Bauvorhaben sind immer eine energieintensive Angelegenheit. Wie viel Energie Bauvorhaben benötigen und wie viel klimaschädliches CO2 bei Bauvorhaben freigesetzt wird, veranschaulicht Prof. Dr.-Ing. Frauke Gerder-Rohkamm vom Institut für Bauwesen der FH Kiel an einem Vergleich: „Wäre das Bauen eine Volkswirtschaft, käme sie hinsichtlich des CO2-Ausstoßes gleich hinter Ländern wie China und den USA.“ Vor allem Beton, der weltweit wichtigste Baustoff, ist in der Herstellung sehr energieintensiv, führt die Professorin aus: „Die Herstellung des Beton-Bestandteils Zement erfordert Temperaturen von gut 1.400 Grad. Doch nicht nur der hohe Energieverbrauch ist ökologisch bedenklich. Zudem werden für die Herstellung von Beton und Bauwerksgründungen auch große Mengen von Sand benötigt, und der wird in einigen Teilen der Welt bereits knapp.“ Höchste Zeit also, dass ein Umdenken einsetzt, doch der wichtigste Baustoff ist konkurrenzlos günstig und bietet hervorragende Materialeigenschaften. Absehbar wird sich das Bauwesen aufgrund fehlender Alternativen nicht vom Beton verabschieden.
Es braucht also andere Wege, um das Bauen nachhaltiger zu machen. „Ein Weg zu einer besseren CO2 -Bilanz beim Bauen ist das Recycling von Baustoffen. Die Bauten, die uns umgeben, sind riesige Rohstofflager voller Stahl, Aluminium und Kupfer. Allerdings ist meist nur wenig über das Abbruchmaterial und dessen Eigenschaften bekannt und – wie beispielsweise beim Stahlbeton – liegen häufig Verbundstoffe als Ausgangsmaterial für den Recycling-Prozess vor“, umreißt Gerder-Rohkamm die größten Herausforderungen bei dieser Herangehensweise. Denn bei der Wiederverwendung von Baustoffen ist es von großer Wichtigkeit, dass beispielsweise die Materialgüte bekannt ist. Im Bereich Baustoffrecycling muss daher ein Umdenken erfolgen. Dies erfordert neue kreative Ansätze, wie ein Beispiel aus den Niederlanden zeigt: Im Nachbarland zersägen Ingenieurinnen und Ingenieure Teile von Klinker-Fassaden und setzen diese wie große Mosaiksteine in Neubauten ein. Wenn Altes zu Neuem wird, schont das nicht nur Ressourcen, sondern sorgt auch architektonisch für interessante Effekte. Hier sind kreative Köpfe gefragt, die zukünftig innovative Lösungen entwickeln.
Viele Bemühungen im Bereich ‚Green Building‘ sind auf die Zukunft gerichtet. Je genauer bei aktuellen Bauvorhaben verwendete Komponenten und ihre Materialeigenschaften dokumentiert sind, desto besser lassen sich diese bei einem späteren Abbruch wiederverwenden. So gilt es beim Aufbau gleich an den Abbruch zu denken. Wird eine solche präzise Dokumentation auch auf bewegliche Bauteile ausgedehnt, bietet das zudem die Möglichkeit, Wartungskosten zu senken und die Lebensdauer des Gebäudes zu erhöhen. Hier setzt das Building Information Modeling (BIM) an, ein virtuelles Modell des Bauwerks, das alle verfügbaren Informationen enthält. „Wenn so ein ‚digitaler Zwilling‘ eines Gebäudes beispielsweise der betreuenden Hausverwaltung rechtzeitig mitteilt, dass Bauteile bald ein kritisches Alter erreichen werden, kann sich diese frühzeitig um Ersatz kümmern. Das ist deutlich günstiger, als wenn Schäden erst spät bemerkt werden“, erklärt die Expertin für ‚Green Building‘ wichtige Potenziale des BIM.
