Ein Mann in grauem Anzug, steht vor ein paar Baumkronen und lächelt gut gelaunt in die Kamera.© FH Kiel

„Früher waren Schutzgeräte weniger intelligent – heute müssen sie untereinander kommunizieren, am besten per E-Mail und SMS“

von Jana Tresp

„Früher waren Schutzgeräte weniger intelligent – heute müssen sie untereinander kommunizieren, am besten per E-Mail und SMS“, sagt Prof. Dr. Harald Wehrend. „Das ist natürlich übertrieben, aber in diese Richtung geht es.“ Seit dem 1. September 2012 ist er Professor für „Elektrische Netze/Smart Grids“ am Fachbereich Informatik und Elektrotechnik der Fachhochschule (FH) Kiel. Davor war Prof. Wehrend beim Woodward Konzern im Bereich Schutztechnik tätig.

Jana Tresp (JT): Wie würden Sie Laien Ihr Arbeitsgebiet erklären?

Harald Wehrend (HW): Ich arbeite im Bereich der elektrischen Energieversorgung – dabei steht die Mittelspannungstechnik im Fokus. Das heißt: Freileitungen, Kabel und Umspannwerke im Außenbereich. Die Herausforderung der nächsten Jahre besteht darin, dezentrale Energieversorgungseinheiten wie Windkraft und Solarenergie zu integrieren. Es gibt viele Ansätze und Ideen, durch das rasante Wachstum auf diesem Sektor aber auch Probleme – unter anderem im Bereich der Schutztechnik, aus dem ich ursprünglich komme.

JT: Was ist Schutztechnik?

HW: Wenn ein Blitz in eine Freileitung einschlägt oder es einen Kurzschluss gibt, sollte nach Möglichkeit nur diese Freileitung abgeschaltet werden, damit es nicht gleich in einer ganzen Stadt dunkel wird. Dafür gibt es Schutzgeräte. Heutzutage sind das kleine Rechner, die ständig Strom und Spannung einer Leitung messen. Wenn sie Unregelmäßigkeiten registrieren, müssen sie innerhalb von Millisekunden entscheiden, ob es sich dabei um einen Fehler handelt und die Leitung gegebenenfalls abschalten. Das ist Sinn und Zweck der Schutztechnik.

 

JT: Wie habe ich mir diese Schutzgeräte vorzustellen?

HW: Die kleinsten sind beispielsweise Sicherungen, die in jedem Haushalt zu finden sind. Sie sind passiv, brauchen also keinen Rechner. Je nachdem wie komplex das System dahinter ist, kann die Größe von Schutzgeräten variieren, vom Schuhkarton bis zum Schrank.

 

JT: Ändert sich die Schutztechnik durch die neuen Energien, die in unser Stromnetz eingespeist werden?

HW: Ja, die bisherigen Konzepte und Philosophien werden aufgeweicht und müssen sich verändern. Einige Probleme sind schon bekannt, andere noch nicht. Früher waren Schutzgeräte weniger intelligent – heute müssen sie untereinander kommunizieren, am besten per E-Mail und SMS. Das ist natürlich übertrieben, aber in diese Richtung geht es. So eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten.

 

JT: Das alles funktioniert ohne Personal?

HW: Schutzgeräte haben schon immer autark gearbeitet – sie sind schließlich rund um die Uhr im Einsatz. In Zukunft sollen sie bei Störungen aber nicht nur abschalten, sondern nach Lösungen suchen, um selbsttätig intelligent Fehlerquellen zu umgehen und im Netzverbund entsprechende Aktionen einzuleiten. Das sind Visionen der Forschung. Unsere Energieversorgung ist nicht mehr genau planbar. Früher wusste man: Das Kohle- oder Kernkraftwerk läuft. Heute nutzen wir häufig Windenergie und die steht nicht immer zur Verfügung. Dadurch ergeben sich neue Herausforderungen in der Steuerung und den Abläufen.

 

JT: Wie kamen Sie zu Ihrem Studium der Elektrotechnik/Energieversorgung?

HW: Mein Urgroßvater und zwei meiner Onkel waren in der Energieversorgung tätig. Außerdem habe ich schon während meiner Schulzeit gerne mit meinem Cousin an elektrotechnischen Geräten wie Schaltuhren oder Lichtorgeln gebastelt.

Im Studium musste ich mich irgendwann zwischen Computertechnik und Energietechnik entscheiden. Ich habe die Energietechnik gewählt, weil ich der Ansicht war, dass es da auch ab und zu brummt und knallt und das fand ich interessanter als nur am Rechner zu sitzen. Im Laufe der Jahre hat sich das natürlich verändert. Wenn er nicht gerade Anlagen in Betrieb nimmt oder Feldmessungen durchführt, sitzt ein Ingenieur der Energietechnik heute auch sehr viel am Computer.

JT: Was haben Sie gemacht, bevor Sie an die FH Kiel gekommen sind?

