In einer offenen halb herausgezogenen Schublade sind Karteikarten mit der Aufschrift Häftling zu sehen. Foto: Emily Mohney.© E. Mohney
Häftlingskarten aus dem KZ-Neuengamme: Die Gedenkstätte beteiligt sich am grenzüberschreitenden Interreg-Projekt "Hope & Despair".

„Hope & Despair" – Ein grenzüberschreitendes Projekt zum Zweiten Weltkrieg

von Frauke Schäfer

Wie kann eine aufeinander bezogene, grenzüberschreitende Erinnerungskultur entstehen? Wie können Urlauber*innen für die Geschichte des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs interessiert werden? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des dänisch-deutschen Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Hope & Despair“. In seinem Rahmen erarbeiten Institutionen aus dem Grenzgebiet Konzepte für eine zeitgemäße Erinnerungskultur. An dem Projekt unter der Leitung der Design School Kolding sind neben der Fachhochschule (FH) Kiel und der Europa-Universität Flensburg, dänische und deutsche Museen und Gedenkstätten sowie Tourismusorganisationen beteiligt. Das Projekt mit einer Laufzeit von drei Jahren wird mit rund 1,3 Millionen Euro aus Interreg-Mitteln der Europäischen Union gefördert.

Tourismusstudien zeigen ein großes und wachsendes Interesse am Zweiten Weltkrieg. Im deutsch-dänischen Grenzgebiet erinnern mehrere Museen und Gedenkstätten an diese Zeit, sieben von ihnen haben sich jetzt zum Interreg-Projekt „Hope & Despair“ zusammengeschlossen. „Nationalsozialistische Verfolgungspraxis war nicht beschränkt auf einzelne, isolierte Orte. Sie überzog Europa vielmehr wie ein dichtes, engmaschiges Netz. Dies gilt es mitzudenken, wenn wir Geschichten und insbesondere Biografien der Verfolgten erzählen“, betont Clara Mansfeld von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. „Wir nehmen mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme am Projekt teil, um in einem partizipativ gestalteten Entwicklungsprozess neue Wege zu gehen, diese Geschichte im süddänischen und norddeutschen Raum zu vermitteln.“

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg liegt rund 200 Kilometer südlich der deutsch-dänischen Grenze, Billund rund 120 Kilometer nördlich von ihr. Hier befindet sich die größte Sammlung von Artefakten aus dem Zweiten Weltkrieg in Dänemark, eine Ausstellung erinnert an die damalige Rolle der Eisenbahn. 40 Kilometer südlich, im Museum Kolding, ermöglicht die einzige erhaltene Gestapozelle Dänemarks einen Blick in die Besatzungsgeschichte der Stadt. Wer von hier aus in Richtung Süden fährt, kommt am Frøslevlejrens Museum vorbei, dem historischen Ort des Internierungslagers Frøslev. Ab August 1944 wurden hier vor allem sogenannte politische Häftlinge und dänische Polizisten inhaftiert.

Auf der anderen Seite der Grenze befanden sich zwei Außenlager des KZ Neuengamme. Die Häftlinge der Lager Husum-Schwesing und Ladelund wurden gezwungen, den so genannten Friesenwall zu errichten. Im November und Dezember 1944 starben allein in Ladelund 300 Häftlinge beim Bau von Panzerabwehrgräben. Sie sind auf dem örtlichen Friedhof neben der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte beerdigt, erklärt deren Leiterin Dr. Katja Happe. „Die Häftlinge kamen aus ganz Europa. Aufgrund unserer Lage in der unmittelbaren Grenznähe zu Dänemark haben wir ein starkes Interesse daran, die grenzüberschreitende Erinnerungsarbeit auszubauen.“ Auch das Jüdische Museum Rendsburg beteiligt sich am Projekt und erhofft sich durch die grenzüberschreitende Erinnerungs- und Zusammenarbeit neue Perspektiven auf die eigenen Themen. „Gemeinsam mit einer dänischen Künstlerin werden wir ‚Hope & Despair‘ mit Inhalten und Fragestellungen, die über die NS-Zeit hinausgehen, bereichern und attraktive Angebote für dänische und deutsche Besuchende entwickeln“, erklärt dessen Leiter Jonas Kuhn.

