Eine Frau© M. Pilch

Heute in der Reihe „Wie wird man ei­gent­lich Pro­fes­sor*in?“: Doris We­ßels

von Aenne Boye

Die Pro­fes­so­rin Dr. Doris We­ßels ist eine ta­ten­freu­di­ge Netz­wer­ke­rin. Sie liebt es, Men­schen und The­men zu ver­bin­den und Pro­jek­te in Be­we­gung zu set­zen. In ihren ver­schie­de­nen be­ruf­li­chen Sta­tio­nen in den Bran­chen Ma­schi­nen- und An­la­gen­bau, Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­on und Ban­ken hat sie immer wie­der da­zu­ge­lernt. Seit mehr als zehn Jah­ren bringt Doris We­ßels ihre Be­rufs­er­fah­rung als Pro­fes­so­rin für Wirt­schafts­in­for­ma­tik mit dem Schwer­punkt Pro­jekt­ma­nage­ment in ihre Lehre an der FH Kiel ein. Mit Aenne Boye sprach sie über ihre Mo­ti­va­ti­on und ihren Wer­de­gang.

Frau We­ßels, was mögen Sie be­son­ders an Ihrem Beruf als Pro­fes­so­rin?

Ich mag den täg­li­chen Dia­log mit den „jun­gen Wil­den“. Die täg­li­che Por­ti­on Er­schüt­te­rung tut mir gut. Ich denke, je älter man wird, desto ge­fes­tig­ter wird die ei­ge­ne Mei­nung. Da kann die an­de­re Per­spek­ti­ve einer jün­ge­ren Ge­ne­ra­ti­on sehr er­fri­schend sein. Das ist ab und zu an­stren­gend, ist aber auf der an­de­ren Seite auch fas­zi­nie­rend schön. Ich denke, das hält mich jung und zeigt mir immer wie­der aufs Neue, dass wir die Chan­cen zum Ler­nen wie ein „Ge­schenk“ sehen soll­ten.

Woll­ten Sie denn schon immer in die Lehre und For­schung?

In mei­ner Schul­zeit moch­te ich Ma­the­ma­tik sehr. Ich habe das Fach als Leis­tungs­kurs be­legt. Da­mals haben mir viele mei­ner Schul­freun­de ge­sagt: „Werde doch Leh­re­rin." Das konn­te ich aber mit Si­cher­heit aus­schlie­ßen. Ich dach­te mir, dann musst du dein Leben lang das un­ge­lieb­te und ver­hass­te Fach Mathe un­ter­rich­ten. Des­halb habe ich ein­fach Ma­the­ma­tik auf Di­plom stu­diert. Für alle war klar, dass ich da­nach in die Ver­si­che­rungs- oder Ban­ken-Bran­che gehen würde. Lei­der wurde uns in mei­ner Hei­mat­stadt in Nie­der­sach­sen da­mals keine fun­dier­te Stu­di­en­be­ra­tung an­ge­bo­ten, so wie es un­se­re Stu­di­en­in­ter­es­sier­ten heute ge­nie­ßen kön­nen. Mir selbst war daher nicht wirk­lich klar, was ich mit dem Stu­di­um hin­ter­her ma­chen würde. Trotz­dem habe ich mir in mei­ner Schul­zeit am Gym­na­si­um oft ge­dacht, dass es teil­wei­se un­glück­lich ist, wie Leh­rer an ein Thema her­an­ge­hen. Kein Wun­der, dass viele die In­hal­te nicht ver­stan­den haben. Schon da­mals woll­te ich am liebs­ten un­ter­stüt­zen und hel­fen.

Nach­dem Sie an der West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät in Müns­ter Ma­the­ma­tik mit BWL als Ne­ben­fach und In­for­ma­tik als Wahl­fach stu­dier­ten, haben Sie am In­sti­tut für Fi­nanz­wirt­schaft und In­ves­ti­ti­on der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg pro­mo­viert über „Mo­del­lie­rungs­kon­zep­te im Rah­men eines um­welt­schutz­in­du­zier­ten In­no­va­ti­ons­ma­nage­ments“. Was be­deu­tet das genau?

