Bis 2022 sollen nach Beschluss der Bundesregierung alle Atomkraftwerke vom Netz gehen. Der Kohleausstieg bis 2038 ist ebenso entschieden. Gleichzeitig kommt der Ausbau der Windenergie und Photovoltaik nicht so schnell wie geplant voran – der Energiesektor in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Eine Möglichkeit zur alternativen Stromerzeugung wird seit Januar am Institut für Schiffbau und maritime Technik erforscht: Ein Kraftwerk, das die Wellenbewegung der Meere zur Energiegewinnung nutzt.
„Die Ozeane haben ein riesiges Energiepotenzial“, sagt Prof. Dr.-Ing. Christian Keindorf. Und er hat eine konkrete Idee: Eine am Meeresboden verankerte Führungsstange wird mit einem Schwimmkörper an der Wasseroberfläche verbunden, der durch die Wellen auf und ab bewegt wird. Über einen Linear-Generator in der Stange wird so durch Induktion elektrische Energie erzeugt, mit der beispielsweise Inseln versorgt werden könnten. Sie sieht Keindorf als ein ideales Terrain für Wellenkraftwerke, weil Energieerzeuger und -verbraucher direkt nebeneinander liegen. „Auch für Aquafarming wäre diese Energiequelle direkt vor Ort interessant“, erklärt Keindorf. Alternativ könnte der gewonnene Strom über vorhandene Seekabel an Land transportiert werden.
Der Ansatz überzeugte die Landesregierung, die Ende Dezember einen Förderbescheid über 533.000 Euro zum Bau einer Testanlage für ein Wellenkraftwerk an Prof. Keindorf als Projektverantwortlichem und die Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH als Projektträger überreichte – eines von insgesamt zehn Forschungsvorhaben, die vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus mit insgesamt 6,3 Millionen Euro aus EU- und Landesmitteln gefördert werden. „Im ersten Jahr werden wir die Laboreinrichtung erweitern und mit Hilfe von Computerberechnungen eine Konzeptstudie ausführen“, skizziert Prof. Keindorf die nächsten Schritte, die er gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andreas Glaß angehen wird. Im zweiten Jahr soll ein Modell für das Labor gebaut werden, an dem dann Wellenversuche an so genannten Kleinprüfkörpern erfolgen. Der danach zu bauende Prototyp für eine Wellenkraftanlage im Modellmaßstab soll im Bereich der von der FuE GmbH betriebenen Forschungsplattform FINO3 vor Sylt verankert werden und im Test-Betrieb Messdaten liefern. „Wünschenswert wäre es, in einem Anschlussprojekt mit möglichst bis dahin gefundenen Industriepartnern den Prototypen weiter zu entwickeln und eine Kleinserie zu starten“, sagt Keindorf. Die ansässige Schiffbauindustrie kenne sich mit Schwimmkörpern aus, einem Produkt, das nicht weit von ihrem Know-how entfernt sei. Eine Werft habe sogar schon Interesse bekundet und ihre Unterstützung beim Projekt angeboten, berichtet der Professor.
Studierende der Ingenieurstudiengänge für Maschinenbau, Schiffbau, Offshore-Anlagentechnik sowie Informatik und Elektrotechnik werden von Anfang an Gelegenheit haben, über Bachelor- und Masterarbeiten am Wellenkraftwerk mitzuarbeiten, das nach dem Testbetrieb übrigens rückstandslos zurückgebaut oder an anderen Standorten weiterbetrieben werden kann. „Das entspricht genau unserer Ausrichtung, Forschung mit Lehre zu verzahnen und zu zeigen, was man später als Ingenieur*in machen kann“, betont Keindorf. Da es auf diesem Fachgebiet bisher keine Forschungsinitiative an der FH Kiel gab, auf die aufgebaut werden könnte, geht es zunächst um grundlegende Fragestellungen etwa zur Standsicherheit und Dauerhaftigkeit, bevor die Faktoren betrachtet werden, die den Ertrag des Wellenkraftwerks maßgeblich beeinflussen beziehungsweise optimieren. Die positiven Effekte gilt es schließlich zu steigern und die negativen zu minimieren.