Werkzeuge wie BIM bieten aber bereits während des Planungsprozesses viele Vorteile, da unterschiedliche Expertinnen und Experten gleichzeitig an einem Modell arbeiten können, erklärt die Professorin. „Früher hat der Architekt eine Zeichnung gemacht, diese an den Statiker weitergereicht, der diese mit Änderungen dem Haustechniker schickte, und das Spiel begann mit jeder Änderung von vorn, da sich alles aufeinander auswirkt. Durch BIM können nun alle Beteiligten live sehen, wie sich Änderungen auswirken und reagieren. Diese Arbeitsweise versuchen wir unseren Studierenden nahezubringen.“
Auch für ältere Bauwerke ist das Erstellen eines virtuellen Nachbaus sinnvoll, denn er zeigt auf Basis von Simulationsberechnungen für Laien verständlich die Probleme von älteren Bauwerken auf. „Im Betrieb haben ältere Gebäude meist eine sehr schlechte Energiebilanz“, erklärt Gerder-Rohkamm und belegt das mit Zahlen. „Während ein moderner Niedrigenergiebau einen durchschnittlichen jährlichen Energiebedarf von etwa 15 kWh/(m²a) hat, liegen ältere Gebäude bei Werten von mehr als 120 kWh/(m²a). Mit Hilfe von Simulationswerkzeugen lässt sich anschaulich aufzeigen, welche energetisch positiven Auswirkungen beispielsweise der Austausch von Fenstern oder der Heizungsanlage sowie die Dämmung des Daches zur Folge hat. Das ist zwar zunächst mit hohen Kosten für Eigentümerinnen und Eigentümer verbunden, die sich aber langfristig durch niedrige Betriebskosten rechnen können, vor allem aber umgehend einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.“ Die Komplexität der Simulationsberechnungen ist beeindruckend, denn diese können auch Geo- und Wetterdaten miteinbeziehen und so beispielsweise darstellen, wie sich Sonnenstand und Witterung über das Jahr auf den Bau auswirken, so dass dies in der Planung entsprechend berücksichtigt werden kann.
Doch am Institut geht es nicht nur um Gebäude. Bauingenieurinnen und -ingenieure sind schließlich auch im Straßen- und Brückenbau tätig, konzipieren neben Wohnhäusern auch komplexe Bauwerke wie Schleusen, Tunnel und Kanäle sowie Bahnhöfe, See- und Flughäfen. „In unserem mehrteiligen ‚BauIng‘-Projekt entwerfen unsere Studierenden beispielsweise im ersten Semester ein Parkhaus, im zweiten ein Einfamilienhaus und im dritten eine Brücke über die Schwentine. Im vierten Semester werden dann all diese tollen Entwürfe unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten von den Studierenden optimiert“, erklärt Gerder-Rohkamm. „Spätestens da zeigt sich dann – auch den Studierenden selbst – wie viel sie bereits im Hinblick auf den verantwortungsvollen Umgang mit Material und Energie gelernt haben. Sicher ist energieeffizientes Bauen zunächst meist teurer, aber die Studierenden haben diese Aspekte immer im Hinterkopf und wissen um die Möglichkeiten, nachhaltiger bauen zu können.“
Neben den vielfältigen Bauwerken sind Bauingenieurinnen und -ingenieure bisweilen auch in die Planung von Siedlungsstrukturen eingebunden, wo sie Möglichkeiten zur Energieeinsparung früh aufzeigen können. Wenn es beispielsweise um die Planung neuer Wohngebiete geht, ist die Frage der Energieversorgung eine grundlegende, weiß Gerder-Rohkamm: „Ob ein Neubaugebiet an eine vorhandene Stromtrasse angeschlossen werden, oder sich autark mit Energie versorgen können soll, ist eine spannende Frage. Dafür müssen unsere Studierenden die komplexen Zusammenhänge und Bedarfe genau kennen. Darüber hinaus müssen auch infrastrukturelle Fragen berücksichtigt werden, etwa ob und wie eine Anbindung über Fahrradwege, Straßen und den öffentlichen Nahverkehr realisiert werden kann. Weil uns das, was wir heute bauen, meist über 100 Jahre begleitet, ist das eine große Verantwortung. Daher ist es mir wichtig, dass unsere Studierenden die Potenziale von ‚Green Building‘ zumindest kennen oder sie besser noch bei ihrer Arbeit im Herzen tragen.“