Die Idee zu mei­ner Dis­ser­ta­ti­on ent­stand zu einer Zeit, in der eine um­welt­be­wuss­te Un­ter­neh­mens­füh­rung immer be­deut­sa­mer wurde für Un­ter­neh­men. Ich habe ma­the­ma­ti­sche Mo­del­le ent­wi­ckelt, um die her­kömm­li­che Pro­duk­ti­ons­theo­rie zu er­wei­tern. Diese ma­the­ma­ti­schen Mo­del­le habe ich zum Bei­spiel für die Pro­duk­ti­ons­ent­schei­dung kon­zi­piert, die An­rei­che­run­gen von Schad­stof­fen in der Um­welt be­rück­sich­tigt und be­wer­tet. Wäh­rend mei­ner Pro­mo­ti­ons­zeit an der Uni in Ol­den­burg habe ich auch am Lehr­stuhl mit­ge­ar­bei­tet, das in­ter­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­spiel mit den an­de­ren wis­sen­schaft­li­chen Mit­ar­bei­tern ge­nos­sen und die Lehre un­ter­stützt. Schon da­mals konn­te ich mir gut vor­stel­len, spä­ter ein­mal Fach­hoch­schul­pro­fes­so­rin zu wer­den. Je­doch woll­te ich erst ein­mal Be­rufs­er­fah­rung sam­meln.

Wie haben Sie den Ein­stieg in die Pra­xis er­lebt?

Am 1. April 1992 bin ich mit mei­nem Ehe­mann nach Kiel ge­zo­gen, weil wir beide ge­ra­de frisch in un­se­re Jobs ein­ge­stie­gen sind. Da­mals dach­te ich, dass jetzt der Ernst des Le­bens be­ginnt und Schluss mit der Frei­heit sei. Ich fühl­te mich wie ka­na­li­siert und dach­te, ich ste­cke jetzt mein gan­zes Leben in der „Rille“ des Jobs fest. Das stell­te sich al­ler­dings als Trug­schluss her­aus. Die Pro­jek­te mei­ner Ar­beit waren an­spruchs­voll und fas­zi­nie­rend. Ich fühl­te mich gar nicht ein­ge­engt, son­dern eher ge­for­dert und da­durch mo­ti­viert. Ich fing als Sys­tem­be­ra­te­rin, Pro­jekt- und Pro­dukt­ma­na­ge­rin und Ver­triebs­be­auf­trag­te bei der Nord­deut­schen In­for­ma­ti­ons-Sys­te­me GmbH an. Das war eine IT-Toch­ter der HDW-Werft. Dort er­war­te­te mich eine Her­aus­for­de­rung nach der an­de­ren. Meine ers­ten Pro­jek­te be­schäf­tig­ten sich damit, die schiff­bau­li­che Fer­ti­gung durch neue Ro­bo­ter­tech­no­lo­gie und die IT-An­bin­dung zu au­to­ma­ti­sie­ren. Das war für mich in jeg­li­cher Form Neu­land. Ich wurde auch spä­ter, zu­min­dest ge­fühlt, mit jedem Pro­jekt stän­dig ins kalte Was­ser ge­schmis­sen und muss­te stram­peln, um an die Ober­flä­che zu kom­men. Häu­fig muss­te ich alles neu und häu­fig au­to­di­dak­tisch ler­nen. Diese Viel­falt und Fas­zi­na­ti­on stän­dig neuer Pro­jek­te und Kun­den­an­for­de­run­gen ge­paart mit tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten mach­ten mir aber auch sehr viel Spaß.

Wenn Ihnen Ihr Job so viel Spaß ge­macht hat, wieso sind Sie dann Pro­fes­so­rin ge­wor­den?

Wäh­rend mei­ner Pra­xis­zeit kam immer wie­der der Ge­dan­ke auf, ich könn­te FH-Pro­fes­so­rin wer­den. Al­ler­dings kam mir das zu dem Zeit­punkt zu lang­wei­lig vor. Mein pro­jekt­be­zo­ge­nes Ar­beits­le­ben er­schien mir viel span­nen­der. Das än­der­te sich je­doch um die Jahr­tau­send­wen­de, als der In­ter­net-Hype en­de­te. Ich war da­mals in einem Un­ter­neh­men im Ma­nage­ment tätig, das einen Bör­sen­gang plan­te und bei dem nach einem sehr stei­len Wachs­tum spon­tan die Ab­wick­lung des Un­ter­neh­mens ein­ge­läu­tet wurde. Diese Ab­wick­lung des Un­ter­neh­mens war für mich ein sehr an­spruchs­vol­les Or­ga­ni­sa­ti­ons­pro­jekt, denn es galt nun, eine große Grup­pe von Mit­ar­bei­ter*innen in ein an­de­res Un­ter­neh­men zu über­füh­ren. Die Zeit dort kam mir jeden Tag wie ein Aben­teu­er vor. Zu mei­nem Mann habe ich immer ge­sagt: „Ich fahre wie­der ins Aben­teu­er­land.“ Ir­gend­wann woll­te ich kein Hü und Hot mehr, son­dern such­te etwas Nach­hal­ti­ges, Be­stän­di­ges und Sinn­stif­ten­des, bei dem ich mich mit mei­nen Er­fah­run­gen und mei­nem Wis­sen sinn­voll ein­brin­gen konn­te. So kam es, dass ich mich auf eine Pro­fes­sur be­warb, ob­wohl ich da­mals noch große Zwei­fel hatte.

