Einen Monat nach dem virtuellen Start des Sommersemesters zieht die Fachhochschule (FH) Kiel eine überwiegend positive Bilanz. Auf das am 13. März 2020 beschlossene Verbot von Präsenzlehre hatten die Verantwortlichen an den Fachbereichen schnell reagiert und übers Wochenende eine weitgehende Verlagerung der Lehre ins Internet realisiert. So konnte das Semester fristgerecht am Montag, 16. März, starten. Oberstes Ziel des Präsidiums, so FH-Präsident Prof. Dr. Udo Beer, war und ist, das Sommersemester erfolgreich zu Ende zu bringen. „Wenn möglich sollen unsere Studierenden alle nach dem Curriculum vorgesehenen Lehrveranstaltungen belegen können. Dies schaffen wir auch zu einem sehr hohen Anteil. So geht selbst von einer Bedrohung ein positiver Impuls aus, von dem unsere Hochschule profitieren wird. Die Digitalisierung der Lehre hat einen erheblichen Schub erfahren und vor allem Befürchtungen der Lehrenden abgebaut.“
Zwei Umstände hatten die Umstellung an der FH Kiel begünstigt: die langjährige Nutzung der Lehr- und Lernplattform Moodle und die Erfahrung mit Online-Studiengängen. Insgesamt bietet die FH Kiel sieben Online-Bachelor- und Masterstudiengänge an. Das zuvor genutzte Webkonferenzsystem Adobe Connect war der plötzlich gestiegenen intensiven Nutzung durch zahlreiche deutsche Hochschulen nicht gewachsen, deswegen setzen die Lehrenden zunächst unter anderem die Software Zoom für den Austausch und die Kommunikation ein. Um die Datensicherheit zu erhöhen, hat die FH Kiel eine Hochschullizenz erworben. Durch den Anmeldeprozess über eigene Server sei sichergestellt, dass die Zugangsdaten nicht mehr beim Anbieter liegen, erklärt Vizepräsident Prof. Dr.-Ing. Klaus Lebert: „In unseren Datenschutzhinweisen machen wir auch deutlich, dass vertrauliche Dokumente und Informationen nur über unsere Lehr- und Lernplattform Moodle ausgetauscht werden dürfen. Dieses System wird bei Oncampus in Lübeck gehostet.“
Prof. Dr. Marita Sperga, Vizepräsidentin für Studium und Lehre, beobachtet eine große Solidarität unter den Fachbereichen. Sie freut sich über die Bereitschaft, mit der Situation kreativ und konstruktiv umzugehen und Informationen zu teilen. „Für die Lehrenden und alle, die sie in dieser Zeit dezentral und zentral unterstützen, war und ist die Umstellung auf E-Learning mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Gleichzeitig wird in dieser Situation aber auch deutlich, dass die besondere Qualität der Präsenzlehre nicht zu ersetzen ist. Viele Lehrende vermissen den direkten Kontakt zu ihren Studierenden.“
Natürlich gab und gibt es auch Studienbestandteile, die nicht ins Internet verlagert werden können. Am Fachbereich Agrarwirtschaft in Osterrönfeld sind dies z.B. Wahlmodule, die auf dem Versuchsfeld stattfinden, an den technischen Fachbereichen Laborübungen. Solche Veranstaltungen mit hohem Praxisanteil sollen am Ende des Semesters nachgeholt werden. Der Hochschul-Shutdown ereilte vier der sechs Fachbereiche am Ende ihrer Prüfungsphase; die Fachbereiche Agrarwirtschaft und Soziale Arbeit und Gesundheit hatten noch nicht mit ihren Prüfungen begonnen. Ausgefallene Prüfungen sollen virtuell und in Präsenz nachgeholt werden. Dies kann, unter Berücksichtigung der von der Landesregierung erlassenen Hygieneverordnungen, frühestens Mitte Mai geschehen.
Bereits in der zweiten Online-Vorlesungswoche hatte die Wirtschaftsinformatik-Professorin Dr. Doris Weßels eine Blitzumfrage zur Zufriedenheit der Studierenden mit der Online-Lehre initiiert. Michaela Knafla, Masterstudentin der Betriebswirtschaftslehre an der FH Kiel, hat sie durchgeführt. Fast 1500 FH-Studierende aller sechs Fachbereiche beteiligten sich. Zwei Drittel der Teilnehmenden äußerte sich ‚zufrieden‘ oder sogar ‚sehr zufrieden‘ mit der spontan erfolgten Umstellung. 58 Prozent sprachen sich dafür aus, Online-Lehre dauerhaft in die Präsenzlehre einzubetten.
