­tung der Flä­chen ge­rin­ger Preis, meint Reck­le­ben.

Wie sich In­no­va­tio­nen in der Land­wirt­schaft gleich in meh­re­ren Hin­sich­ten für Mensch und Natur aus­zah­len kön­nen, zeigt eine am Fach­be­reich ent­wi­ckel­te Si­lo­ab­de­ckung aus Mais­gries. Üb­li­cher­wei­se ver­wen­den Agrar­be­trie­be drei Lagen Kunst­stoff­fo­lie, um das ge­ern­te­te Grün­fut­ter von den Fel­dern in Fahr­si­los für den Win­ter halt­bar zu ma­chen und zu la­gern. Ent­spre­chend ent­steht in den Be­trie­ben jedes Jahr Plas­tik­ab­fall, der nur schwer re­cy­celt wer­den kann. Reck­le­ben hat am Fach­be­reich eine Ab­de­ckung aus Mais­stär­ke ent­wi­ckelt, die nicht nur bio­lo­gisch ab­bau­bar ist, son­dern sogar als Vieh­fut­ter ver­wen­det wer­den kann. „Bei un­se­ren Ex­pe­ri­men­ten konn­ten wir zudem einen in­ter­es­san­ten Ne­ben­ef­fekt be­ob­ach­ten“, sagt der Pro­fes­sor. „Kühe sind Fein­schme­cker, sie fres­sen zu­erst das Fut­ter, das ihnen am bes­ten schmeckt. Tat­säch­lich haben die Tiere zu­nächst die Reste der neuen Ab­de­ckung ver­zehrt, die der Si­la­ge bei­ge­mischt war. Nicht nur ver­mei­det die ab­bau­ba­re Folie Ab­fall, sie hat zudem einen hohen Nähr­wert, so dass Land­wir­te we­ni­ger Kraft­fut­ter auf­wen­den müs­sen.“

Diese Ab­de­ckung aus nach­wach­sen­den Roh­stof­fen hat sich im Pro­jekt­ver­such be­währt, und das Team um Yves Reck­le­ben hat viele po­si­ti­ve Rück­mel­dun­gen von Fach­leu­ten aus der Land­wirt­schaft er­hal­ten. Nun ist es al­ler­dings an der In­dus­trie, die Idee auf­zu­grei­fen, damit das in­no­va­ti­ve Ver­fah­ren Land­wir­tin­nen und Land­wir­ten im gro­ßen Maß­stab zur Ver­fü­gung steht. Dafür führt der Fach­be­reich be­reits Ge­sprä­che mit Un­ter­neh­men, damit die nach­hal­ti­gen Ideen auch in der all­täg­li­chen land­wirt­schaft­li­chen Pra­xis die Ar­beit er­leich­tern und den An­teil von Plas­tik re­du­zie­ren.

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