Prof. Dr. Ute Vanini lehrt Controlling und Unternehmenssteuerung am Fachbereich Wirtschaft. Gemeinsam mit Prof. Dr. Holger Thiele vom Fachbereich Agrarwirtschaft ist sie seit gut anderthalb Jahren Sprecherin des Forschungsschwerpunkts „Nachhaltige Wertschöpfung“. Was das heißt, welche Herausforderungen es gibt, und woran es auch manchmal hapert, darüber spricht sie im Interview mit Lena Soumpasis.
Prof. Vanini, was ist eigentlich genau „Nachhaltige Wertschöpfung“?
Im Grunde ist der Name ein Kompromiss. Nachhaltigkeit ist ein sehr interdisziplinäres Thema. Um als Hochschule unsere Forschungs- und Transferaktivitäten zielgerichtet zu bündeln, brauchen wir eine gemeinsame Klammer. Wertschöpfung ist als Zielkriterium abstrakt genug, um alle Fachbereiche dahinter zu versammeln, aber jeder Fachbereich und jede Disziplin hat ein klares Eigenverständnis des Begriffs. Für mich bedeutet Wertschöpfung, finanzielle Werte beispielsweise in Form von Umsatz oder Gewinn zu schaffen. Nachhaltigkeit hat aber drei Säulen: die soziale, die ökologische und die ökonomische. Das heißt, dass für andere Disziplinen Wertschöpfung in den anderen Säulen erfolgt. So tragen zum Beispiel eine Reduktion des CO2-Ausstoßes zur ökologischen, eine Verbesserung der Bildungschancen zur sozialen Wertschöpfung bei. Dabei liegt häufig ein Zielkonflikt zwischen der ökonomischen und den anderen beiden Säulen vor. Nachhaltige Wertschöpfung heißt aber, alle Säulen einzubeziehen, die Auswirkungen von Entscheidungen auf alle Dimensionen zu bewerten und mögliche Zielkonflikte zu identifizieren und diese zu steuern.
Was sind Ihre Aufgaben als Sprecherin für diesen Schwerpunkt?
Zum einen möchte ich eine Diskussion darüber anstoßen, was Nachhaltigkeit für uns als Hochschule bedeutet.Unter der Nachhaltigkeitsflagge segeln mittlerweile allerlei Ideen, die sich nur mit einem minimalen Ausschnitt einer Nachhaltigkeitssäule befassen oder sogar in die Kategorie „Greenwashing“ fallen. Dieser Trend, alles Mögliche als nachhaltig zu bezeichnen, auch wenn das gar nicht zutrifft, wird leider auch medial und politisch getrieben, da Medien und Politik diversen Ansätzen und Themen eine große Aufmerksamkeit schenken, ohne zu hinterfragen, ob sie wirklich nachhaltig sind. Eine Verbesserung der Nachhaltigkeit ist mittlerweile auch ein Kriterium für viele öffentlich geförderte Forschungs- und Transferprogramme. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen und die Ideen aus der Hochschule auf echte Nachhaltigkeit zu prüfen, sehe ich als eine meiner Aufgaben.
Außerdem habe ich eine interne Koordinierungsfunktion. Wer also eine Frage zum Bereich nachhaltige Wertschöpfung hat oder sich mit Kolleg*innen vernetzen möchte, kann mit mir Kontakt aufnehmen. Über mich können Veranstaltungen organisiert oder Mitstreiter*innen für einen Forschungsantrag gesucht werden. Um die interne Vernetzung systematischer anzugehen, haben wir bereits zwei Workshops durchgeführt. Dabei haben wir Teilnehmenden unser jeweiliges Verständnis von Nachhaltigkeit verglichen, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Zudem haben wir beispielhaft Projekte unter Beteiligung der Hochschule vorgestellt, die sich mit Aspekten der nachhaltigen Wertschöpfung befassen, und uns mit Förderungsmöglichkeiten z. B. durch die Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein (EKSH) auseinandergesetzt. Außerdem bin ich Ansprechpartnerin für externe Organisationen und repräsentiere gemeinsam mit meinem Co-Sprecher Holger Thiele aus dem Fachbereich Agrarwirtschaft den Forschungsschwerpunkt nach außen.
