Die Bedienoberfläche einer App, die dazu aufruft Eingaben zu tätigen.©
Screen­shot der Frei­spre­cher-App

Ge­sund­heits­be­glei­ter für die Ho­sen­ta­sche

von viel.-Re­dak­ti­on

In enger Zu­sam­men­ar­beit mit Me­di­zi­ne­rin­nen und Me­di­zi­nern ent­wi­ckel­te ein Team an der FH Kiel Apps, die Krank­hei­ten vor­beu­gen und Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten bei der Ge­ne­sung hel­fen kön­nen. Die Smart­pho­ne-An­wen­dun­gen, die in einer in­ter­na­tio­na­len Ko­ope­ra­ti­on ent­stan­den, nüt­zen Er­krank­ten und Be­han­deln­den glei­cher­ma­ßen und hel­fen zudem, Zeit und Kos­ten zu spa­ren.

Aus­ge­rech­net bei einem Be­such im Al­ten­heim hat Prof. Dr. Fran­zis­ka Uhing vom Fach­be­reich Me­di­en der FH Kiel er­lebt, wie mäch­tig Me­di­en sein kön­nen. „Dort haben wir für das For­schungs­pro­jekt ‚Health Games‘ un­ter­sucht, ob sich Vi­deo­spie­le dazu eig­nen, die Ge­sund­heit zu för­dern“, er­klärt die 44-Jäh­ri­ge. „Ich habe eine Nin­ten­do Wii-Spiel­kon­so­le in einer Wohn­ein­rich­tung für Se­nio­rin­nen und Se­nio­ren auf­ge­baut, um zu be­ob­ach­ten, wie sie mit Be­we­gungs­spie­len wie Ke­geln oder Tisch­ten­nis um­ge­hen.“ Das Er­geb­nis über­rasch­te die Wis­sen­schaft­le­rin: Sie woll­ten gar nicht mehr von den Vi­deo­spie­len las­sen. „Eine Dame stieß mich immer wie­der mit dem Rol­la­tor von hin­ten an, weil sie nicht ab­war­ten konn­te und un­be­dingt wie­der spie­len woll­te“, er­in­nert sich Uhing schmun­zelnd. Mit die­sem Wis­sen trat sie den von der Eu­ro­päi­schen Union ge­för­der­ten IN­TER­REG-Pro­jekt „Ap­plied Health“ bei. Ihre For­schungs­grup­pe ko­ope­rier­te mit dem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Schles­wig-Hol­stein (UKSH), der dä­ni­schen Lil­le­baelt Aca­de­my in Oden­se und dem Oden­se Uni­ver­si­tet Hos­pi­tal, um Smart­pho­ne-Apps zu ent­wi­ckeln, die Kran­ken Un­si­cher­heit neh­men, die Nach­sor­ge ver­bes­sern und sogar Lin­de­rung ver­schaf­fen sol­len. Für einen Zeit­raum von zwei Jah­ren stan­den der FH Kiel ins­ge­samt knapp 150.000 Euro För­der­mit­tel zur Ver­fü­gung.

Gegen den Krebs – für die Psy­che

Im ers­ten Schritt ging es für das FH-Team darum, Part­ne­rin­nen und Part­ner an den Kli­ni­ken zu fin­den. „Es war eine un­ge­wohn­te Si­tua­ti­on“, er­in­nert sich Uhing. „Wir sind quasi mit dem Ge­schen­kesack vor die Ärz­tin­nen und Ärzte ge­tre­ten und haben ihnen Wunsch-Apps an­ge­bo­ten.“ Al­ler­dings war die Re­so­nanz ver­hal­ten, denn viele schätz­ten die App-Ent­wick­lung als zu zeit­auf­wän­dig ein und lehn­ten ab. Schlie­ß­lich zeig­ten – neben der ak­ti­ven Ab­tei­lung für Uro­lo­gie um Prof. Dr. Klaus-Peter Jü­ne­mann – zwei auf­ge­schlos­se­ne Wis­sen­schaft­ler vom UKSH In­ter­es­se: Prof. Dr. Wal­ter Jonat, ärzt­li­cher Di­rek­tor der Kli­nik für Gy­nä­ko­lo­gie und Ge­burts­hil­fe, und Prof. Dr. Josef Al­den­hoff, da­mals Lei­ter des ZIP – Kli­nik für Psych­ia­trie und Psy­cho­the­ra­pie. Zu­nächst er­mit­tel­ten Uhing und ihre Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, wel­che Be­dürf­nis­se die bei­den Me­di­zi­ner hat­ten. Jonat wünsch­te sich eine An­wen­dung, die Krebs­be­trof­fe­nen die Nach­sor­ge ver­ein­fa­chen soll­te, Al­den­hoff eine, die bei An­wen­de­rin­nen und An­wen­dern Warn­zei­chen für eine de­pres­si­ve Er­kran­kung er­fas­sen soll­te.

