Lukas Ruh hat es geschafft: Nach acht Jahren Berufstätigkeit geht er in eine neue Richtung – die des Hochschulstudiums. Schon des Längeren ging der 28-Jährige, der bis vor kurzem noch als Notfallsanitäter tätig war, mit der Idee schwanger zu studieren. „Ich ließ mich beraten und fand Schiffbau sehr reizvoll“, erzählt er. „Doch ich war mir unsicher, ob der Studiengang überhaupt das Richtige für mich ist.“ Einen Weg aus der Unsicherheit bot das Orientierungssemester Förde-Kompass, das erstmals im Sommersemester 2023 angeboten wurde. Darin soll Interessierten die Möglichkeit gegeben werden, sich mit Inhalten aus sieben Ingenieursstudiengängen zu befassen. Im Mittelpunkt steht das Kennenlernen verschiedener Studiengänge der Fachbereiche Informatik und Elektrotechnik sowie Maschinenbau. Die Studierenden sollen nach Abschluss des Semesters in der Lage sein, sich für oder gegen ein Studium zu entscheiden sowie zu bestimmen, ob sie etwas aus dem Bereich der Ingenieurwissenschaften studieren möchten oder nicht. „Das Gute ist, dass man kein Semester verliert“, meint Lukas. „Die meisten Studiengänge starten im Wintersemester – das Orientierungssemester findet im Sommer statt, sodass man sich gegebenenfalls gleich in sein Wunschfach einschreiben kann.“
Das Orientierungssemester ist nur bedingt mit einem Studium vergleichbar. Die angehenden Akademiker arbeiten in einer festen Arbeitsgruppe und haben einen eigenen Stundenplan. Während des Semesters müssen 30 Leistungspunkte erbracht werden. Die Module zur Orientierung speisen sich aus den Bereichen Elektrotechnik, Mechatronik, Wirtschaftsingenieurwesen, Maschinenbau, Erneuerbare Offshore Energien, Schiffbau und Maritime Technik sowie internationales Vertriebs- und Einkaufsingenieurwesen. Hinzu kommen die Pflichtmodule Ingenieurmathematik und Ingenieurinformatik sowie zwei Wahlfächer aus dem gesamten ingenieurwissenschaftlichen Bereich. „Wir hatten jeden Tag Blockunterricht von 8 bis 16 Uhr“, berichtet Malin Fuhrken (20). „Dabei blieben wir meistens unter uns. Nur bei den Wahlfächern kamen wir mit regulär Studierenden zusammen.“ Die frei wählbaren Kurse stellten für einige Teilnehmende des Orientierungssemesters eine Schwierigkeit dar. Es fehlte Grundwissen, das sich die Studierenden während ihrer Laufbahn an der FH Kiel bereits aneignen konnten. Doch alleine gelassen wurden die Schnupperstudierenden nicht. „Ich habe mich mit einem Informatiker zusammengetan, der hat mich super unterstützt“, sagt Malin. Die 20-Jährige hat nach dem Ende ihrer Zeit als Bundesfreiwilligendienstleistende gezielt nach möglichen Orientierungsprogrammen an Hochschulen in Deutschland gesucht. Das in Kiel gefiel ihr am besten, weil es eine breite Spanne an Studienfächern enthielt, die ihr zusagten.
Ingenieurinformatik und -mathematik sind Fächer, auf denen beim Orientierungssemester besonderes Augenmerk gelegt wird. „Ich glaube, wir hatten es einfacher als Leute im regulären Studium“, sagt Lukas. Die 19 Förde-Kompassler hatten fast eine 1:1-Betreuung. Am besten hat Lukas jedoch gefallen, dass die Aufgaben praxisbezogen waren. Die Inhalte lehnten sich an die Mathematikmodule aus den ersten Semestern der Bachelorstudiengänge an. Für die Studierenden des Orientierungssemesters bietet sich jetzt der Vorteil, dass sie den Stoff teilweise bereits durchgenommen haben und das auf das Folgestudium angerechnet wird. Malin fand besonders den hohen Praxisbezug gut.
Anwendungsbezug hat auch das Modul Ingenieurinformatik der drei Programmiersprachen C, Python und Processing. „Oft griffen die Aufgaben in Mathe und Informatik ineinander, sodass wir immer gleich wussten, wie die Bereiche zusammenhängen“, erklärt Lukas. Auch dieses Modul kann im ersten Bachelorsemester an der FH Kiel angerechnet werden.
Für Lukas und Malin war das Orientierungssemester ein voller Erfolg: Lukas hat gemerkt, dass Schiffbau und Maritime Technik nicht das Richtige für ihn ist. „Ich studiere jetzt Elektrotechnik. Wie sich herausstellt, habe ich da ein Händchen für“, erklärt Lukas lächelnd. „Es stellte sich auch heraus, dass ich eigentlich bis zu diesem Orientierungsstudium gar nicht wusste, was Elektrotechnik eigentlich beinhaltet.“ Sein einziger Wermutstropfen: Er hat kein Bafög erhalten, weil das Orientierungssemester nicht als reguläres Studium zählt. Malin hat sich für Mechatronik eingeschrieben. „Ich kann es wirklich empfehlen – egal ob man von der Schule oder aus der Arbeitswelt kommt.“ Denn der Förde-Kompass gibt Orientierung in Studienfächern, die oft unbekannt sind und möglicherweise sogar falsch beurteilt werden. Und wer durchfällt, hat nicht verloren: Prüfungen im Orientierungssemester werden nicht als Fehlversuch gewertet.