Im Forschungsfeld zwischen Sport und Wissenschaft
Auf ein Gespräch mit Professor Kai Graf im Windkanal an der FH Kiel
Auf den ersten Blick wirkt der Windkanal auf der oberen Plattform in der riesigen Werkhalle der FH Kiel unscheinbar: Vor einem breiten Rohr, das an der Öffnung mit hellen Lamellen bedeckt ist, sind auf einer runden Plattform zwei Schiffsmodelle aufgebaut – ein Katamaran und ein Container. Das kann man erst erkennen, wenn der Windkanal in Aktion kommt.
Ein Ventilator im Rohr simuliert den Wind, der auf die beiden Schiffe trifft, unter den Modellen misst eine Messwaage alle Strömungskräfte, die der Wind auf das Schiff ausübt, und die kleinen Lamellen lassen sich so stark verschieben und biegen, dass sie eine ganz spezielle Windströmung simulieren können. „So einen hochgradig spezialisierten Windkanal kann man nicht einfach kaufen“, sagt Professor Kai Graf, der am Institut für Schiffbau auf dem Gebiet der Strömungsmechanik lehrt. „Wir haben ihn vor zwölf Jahren komplett selbstgebaut.“
Einzigartige Messtechnik des Windes
Schiffbauer, Maschinenbauer, Feinwerktechniker und Mechatroniker der FH taten sich zusammen und bauten in multidisziplinärer Arbeit nicht nur den Windkanal, sondern auch das hochgenaue Dynamometer, das den Windkanal an der FH Kiel so einzigartig macht. „Diese Messwaage ist wirklich ein Highlight“, so Graf. „Solche Windkanäle gibt es höchstens vier-, fünfmal auf der Welt.“
Eine weitere Besonderheit des Windkanals sei die Twisted Flow Technik. „Twisted Flow steht für ein Charakteristikum des Windes, den wir hier erzeugen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen unten vor einer Kirche. Dort weht nur ein laues Lüftchen. Stehen Sie aber auf dem Kirchturm, windet es ziemlich kräftig. Das bedeutet, dass die Windgeschwindigkeit höhenabhängig ist“, erklärt Graf das Prinzip an einem anschaulichen Beispiel. Bezogen auf die Schiffe heiße dies, dass beispielsweise das Segel einer Yacht eine Strömung abbekommt, die von der Geschwindigkeit des Windes und der Höhe abhängt. Daher werde das Schiffsmodell vom Windkanal durch die gebogenen Lamellen schräg von unten angeströmt.
Sind für einen Versuch fünf Tage vorgesehen, werden vier Tage zur Vorbereitung des Modells benötigt. Nach einem bestimmten Schema werden Segel, Gerüst und Untergrund gebaut. Das aktuelle Katamaran-Modell ist für eine olympische Segelsportkampagne entstanden. Für den finalen Versuch wurde das Modell in eine bestimmte Stellung zum Wind aus dem Ventilator gebracht, angeströmt und durch eine Messung am PC begleitet. „Über den Monitor werden Modell, Wind und Messtechnik angesteuert“, erläutert Graf.
Mit dem Windkanal die Region stärken
Entwickelt wurde der Windkanal, der im Besitz des Forschungs- und Entwicklungszentrums Fachhochschule Kiel GmbH ist, im Rahmen eines europäischen Fördervorhabens. Das Zentrum administriert Technologietransferdienstleistungen der Hochschullehrenden für die Industrie. Durch das Bestreben des Zentrums wurde der Windkanal gefördert, um den Segelmachern der Region Kiel diese Technologie zur Verfügung zu stellen. „Segelmachereien benötigen den Kanal, um ihre Segel zu testen“, erklärt Graf. Seitdem können Kieler Segelmacher und auch Akteure aus dem Segelsport gemeinsam mit den Lehrenden und Studierenden des Fachbereichs Maschinenwesen am Windkanal forschen.
Die Formel 1 des Segelsports: FH Kiel mittendrin
Besonders in Sportkampagnen, wie die Aufträge aus dem Segelsport genannt werden, konnte in den letzten Jahren an der Entwicklung der Schiffe mitgewirkt werden. „Dazu gehören sogar Aufträge vom America’s Cup, dem Volvo Ocean Race, der Jules Verne Trophy…quasi die Formel 1 des Segelsports“, zählt Graf auf. „Für Fans des Segelsports also die Events. Wer hier einmal mitarbeiten kann…“ Spannende Möglichkeiten, die den Studierenden und Lehrenden der FH Kiel bei dieser Nutzung des Windkanals geboten werden. „Wann immer es möglich ist, binden wir Studierende in die laufenden Projekte mit ein“, betont Graf. „Sie haben Zugang zum Windkanal und können hier auch an ihren Studienarbeiten feilen. Machen sie aber bei den Kampagnen mit, können sie auch bezahlt werden.“
Professor Graf ist aktuell im Bereich der Segelyachten drittmittelaktiv, eine gute Ausgangslage in Kiel als Sailing City. Seine Kollegen befassen sich mit Windenergieanlagen und sogar mit Zelten. Alle Versuche werden durch das besondere Charakteristikum des Twisted Flow untersucht und haben Vorteile gegenüber anderen Versuchen auf der Welt. „Ich habe ein paar Kollegen in Mailand, South Hampton, Auckland und Maryland, die einen ähnlichen Versuchsaufbau haben. Kiel reiht sich in einen hohen Weltstandard ein“, sagt Graf.
Was ihn am Segeln und seinen Versuchen so begeistert? Segeln sei angewandte Strömungsmechanik, so der Professor. „Wenn man als Ingenieur im Segelsport unterwegs ist, dann hat man den besonderen Vorteil, dass die Theorie der Strömungsmechanik so unmittelbar angewandt wird.“ Alles, was man in der Lehre theoretisch erkläre, könne man sofort auf dem Wasser abbilden. Er schätze auch die lange Versuchszeit für bestimmte Projekte der Sportkampagnen. „Unsere Ergebnisse müssen in Regatten in den einschlägigen Sportevents dann zeigen, dass das richtig war, was wir gemacht haben. Diese nahe Verbindung von Sport und Wissenschaft macht dieses Forschungsfeld einzigartig.“