Ver­ständ­li­che In­for­ma­tio­nen

Me­la­nie Lucht, FH-Ab­sol­ven­tin und selbst­stän­di­ge Soft­ware­ent­wick­le­rin, be­fass­te sich mit der Um­set­zung der App für das Team von Prof. Jonat. Vor­ran­gig ging es darum, für Brust­krebs-Pa­ti­en­tin­nen die wei­te­ren Schrit­te und die Nach­sor­ge nach einer Be­hand­lung kom­for­ta­bler zu ko­or­di­nie­ren und ihnen per App die ein­zel­nen Etap­pen des The­ra­pie­plans zu prä­sen­tie­ren. Zu jedem The­ra­pie­schritt soll­ten Kon­takt­da­ten einer An­sprech­part­ne­rin oder eines An­sprech­part­ners an­ge­zeigt wer­den, mit der Mög­lich­keit aus der App her­aus Be­hand­lungs­ter­mi­ne zu ver­ein­ba­ren. Wei­ter stell­te das UKSH-Team ver­ständ­li­che Er­klä­run­gen be­reit, um stän­dig wie­der­keh­ren­de Nach­fra­gen in den Pa­ti­en­ten­ge­sprä­chen be­reits in der An­wen­dung zu be­ant­wor­ten, damit die Sprech­stun­de statt­des­sen für in­di­vi­du­el­le Fach­fra­gen ge­nutzt wer­den kann. Um den Er­folg der The­ra­pie mess­bar zu ma­chen, soll­te die App zudem das Be­fin­den der Pa­ti­en­tin­nen ab­fra­gen: Auf einer ärzt­lich vor­ge­ge­be­nen Skala könn­ten sie ihren Zu­stand nach der Be­hand­lung be­ur­tei­len. Diese Werte könn­ten die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler schlie­ß­lich aus einer Da­ten­bank ab­ru­fen und für ihre For­schun­gen ver­wen­den. Eine markt­rei­fe App mit all die­sen in­te­grier­ten Funk­tio­nen würde bei­den Par­tei­en glei­cher­ma­ßen hel­fen.

Mit „Frei­spre­cher“ gegen Re­de­angst

Par­al­lel mach­te sich Stu­dent Malte Bo­e­de­ker an die Ent­wick­lung einer App, die Stu­die­ren­den mit Re­de­angst hel­fen soll­te – ein Pro­blem, das weit ver­brei­tet ist und viele aus ei­ge­ner Er­fah­rung ken­nen. Die Psy­cho­lo­gen aus dem ZIP lie­fer­ten Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen und stell­ten Übun­gen und Tech­ni­ken vor, die der 28-Jäh­ri­ge in den Pro­to­typ ein­bau­te. So ent­stand ein in­te­grier­tes Trai­nings­kon­zept. Nach der Ein­ga­be einer kon­kre­ten pro­ble­ma­ti­schen Si­tua­ti­on, bei­spiels­wei­se einem Re­fe­rat, bie­tet die App Hilfs­mit­tel an, die dabei hel­fen kön­nen, bes­ser mit Re­de­angst ein­flö­ßen­den Si­tua­tio­nen um­zu­ge­hen, zum Bei­spiel Vor­stel­lungs­übun­gen. Dabei nutzt das App-Kon­zept einen psy­cho­lo­gi­schen Trick: Da das Ge­hirn nicht zwi­schen tat­säch­lich Er­leb­tem und Ima­gi­nier­tem un­ter­schei­den kann, spei­chert es po­si­ti­ve Re­de­er­leb­nis­se aus der Fan­ta­sie als gleich­wer­ti­ge reale Er­fol­ge. So hel­fen die Übun­gen der Frei­spre­cher-App dabei, die Ängs­te in einer rea­len Re­de­si­tua­ti­on ab­zu­bau­en.

