„Ich wollte mich weiterentwickeln, Neues lernen, nicht stehenbleiben“, beschreibt Tanja Krampen rückblickend ihre Motivation, 2017 ein Studium an der FH Kiel zu beginnen – mit 47 Jahren. Zuvor hatte die heute 51-Jährige bereits viele Jahre als Fachkrankenschwester in psychiatrischen Einrichtungen gearbeitet und sich zur systemischen Beraterin und Traumaberaterin weiterqualifiziert.
Mit dem Bachelor Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kiel vertiefte sie ihre Kenntnisse in der Sozialpädagogik und spezialisierte sich über Wahlmodule unter anderem auf die Bereiche Gender Studies und Jugendhilfe. Neben dem Studium arbeitete sie als Traumaberaterin beim Frauennotruf Kiel. Ihre Thesis schrieb sie über Kinder psychisch kranker Eltern, und ihr Anerkennungsjahr absolvierte sie im Jugendamt in Neumünster.
Nach beruflichen Stationen in verschiedenen Frauen- und Familienberatungsstellen bringt Tanja Krampen ihre vielfältigen Erfahrungen nun seit Juli 2022 beim Unterstützungsfonds für Betroffene von Leid und Unrecht in Schleswig-Holstein ein, der am Landesamt für Soziale Dienste angesiedelt ist. Dort berät sie Menschen, die in der Zeit von 1949 bis 1975 traumatische Erfahrungen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie der Kinder- und Jugendfürsorge gemacht haben. Konkret nimmt sie ihnen die Recherchearbeit in alten Akten des Landesjugendamts oder in Aufnahme- und Entlassbüchern der Einrichtungen ab und unterstützt sie dabei, die ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen zu beantragen.
Über die Betreuung von Betroffenen und die Gewährung von Anerkennungsleistungen hinaus soll eine „Erinnerungskultur“ etabliert werden. Wünschenswert wäre hierzu die Gründung eines Fachbeirats, erläutert Krampen. Weitere Schritte sollen in Zusammenarbeit mit betroffenen Menschen, Vertreter*innen aus Politik, Kirche und anderen Gremien erarbeitet werden.
„Viele sprechen mit uns das erste Mal über ihre Erfahrungen“, erklärt Krampen. Sie betont: „Ich bin beeindruckt von den Menschen, die trotz dieser Erfahrungen – wie Missbrauch, Isolation, Zwangsarbeit – ihr Leben gemeistert haben.“ Den Betroffenen helfen zu können, empfinde sie als sehr bereichernd und wertvoll.
Der Unterstützungsfonds führt in Schleswig-Holstein die Arbeit der von Bund, Ländern und Kirchen gegründeten Stiftung Anerkennung und Hilfe fort, über die Betroffene bis zum 30. Juni 2023 Unterstützungsleistungen beantragen konnten. Durch den Fonds ist dies nun bis 2030 möglich. Zusätzlich können auch ehemalige Heimkinder, die bisher keine Leistungen aus dem Heimkinderfonds erhalten haben, Anerkennungsleistungen beantragen.
Damit sie möglichst viele Betroffene erreicht und diese die Anerkennung erfahren, die sie verdienen, setzt Tanja Krampen auch auf die Studierenden am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der FH Kiel: „Viele Studierende arbeiten neben dem Studium oder nach ihrem Abschluss in sozialen Einrichtungen. Dort kommen sie direkt in Kontakt mit Betroffenen. Das Wissen um den Fonds hilft, auf Leute zuzugehen und diese auf die Anerkennungsleistungen aufmerksam zu machen.“