HW: Ich habe an der Universität in Hannover studiert und war dort anschließend fünf Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für elektrische Energieversorgung. Durch ein Projekt bin ich damals mit dem mittelständischen Unternehmen SEG in Kontakt gekommen: Im Auftrag von SEG sollte ich die Einstellungen für alle Schutzgeräte des spanischen Flughafens in Alicante berechnen. Für mich als Jungingenieur war es toll, an der Entwicklung des gesamten Schutzkonzeptes mitzuwirken. Danach bin ich als Entwickler für Schutzgeräte bei SEG geblieben, wobei mein Schwerpunkt immer auf der Softwareentwicklung und Simulation lag.

Später habe ich ein Team von Technikern und Ingenieuren geleitet, das Schutzgeräte entwickelt hat. In den vergangenen Jahren habe ich an der Schnittstelle zum Produktmanagement, genauer Requirements management (deutsch Anforderungsmanagement), gearbeitet und Analysen von Störfällen erstellt. Dadurch habe ich mich mehr mit Simulation und Troubleshooting als mit Softwareentwicklung beschäftigt.

JT: Wie sind Sie an die FH Kiel gekommen?

HW: Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, an einer Hochschule zu lehren. Dass es nun Kiel geworden ist, war Zufall. Ich las in einem Berufsforum die Stellenausschreibung für die Professur „Elektrische Netze/Smart Grids“. Darunter fällt auch die Schutztechnik, also genau das, woran ich seit meiner Diplomarbeit gearbeitet hatte. Dass mich der Job gleichzeitig wieder näher an die Heimat bringt, ist eine glückliche Begleiterscheinung.

JT: Näher an die Heimat? Wo kommen Sie denn ursprünglich her?

HW: Von Fehmarn – insofern bin ich mit Land und Leuten vertraut. In den vergangenen 17 Jahren habe ich in Kempen am Niederrhein gelebt, hatte aber immer eine Vorliebe für Wasser – auch durchs Segeln. Durch die Professur hatte ich die Möglichkeit, in den Norden zurückzukehren.

JT: Was möchten Sie Ihren Studierenden vermitteln?

HW: Selbstständigkeit und Kreativität – gerade im Hinblick auf die Entwicklung. Im Bereich der Schutztechnik ist mir eine verantwortungsvolle Arbeitsweise wichtig. Schließlich geht es um die Sicherheit von Personen, Geräten und Anlagen. Und ich möchte die Studierenden dazu animieren Lösungen zu finden, damit sie für die Herausforderung der nächsten Jahre gewappnet sind.

Ich hatte schon immer viel Kontakt in den Hochschulbereich. Seit mehr als 17 Jahren bin ich Mitglied in einer internationalen Benutzergruppe für ein Simulationsprogramm, d. h. Mitglied ist immer das Unternehmen oder die Institution, bei der man tätig ist. Die Hälfte davon sind Fachhochschulen und Universitäten – auch die FH Kiel bzw. der Fachbereich Informatik und Elektrotechnik.

Ich möchte versuchen, auf diese Benutzergruppe einen Schwerpunkt zu legen, sodass auch die Studierenden dieses kostenfreie Programm nutzen können. Damit lässt sich zum Beispiel simulieren, was passiert, wenn es auf einer Freileitung mit einem Transformator zu einem Kurzschluss kommt. So können die Studierenden zum Beispiel sehen, welche Energie dort auftritt. Normalerweise schauen sie sich viele Dinge im Versuchsaufbau an, einige Vorgänge können jedoch nicht im Modell nachgestellt werden. Einen echten Kurzschluss in einem Prüffeld zu produzieren, ist sehr aufwendig und teuer, heutzutage oft nicht mehr möglich. Aber bei aller Simulation werden wir natürlich den Bezug zur Physik und Praxis nicht vergessen.

 

JT: Was erwarten Sie von Ihrem ersten Semester?

HW: Viel Arbeit. Ich muss zum Beispiel meine drei Vorlesungen vorbereiten, die ich dieses Semester anbiete. Zwei davon habe ich im Vorfeld ganz neu definiert. Zudem werde ich Labore vorbereiten und möchte natürlich alles kennenlernen.

Kurzbiografie

 

2011-2012 Woodward Kempen GmbH, Abteilung Wind Power Systems

2006-2011 Woodward Kempen GmbH, Abteilung Power Distribution

2001-2006 NEWAGE-AVK-SEG, Kempen

1995-2001 SEG Schaltanlagen-Elektronik-Geräte GmbH, Kempen

2000-2001 Promotion/Dissertation „Zur Identifikation von modalen Modellen für Teilnetze der elektrischen Energieversorgung"

1989-1994 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Elektrische Energieversorgung der Universität Hannover; Schwerpunkte: Netzberechnungen/Simulation Schutztechnik; Mitarbeit an der damaligen Niedersächsischen Forschungsinitiative für Supraleitung

1981-1989 Studium Elektrotechnik/Energieversorgung an der Universität Hannover mit studentischer Nebentätigkeit am Institut für elektrische Energieversorgung und am Schering Institut für Hochspannungstechnik

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