Es ist voll im Audimax: Fast 150 Erstsemester sitzen hier seit Stunden und präsentieren ihre Ideen zum `Leben und Studieren auf dem Ostufer rund um den Campus der FH Kiel`. Es geht um nichts Geringeres als den FHreSH-Award für frische Ideen.
„In diesem Pflichtmodul geht es darum, mehrere Elemente der Betriebswirtschaftslehre zusammenzuführen - von Finanzen über Marketing bis hin zur Kundensegmentierung“, erklärt Prof. Dr. Doris Weßels Capstone. So heißt das Modul im Studiengang Betriebswirtschaftslehre, in dem sich die Studierenden mit Geschäftsideen und Unternehmensgründungen beschäftigen. „Wir wollen, dass die Studierenden möglichst schnell merken, was ihnen Spaß macht und in welchem Bereich sie sich nicht spezialisieren wollen. Das Besondere an diesem Modul: Die vier Lehrenden des Fachbereichs - Maria Laatsch, Prof. Dr. Doris Weßels, Prof. Dr. Anja Wiebusch und Prof. Dr. Julia Stehmann - stehen den Erstsemestern als Coaches zur Seite. Ideenentwicklung und -auswahl, Geschäftsmodell- und Pitch-Coaching stehen auf dem Stundenplan. Darüber hinaus begleiten die Dozentinnen die Teams von der Teambildung bis zum abschließenden Pitch.
Bei der Abschlussveranstaltung am vergangenen Montag im Audimax hatten die Teams jeweils acht Minuten Zeit, einer hochkarätigen Jury ihre Idee zu präsentieren. Dabei halten sie sich an eine große Struktur, die ein Unternehmensportrait, ein Werteversprechen sowie eine Wettbewerbs- und Kundenanalyse umfasst. Außerdem müssen die Studierenden Zahlen liefern: Preiskalkulation, Kapitalbedarf und Finanzierung, Umsatzplanung und Absatzprognose sowie Gewinn- und Tragfähigkeitsschwelle müssen dargestellt werden.
„Wir haben fünf qualitative und fünf quantitative Kapitel vorgegeben“, sagt Prof. Dr. Stehmann. Damit sind alle großen Bereiche der Betriebswirtschaftslehre abgedeckt. Diese werden mal mehr, mal weniger ausführlich dargestellt.
Doch in einem sind sich die Jurymitglieder – dazu gehören auch Ulrike Salka, Förderlotsin der Investitionsbank SH für Unternehmen und Gründung, Fabian Haushahn, Geschäftsführer der Kieler Wirtschaftsjunioren, und Marion Mayr-Tschofenig, Leiterin des Start-Up Office der FH Kiel – einig: Die Ideen der jungen Leute sind großartig und zeigen, was am Ostufer gebraucht wird. Zu den vorgestellten Plänen gehören unter anderem mehrere Foodtrucks, eine Siebdruckwerkstatt und ein Keramikcafé, fünf Strandbars in Hasselfelde, Wassertaxen zum Selbstfahren, Pop-Up-Stores, Essensautomaten und Unterhaltungsangebote.
Nach rund fünf Stunden haben es die Studierenden geschafft – alle 21 Teams haben ihr Idee vorgestellt. Die Jury braucht 20 Minuten, dann stehen die fünf Preisträger der Plätze 1 bis 3 sowie zweier Sonderpreise von der IB.SH und der Mentoren fest: Als erstes wird das Team auf die Bühne geholt, das sich den Price Hike Pub ausgedacht hat, in dem sich die Tagespreise nach der Nachfrage richten. Der silberne FHreSH-Award geht an den East Side Burger, einen Foodtruck, der mit einem nahezu perfekten Pitch aufwartet. Das beste Gesamtpaket lieferten nach Meinung der Jury jedoch die vier Studierenden der imaginären SunsetGroup ab. Die drei jungen Frauen und ihr männlicher Kollege wollen zwar auch eine Strandbar in Hasselfelde eröffnen. Sie hätten aber, so die Begründung der Jury, nicht nur Studierende und Lehrende, sondern die größte Zielgruppe – die Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil sowie Touristen – im Blick gehabt. Außerdem sei die Idee einer nachhaltigen und naturnahen Minigolfanlage mit Blick auf die untergehende Sonne am überzeugendsten gewesen.
Die beiden Sonderpreise gehen an die Strandbar Barsselfelde wegen des machbaren und nachvollziehbaren Pitches sowie an das Innovative Wohnkonzept am Ostufer für die gute Vorarbeit und weil die Studierenden das Problem der Wohnungsnot erkannt und kreativ angegangen sind.
„Wir haben einen sehr guten Eindruck von dem bekommen, was das Ostufer braucht“, betont Brendel und ist insgesamt begeistert von den vorgestellten Ideen.
Von ihrem Sieg sind Lotte Kuper, Charlin Czymai, Natalie Kohlmeier und Jacob Kruse überrascht. „Nachdem der dritte Platz ausgerufen worden war, hatten wir die Sache eigentlich schon abgeschrieben“, berichtet Lotte. „Es gab immerhin einige andere Teams, die ähnliche Ideen präsentiert haben.“ Über die Gutscheine vom Sandhafen freuen sich die Vier natürlich trotzdem. Aber ihre Idee in die Tat umsetzen, das wollen die Studierenden nicht - trotz Brendels Appell für mehr Gründergeist und Unternehmertum. „Das Modul war ganz schön zeitintensiv“, erklärt Jacob. „Ich kann mir nicht vorstellen, neben dem Studium noch ein Unternehmen zu gründen.“
Zeitintensiv oder nicht: Die BWL-Studierenden an der FH Kiel haben Glück, dass sie in den Genuss dieses einmaligen Moduls kommen. Denn mit Capstone hat die Fachhochschule ein Alleinstellungsmerkmal. Nirgendwo sonst gibt es ein so praxisnahes Gründungsmodul. „Tatsächlich hat der Wissenschaftsrat in seinem aktuellen Gutachten empfohlen, Unternehmensgründungen möglichst früh im Studium zu behandeln“, sagt Weßels, die das Modul schon vor Jahren mit ihren engagierten Kollegen und Kolleginnen im Fachbereich Wirtschaft gemeinsam konzipiert und kontinuierlich weiterentwickelt hat. Dabei ging es dem Team vor allem um eine Lehre auf Augenhöhe und die Vernetzung mit realen Akteuren aus der Gründerszene und der Wirtschaft.
Auch wenn die Erstsemester nicht gleich im ersten Semester gründen werden: Die Ideen, die sie entwickelt haben, könnten das Ostufer bereichern. Und wer weiß: Vielleicht greift ja einer von ihnen später die Idee doch noch einmal auf.