Wieso hat­ten Sie große Zwei­fel?

Ich dach­te, dass ich für eine Pro­fes­sur zu wenig wis­sen­schaft­li­che Ver­öf­fent­li­chun­gen hatte. Neben dem Be­rufs­le­ben hatte ich ein­fach keine Muße, aus­führ­lich zu for­schen. Nach­dem eine Pro­fes­so­rin aus Stutt­gart mich darin un­ter­stütz­te, es zu ver­su­chen, be­warb ich mich 2004 auf die Pro­fes­sur für Wirt­schafts­in­for­ma­tik an der Wirt­schafts­aka­de­mie Schles­wig-Hol­stein GmbH (heute Duale Hoch­schu­le Schles­wig-Hol­stein DHSH).

Hat­ten Sie nach so vie­len Jah­ren in der Pra­xis nicht alles ver­ges­sen, was Sie an der Uni ge­lernt haben?

Na­tür­lich muss­te ich mir ei­ni­ge theo­re­ti­sche und wis­sen­schaft­li­che Dinge wie­der an­eig­nen. Das stän­di­ge Ler­nen zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Im Job muss­te ich viel ler­nen und beim Ein­stieg in die Wis­sen­schaft auch. Durch die Pra­xis­er­fah­rung kann ich al­ler­dings die Wis­sen­schaft viel bes­ser ein­ord­nen. Das sehe ich als große Stär­ke der FH ge­gen­über der Uni, weil an den Unis die Pro­fes­so­ren meis­tens nicht in der Wirt­schaft ge­ar­bei­tet haben. Ei­ni­ge Er­leb­nis­se, die ich hatte, würde ich nicht glau­ben, hätte ich sie nicht selbst er­lebt.

Seit dem Win­ter­se­mes­ter 2008/09 haben Sie nun an der FH Kiel die Pro­fes­sur für Wirt­schafts­in­for­ma­tik inne. Was zeich­net Ihre Ar­beit als Pro­fes­so­rin aus?

Die Ar­beit hier wird nie lang­wei­lig. An der FH hat man als Pro­fes­so­rin viele Ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten, kann dar­über viel be­we­gen und ent­wi­ckelt sich selbst wei­ter. Toll war auch, dass ich von Be­ginn an bei der Ein­füh­rung der in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Wo­chen (IDW) dabei sein konn­te. Ich fand es be­wun­derns­wert, dass unser FH-Prä­si­dent Pro­fes­sor Udo Beer die­ses weg­wei­sen­de aber auch po­la­ri­sie­ren­de Pro­jekt mit so viel Mut und Aus­dau­er ein­ge­führt hat. Schlie­ß­lich neh­men wir zwei Wo­chen vom Se­mes­ter, schaf­fen aber wich­ti­gen Frei­raum für in­ter­dis­zi­pli­nä­re The­men – The­men, die im fach­spe­zi­fi­schen Den­ken und den klas­si­schen Cur­ri­cu­la an­sons­ten nie be­rück­sich­tigt wür­den. Bei mei­ner Ar­beit als Pro­fes­so­rin führe ich mir immer wie­der meine Vor­bild­funk­ti­on vor Augen – eine der­ar­ti­ge Her­aus­for­de­rung hatte ich bei­spiels­wei­se in der Wirt­schaft nicht. Au­ßer­dem mag ich die Viel­falt von Men­schen. Ich finde es super schön, dass ich Men­schen be­glei­ten darf, zu ihrer Ent­wick­lung bei­tra­ge und er­le­be, wie sich die Stu­die­ren­den ihren Weg bah­nen. Vor ein paar Wo­chen hat sich ein ver­zwei­fel­ter Stu­die­ren­der an mich ge­wandt, der kei­nen Job bekam und meine Un­ter­stüt­zung er­fragt hat. Ich habe ihm Mut ge­macht, ein paar Tipps ge­ge­ben, und dann kam kurze Zeit da­nach die E-Mail von ihm, dass er hier in Kiel einen Job an­tritt. Sol­che Er­leb­nis­se ma­chen mich wirk­lich glück­lich. Das zeigt auch noch ein­mal das fa­mi­liä­re Mit­ein­an­der an der FH. Ich kenne viele beim Namen, ob­wohl unser Fach­be­reich mitt­ler­wei­le wirk­lich groß ge­wor­den ist.

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