Die Hochschulleitung erreichen aber auch andere Rückmeldungen. Schließlich stehen die Studierenden vor denselben Herausforderungen wie der Rest der Gesellschaft: Wer eine schlechte Internetverbindung hat, kann gar nicht oder nur eingeschränkt an der Online-Lehre teilnehmen. Schwierig ist die Situation auch für Studierende, deren psychische Erkrankung sich aufgrund von Isolation oder dem Wegfall fester Tagesstrukturen verstärkt. Wer mit Existenzängsten kämpft, weil er seine Einkommensmöglichkeiten verloren hat, kann sich nur schwer oder gar nicht auf das Studium konzentrieren; das gilt im Besonderen auch für Studierende, die aufgrund geschlossener Kitas und Schulen ihre Kinder zuhause betreuen oder in der jetzigen Situation Pflegeverantwortung übernehmen müssen. „Mit der Corona-Krise sind neue Zielkonflikte entstanden und alte deutlich verschärft worden. Wir sind uns dessen bewusst, und dafür gibt es leider keine einfachen Lösungen“, so FH-Präsident Beer. „Aber aus den vergangenen Wochen hat die Hochschule auch gelernt, dass Studierende mit einem Gesundheitsrisiko oder einem Zielkonflikt zwischen Studium, Pflege und Job, die Chance zur Fortsetzung ihres Studiums sehr wohl schätzen. Die Hochschulleitung überlegt daher, bestimmte Angebote bis zum Ende des Semesters online anzubieten."
Die Mitarbeiter*innen der Zentralbibliothek (ZB) der FH auf dem Kieler Campus hatten in den vergangenen vier Wochen trotz oder gerade wegen der Schließung der ZB eine Menge zu tun, sagt ZB-Leiterin Ute Kaminiski: „Wir haben wie die Weltmeister E-Books bestellt und Datenbanken für den remote access, den Heimzugang, öffnen lassen. Außerdem haben wir 1800 UTB-Lehrbücher für alle Fachbereiche bis Ende des Jahres 2020 zur Nutzung vor Ort und von zuhause aus freischalten lassen.“ Seitdem können Mitglieder der Hochschule zum Beispiel auch von zuhause aus auf die Datenbank Beck-Online zugreifen. Dennoch plant Kaminski, die Bibliothek auf dem FH-Campus so schnell wie möglich wieder zu öffnen, mit den entsprechenden hygienischen Maßnahmen und reiner Thekenausleihe und -rückgabe. Ein Aufenthalt in der Bibliothek wird auch dann nicht möglich sein. Für die Bibliothek am Fachbereich Agrarwirtschaft ist dasselbe Vorgehen geplant.
Auch Studierendenprojekte sind von den Einschränkungen betroffen. So hat das Team von Raceyard, das Formula Student Projekt der Fachhochschule Kiel, die gemeinsame praktische Arbeit am aktuellen Rennwagen „schweren Herzens" vorerst gestoppt und konzentriert sich auf alles, was auch online zu machen ist. „Dazu gehören neben der technischen Dokumentation auch die Arbeit an den statischen Disziplinen der Formula Student. So arbeiten wir aktuell am Engineering Design Report, Cost Report und Business Plan, welche auf den Events der Jury vorgestellt werden müssen. Auch stoßen wir bereits die Entwicklung der zukünftigen Rennwagen an. Die für diese Saison geplanten Rennen in Ungarn, der Niederlande und Schweiz waren ohnehin nach und nach abgesagt worden", erklärt Teamchef Johnny To.
Ausgebremst sind auch die Tiefbauarbeiten für das Selbstlernzentrum im Norden des Campus. Sie mussten auf Weisung des Kampfmittelräumdienstes eingestellt werden, da bei einem Bombenfund nicht evakuiert werden könnte, erklärt Uwe Bothe, der Leiter der Bau- und Liegenschaftsverwaltung: „Die für Ende April vorgesehene Grundsteinlegung wird zwar nicht stattfinden, noch halten wir aber an dem Übergabetermin Mitte 2022 fest. Die Firmen stehen bereit, um die Arbeit sofort wiederaufzunehmen. Unsere Aufgabe ist es, in enger Abstimmung mit den Entscheidungsträgern alles dafür zu tun, dass die Unterbrechungsphase so kurz wie möglich gehalten wird. Wir bleiben optimistisch.“