Eindrücke von Erziehung und Bildung sowie Sozialer Arbeit in der Türkei
Gastbeitrag von den Lehrenden: Prof. Dr. Sylvia Kägi, Prof. Dr. Raingard Knauer, Prof. Dr. Fabian Lamp, Prof. Dr. Gaby Lenz, Prof. Dr. Ariane Schorn, Prof. Dr. Marita Sperga, Prof. Dr. Ursula Stenger; Kathrin Aghamiri; Dr. Gerald Blaschke
Vom 29. September bis zum 01. Oktober 2014 besuchten 58 Studierende und Lehrende der Fachhochschule Kiel gemeinsam mit zehn Studierenden und Lehrenden der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Rahmen einer Exkursion verschiedene pädagogische und soziale Einrichtungen und Hochschulen in Istanbul. Wohlwissend, dass ein so kurzer Besuch nur winzige Einblicke in die türkische Kultur, die politischen und pädagogischen Herausforderungen eröffnen kann, tauchten wir ein in den Alltag und die Atmosphäre einer Stadt mit 17 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.
Gruppenweise besuchten wir pädagogische und soziale Institutionen: Die meisten Studierenden der Kindheitspädagogik hospitierten am ersten Tag in vier privaten Kindertageseinrichtungen der Organisation „Small Hands“: in Rümelihisari, Etiler, Utopya und Selamicesme. Nach einem herzlichen Empfang stellten wir schnell Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den fachlichen Diskursen in der Türkei und Deutschland fest: In diesen privaten Kindertageseinrichtungen, die mit hohen Kosten für die Eltern verbunden sind und daher nicht der Normalfall der Kita-Betreuung in der Türkei sind, werden im Schnitt zehn Kinder von zwei pädagogischen Fachkräften häufig zweisprachig betreut. Die Außengelände sind eher klein. Interessant wäre ein Einblick in staatliche Einrichtungen gewesen, die sicher ein anderes Bild gezeigt hätten. Die meisten Studierenden der Sozialen Arbeit besuchten das autonome Frauenhaus der Frauenorganisation Mor Cati, das misshandelten Frauen Schutz bietet. Es versteht sich als politischer Akteur im Kampf gegen Gewalt an Frauen.
Nachmittags sammelten wir auf einer Stadtrundfahrt kulturelle Eindrücke und lernten aktuelle Herausforderungen des Bildungs- und Sozialsystems kennen. Istanbul – so wurde deutlich – ist eine schnelllebige, sich ständig verändernde und doch auf vielfältige jahrhundertelange Traditionen zurückblickende, pulsierende Stadt. Im großstädtischen Tag- und Nachtleben begegneten wir gleichzeitig Ausgrenzung, Armut und Benachteiligung. So drehten sich auch unsere Gespräche um Kultur und Religion, Armut und Reichtum, Werte und Normen sowie den Einfluss gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen auf das Leben von Menschen und die pädagogische und Soziale Arbeit. Aufgrund der Zusammensetzung und unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen der Studierenden ging es dabei immer auch um Fragen der eigenen Identität in multikulturellen Lebenswelten. Alle Versuche, unsere Eindrücke „eindeutig“ zu bewerten, waren dabei von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sowohl politische als auch kulturelle Fragen, die in der Regel eng zusammenhängen, sind nicht einfach zu beantworten und wurden durchaus auch kontrovers diskutiert.
Die Besuche an der Bahçeşehir University, Schwerpunkt Elementarpädagogik, und der Aydın University in Istanbul, Schwerpunkt Soziale Arbeit (beides private bzw. Stiftungshochschulen) am folgenden Tag eröffneten uns einen Eindruck der akademischen Ausbildung in Kindheitspädagogik, Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit.
Für die Tätigkeit in Kindertageseinrichtungen ist in der Türkei ein akademischer Bachelorabschluss obligatorisch. Das Studium orientiert sich an einem festgeschriebenen Curriculum. Studiengänge der Sozialen Arbeit werden seit 2005 im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen angeboten. Für das Arbeitsfeld Schulsozialarbeit werden Betreuungslehrkräfteausgebildet.
Später besuchte eine Gruppe „Umut Cocuklari Dernegi“, einen ehrenamtlichen Verein zur Unterstützung von Straßenkindern. Er bietet 60 Übernachtungsmöglichkeiten in einem Raum und hilft ihnen bei der Reintegration. Die andere Gruppe lernte die politisch unabhängige Organisation „Halkevleri“ (Volkshäuser) kennen, die seit 1932 Bildungsangebote für alle gestaltet, zum Beispiel Summer Schools für Kinder aus benachteiligten Wohnvierteln.
Ein gemeinsames opulentes türkisches Abendessenrundete den Tag ab. Hier und an vielen anderen Stellen waren uns die Studierenden mit türkischen Wurzeln und Sprachkenntnissen von besonderer Hilfe, bei denen wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchten!
Am letzten Vormittag erkundeten wir einige Highlights von Istanbul, darunter die Blaue Moschee, die Haghia Sophia und der große Bazar. Wie wir uns auch entschieden – die Zeit war zu kurz.
Im Rückblick auf die Exkursion waren wir uns einig: Istanbul und die Türkei sind nicht nur eine Reise wert, sondern bieten auch für die Kindheitspädagogik und Soziale Arbeit vielfältige fachliche Denkanstöße. Einige Studierende nutzten die Exkursion auch dazu, Kontakte für Praktika zu knüpfen.
Immer wieder stießen wir auf Themen und Fragen, die wir zwar nicht eindeutig diskutieren und beantworten konnten, uns aber vielfältige – auch interkulturelle – Perspektiven eröffneten. Wir alle kehrten ‚verändert‘ zurück – neben Fragen und Unsicherheiten auch mit zahlreichen neuen Eindrücken und Ideen für unsere Professionen der Kindheitspädagogik und der Sozialen Arbeit. Exkursionen verändern immer auch den Blick auf das eigene Handeln in Deutschland und genau darum sind sie wichtig.