Er­hel­len­der Aus­tausch

Be­son­ders in­ter­es­sant waren für Prof. Uhing die Tref­fen mit den dä­ni­schen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die ihr zeig­ten, wie un­ter­schied­lich die Her­an­ge­hens­wei­sen in den Län­dern waren. Nach ers­ten Work­shops stell­te sich her­aus, dass in Deutsch­land und Dä­ne­mark grund­sätz­lich un­ter­schied­li­che Vor­stel­lun­gen vor­herr­schen, was über­haupt unter einem Pro­to­typ zu ver­ste­hen ist. „Das Ba­ckend muss lau­fen. Die App muss funk­tio­nie­ren“, fasst Uhing ihre De­fi­ni­ti­on prag­ma­tisch zu­sam­men. Es geht ihr darum, aus Ideen mög­lichst schnell Roh­lin­ge zu ent­wi­ckeln, mit­tels derer sich eine App er­pro­ben lässt. Da das FH-Team alle Ent­wick­lungs­sta­di­en sei­ner App-Pro­to­ty­pen von der Kon­zep­ti­on bis zur Pro­gram­mie­rung vor­nahm, blieb das Er­geb­nis mit zwei An­wen­dun­gen sehr über­schau­bar.

Ganz an­ders das Ver­ständ­nis von einem App-Pro­to­typ bei den nörd­li­chen Nach­barn. Die dä­ni­schen Stu­die­ren­den ent­wi­ckel­ten ein knap­pes Dut­zend Pro­to­ty­pen, al­ler­dings le­dig­lich in gra­fi­scher Form. Sie leg­ten das Haupt­au­gen­merk auf die Aus­ge­stal­tung der Apps und woll­ten sich erst spä­ter mit der Um­setz­bar­keit ihrer Ideen aus­ein­an­der­set­zen, die sie zudem ex­ter­nen Fir­men über­lie­ßen. „Vie­les, was die dä­ni­sche Ar­beits­grup­pe ent­wi­ckelt hat, war sehr in­ter­es­sant – al­ler­dings auch nicht in die­sem Zeit­fens­ter um­setz­bar“, re­sü­miert Prof. Uhing. „Un­se­re FH ist für mich al­ler­dings nicht nur eine Ide­en­schmie­de. Bei uns sol­len die Stu­die­ren­den alles ler­nen, was mit der App-Ent­wick­lung zu tun hat.“

Da­ten­schutz als Stol­per­stein

Auch zum Thema Da­ten­schutz haben die dä­ni­schen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen eine ganz an­de­re Ein­stel­lung, was viele kon­struk­ti­ve Mög­lich­kei­ten zur App-Ent­wick­lung er­öff­net. „In Dä­ne­mark wäre eine Der­ma­to­lo­gie-App denk­bar, mit der ein Le­ber­fleck fo­to­gra­fiert und das Bild zur Ein­schät­zung an einem Fach­arzt ge­schickt wer­den kann“, weiß Prof. Uhing. Wenn­gleich sol­che Te­le­me­di­zin vor allem in Flä­chen­län­dern viel Zeit und Geld spa­ren kann, ist die Idee in Deutsch­land aus Grün­den des Da­ten­schut­zes ge­gen­wär­tig schwer um­setz­bar. Das Oden­se Uni­ver­si­ty Hos­pi­tal hin­ge­gen er­mög­licht es El­tern von Früh­chen sogar, mit Hilfe einer App rund um die Uhr mit dem Kind im In­ku­ba­tor Kon­takt zu hal­ten. Sie kön­nen per Stand­lei­tung mit ihm spre­chen und es an­se­hen, denn be­son­ders bei früh­ge­bo­re­nen Kin­dern ist der per­ma­nen­te Kon­takt zu den El­tern wich­tig.

Ge­frag­te An­wen­dun­gen

In mehr­fa­cher Hin­sicht be­wer­tet Uhing das im Sep­tem­ber 2014 ab­ge­schlos­se­ne Ap­plied-Health-Pro­jekt als Er­folg – und das nicht nur für ihr Team. „Durch die kon­kre­ten Fra­gen un­se­rer Stu­die­ren­den haben die Me­di­zi­ne­rin­nen und Me­di­zi­ner ne­ben­bei auch er­fah­ren, wie un­ter­schied­lich sie vor­ge­hen, was ihr Kli­en­tel ir­ri­tie­ren kann. Die­ser Be­reich bie­tet noch Op­ti­mie­rungs­po­ten­zi­al“, re­sü­miert sie. „Als wir schlie­ß­lich beim UKSH die fer­ti­gen Apps prä­sen­tier­ten, zeig­ten sich auch an­de­re Me­di­zi­ne­rin­nen und Me­di­zi­ner in­ter­es­siert an dem Pro­dukt. Es bün­delt wich­ti­ge In­for­ma­tio­nen, die so in kom­pak­ter Form all­zeit für die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer ver­füg­bar sind.“

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