Ein Gap Year nach dem Bachelor- oder Masterabschluss: Diese Möglichkeit entdecken immer mehr Studierende für sich. Sie wollen reisen, ein Praktikum machen, sich weiterbilden, ihre Prioritäten neu setzen oder sich ganz umorientieren. Was es mit diesem Lückenjahr auf sich hat, berichtet euch die viel.-Redaktion heute ausführlich.
Der Begriff „Gap Year“ ist in den USA und England nichts Neues, kommt aber in Deutschland in den letzten Jahren erst richtig ins Rollen. Es geht um die „Lücke“, eine Zeit zwischen zwei enorm wichtigen Lebensabschnitten, die man sich bewusst nimmt. Das heißt nicht, ziellos umherzuwandern und mal hier, mal dort zu arbeiten, zu faulenzen oder ohne Plan rumzuhängen – wie mancher vielleicht vermuten würde.
Das Gegenteil ist der Fall: Ein Gap Year dient dazu, einen Zeitraum bewusst zu nutzen, um Neues auszuprobieren, Sprachen zu lernen, Erfahrungen in anderen Arbeitsgebieten zu sammeln, sich selbst kennenzulernen und die Welt zu erforschen, ehe man sich für ein längerfristiges Arbeitsmodell entscheidet. Diese Zeit macht es möglich, sich ausgiebig auszuprobieren und weiterzubilden, wie es im späteren Job kaum noch möglich wäre. Wer sich selbst Freiraum gibt und sich entschließt, die Persönlichkeit zu formen und festigen, um zu wissen, was man eigentlich von der Arbeitswelt möchte, ist sicherlich besser aufgestellt als viele, die direkt nach dem Bachelor in den Master starten, ohne sich Gedanken gemacht zu haben.
Aber woher stammt dieser plötzliche Trend? Man kann den Wunsch der „Zwischenzeit“ oder „Orientierungsphase“ mit der Bologna-Reform und der Teilung der akademischen Ausbildung in Grund- und Vertiefungsstudium (Bachelor und Master) in Verbindung bringen. Die Lücke zwischen beiden Bildungsgraden ist wie geschaffen für das Gap Year.
Einem Gap Year sind kaum Grenzen gesetzt. Der Zeitraum, der nicht auf ein Jahr festgelegt ist, sondern auch sechs oder 18 Monate dauern kann, kann beispielsweise für
- Au-Pair-Dienste
- Praktika
- Work & Travel
- ein Freiwilliges Soziales Jahr
- ein Studium Generale
- eine Umschulung oder Weiterbildung
- Kurse zur Motivation und Kreativität
- Burn-Out-Prävention oder
- Intensive Familienphasen
genutzt werden.
Das Gap Year erinnert an das Sabbatical, das sogenannte Sabbatjahr. Ein Sabbatical ist ein langer Sonderurlaub, den man sich unter bestimmten Umständen im späteren Berufsleben nehmen kann. Auch dieses Modell stammt aus den USA, wo ein Sabbatical als die Zeit bezeichnet wird, die man sich als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin für ein Forschungs- oder Freisemester nimmt.
„Eine Lücke im Lebenslauf“, denken einige jetzt panisch. „Das kann ich nicht verantworten. So finde ich keinen Job. Meine Karrierechancen!“ Dass diese Sorgen oftmals unbegründet sind, bestätigen viele Personalberatungen. Der ständige Optimierungswahn junger Menschen nehme Überhand, sagen sie. Luft und Raum für kreative Schlenker, für Lebenserfahrung und frische Impulse seien oft viel attraktiver für Arbeitgeber, als Bestnoten und ein glattgebügelter Bildungsweg seit der Grundschule. So achten manche Unternehmen mittlerweile sogar darauf, keine Studierenden einzustellen, die nach dem Schulabschluss rasant durch Bachelor, Master und Praktikum mit Bestnoten gerauscht sind und mit Mitte zwanzig in den Job starten wollen – am besten in einer Führungsposition, aber ohne zu wissen, was sie beruflich erwartet und was sie persönlich vom Leben wollen.
Also Mut zur Lücke, weg vom Campusleben und vom Berufsstart nach dem allbekannten Schema F? Ja, wenn man begründen kann, warum man sich ein Gap Year nimmt. Wie gut die Auszeit später bei Bewerbungsgesprächen ankommt, hängt immer von der Qualität des Lückenjahrs ab und davon, wie überzeugend man den persönlichen Nutzen begründen kann. Kein/e Auszeitler/in braucht Angst vor einem kaputten Lebenslauf zu haben. Ins Bröckeln gerät ein Lebenslauf erst, wenn man jedes Jahr die Stelle wechselt, weil man nicht weiß, was zu einem passt. Da hilft es ganz bestimmt, vorher herauszufinden, wofür das Herz schlägt.
Vielleicht passt ein Gap Year nicht in den Lebensweg, den ihr euch vorgestellt habt – oder eben genau jetzt in euren Plan. Erzählt uns von euren Geschichten und Erfahrungen, hier oder auf Facebook!
Julia Königs