Zusammenarbeit über Landes- und Institutionsgrenzen hinweg

Trotz ihres gemeinsamen historischen Bezugspunkts arbeiten die sieben Museen und Gedenkstätten beiderseits der Grenze zum ersten Mal in dieser Konstellation zusammen. „Gemeinsam können die sieben Orte zu einer großen Attraktion werden“, ist Projektleiter Sune Gudiksen von der Design School Kolding überzeugt. „Es ist sehr sinnvoll, die Geschichten miteinander zu verknüpfen und standortübergreifend zu kommunizieren. Es ist, als ob man von einem Kinofilm zu einer Reihe von TV-Episoden übergeht.“ „Hope & Despair“ ist am Labor für Spiel und der Hochschule angesiedelt und Teil des Forschung- und Entwicklungsprogramms „Playful attractions“. Die Wissenschaftler*innen aus Kolding steuern neben der Projektleitung ihre Erfahrungen in Play Design und Beteiligungsprozessen bei.

Das Sonic College der UC SYD bringt mit seiner ATMOSphere-Forschungsgruppe Erfahrungen mit der Integration von Klangelementen in das Storytelling und die Vermittlung in Museen ein. Deren Bedeutung als wesentliche Aspekte der Gestaltung von Museumsausstellungen wird zunehmend besser verstanden, erklärt Birgitte Folmann. „Klang kann nicht nur die Gesamtatmosphäre einer Ausstellung beeinflussen, sondern auch einzigartige Interpretationsinhalte vermitteln und eine multisensorische Auseinandersetzung mit den Artefakten ermöglichen.“

Differenzierter Blick auf Geschichte auch für künftige Generationen

Mit ihrer Expertise in Ausstellungs- und Kommunikationstechniken sollen die Hochschulen eine zeitgemäße, relevante und attraktive Kommunikation gewährleisten. Neben Tourist*innen nehmen die Projektpartner auch junge Generationen in den Blick: In didaktischen Angeboten soll ein Fokus auf die Vermittlung historischer Zusammenhänge und die Förderung des reflexiven Geschichtsbewusstseins gelegt werden. An der Fachhochschule Kiel sollen Storytelling-Konzepte entstehen, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs aus verschiedenen Perspektiven aufgreifen, erklärt der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Tobias Hochscherf: „Es gibt nur noch wenige Augenzeug*innen, die von ihren Erlebnissen aus dem Zweiten Weltkrieg berichten können. Umso wichtiger ist es, zukünftigen Generationen einen kritischen Blick auf die Geschichte zu ermöglichen.“

An der Europa-Universität Flensburg ist Hedwig Wagner in das Projekt involviert. Inwieweit die Erinnerungskulturen transnational sein können, sei eine der spannendsten Fragen unserer Zeit, erklärt die Professorin für Europäische Medienwissenschaft. Ihr Augenmerk gilt den Schnittpunkten zwischen Europa und Medien. „Das ist auch mein Interesse am Projekt ‚Hope & Despair‘: Inwieweit können durch eine grenzüberschreitende Tour im norddeutsch-süddänischen Raum die Spuren der einerseits national anders wahrgenommenen und der andererseits verschiedenen Vergangenheitsschichten erfahren und verflochten werden und somit zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Vergangenheit beitragen? Mein Motto lautet: Europa ward durch Medien – gerade auch durch Erinnerungsmedien und mediale Vermittlungen von Vergangenheit.“ 

Neben den Hochschulen sowie den Museen und Gedenkstätten beteiligen sich auch drei Tourismusagenturen beiderseits der deutsch-dänischen Grenze an „Hope & Despair“. Sie steuern ihr Know-how im Marketing bei, erklärt Gorm Casper, Geschäftsführer der Tourismus Agentur Flensburger Förde GmbH: „Wir wollen Erlebnisangebote entwickeln, insbesondere im Bereich Storytelling zum Themenbereich Zweiter Weltkrieg und zu Erinnerungsorten der NS-Zeit. Dies wird zur Erweiterung unseres Angebots für Gruppenreisen genutzt werden, aber auch zur Entwicklung spezifischer Führungen – ob nun per Guide oder per Smartphone.“

Hintergrund

Das Projekt „Hope and Despair“ ist offiziell am 1. Mai 2023 gestartet und läuft über drei Jahre. Es wird von Interreg 6A Deutschland-Danmark unterstützt, einem Programm zur Förderung der Entwicklung in der dänisch-deutschen Region. Die Idee stammt von der Design School skolen Kolding, die auch die Projektleitung innehat. Weitere dänische Beteiligte: Museum Kolding, Frøslevlejrens Museum, Billund Municipality Museums, Destination Sønderjylland und Destination Triangle Area sowie die UC SYD. Auf deutscher Seite beteiligen sich die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund, die KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing, das Jüdische Museum Rendsburg, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Teil der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen), die Tourismuszentrale Flensburger Förde sowie die Fachhochschule Kiel und die Europa-Universität Flensburg.

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