Welche Probleme sehen Sie bei der Umsetzung von Ideen in dem Forschungsschwerpunkt?
Neben dem unterschiedlichen Begriffsverständnis ist die hohe Lehrbelastung der Kolleg*innen ein Problem. Hinzu kommt, dass etablierte Kolleg*innen häufig schon in Projekten und Netzwerken aktiv sind und meine Unterstützung nicht mehr benötigen. Dadurch leidet allerdings ein wenig die Interdisziplinarität, die gerade beim Thema Nachhaltigkeit eine überragende Rolle spielt. Deshalb soll der Austausch in Zukunft eher ein bisschen zwangloser, im Rahmen eines Stammtisches stattfinden. Kolleg*innen, die schon länger dabei sind, möchte ich direkt ansprechen und zum Austausch oder zu Kurzvorträgen zum Beispiel für unsere Workshops bewegen. Aber letztendlich helfen strukturelle Angebote nur bedingt. Für eine erfolgreiche Kooperation muss die persönliche Beziehungen zwischen den Kolleg*innen stimmen und man muss eine gemeinsame Sprache finden. In dieser Hinsicht bergen interdisziplinäre Projekte größere Risiken, aber eben auch Chancen, wenn wir versuchen, aus verschiedenen Blickwinkeln gemeinsam an einer Projektidee zu arbeiten. Nachhaltigkeit ist und bleibt eine spannende Reise.
Sie kommen aus dem Fachbereich Wirtschaft. Wie passen Ökonomie und Nachhaltigkeit zusammen? Für mich ist das ehrlich gesagt nicht gerade eine naheliegende Kombination?
Die Ökonomie ist eine feste Säule im Nachhaltigkeitskonzept, auch wenn häufig Zielkonflikte mit den beiden anderen Säulen bestehen. Zumindest kurzfristig. Die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft erfordert zunächst sehr hohe Investitionen, die sich aber langfristig und manchmal auch kurz- bis mittelfristig finanziell auszahlen, also Wert schöpfen. Ein schönes Beispiel sind die Investitionen in erneuerbare Energien, als die Energiepreise stark gestiegen sind. Die Unternehmen haben sehr viel getan, um ihre Energieeffizienz zu verbessern – und das zahlt sich tatsächlich direkt in geringeren CO2-Emissionen, einer Stabilisierung der Energiekosten sowie einer höheren Versorgungssicherheit aus. Aus dem Zielkonflikt wurde eine Zielkomplementarität. Aber eigentlich darf die Frage nicht lauten: Können wir uns Nachhaltigkeit leisten? Sondern: Können wir es uns – auch ökonomisch – leisten, nicht nachhaltig zu sein? Nehmen wir die immer häufigeren Extremwetterereignisse, die zu höheren Schadenssummen und steigenden Versicherungsprämien führen, die sich potenzielle Versicherungsnehmer*innen nicht mehr leisten können.
Ich arbeite aktuell in meinem Forschungsfreisemester an einem Buch zum Nachhaltigkeitscontrolling, d. h. eine systematische Integration von Nachhaltigkeit in die Ziele und die Steuerung von Unternehmen, wie zum Beispiel bei den Science Based Targets (SBT). Es hat sich eine SBT-Initiative (SBTi) gebildet, die weltweit Unternehmen dabei unterstützt, eigene Klimaziele auf Basis des Pariser Abkommens von 2015 aufzustellen. In der EU müssen bis 2050 alle Unternehmen klimaneutral sein. Nun stellt sich für die Unternehmen die Frage: Wie erreichen wir das? Den SBTs liegen wissenschaftliche Annahmen zugrunde und die Unternehmen können sich unter Zugrundelegung verschiedener Rahmenbedingungen ausrechnen, was zu tun ist, um diese Anforderungen zu erfüllen. Wie stark muss ich also meinen CO2-Ausstoß jährlich in den kommenden Jahren reduzieren? Etliche deutsche Unternehmen - und nicht nur große, sondern auch kleine Unternehmen - haben sich auf diesen Weg gemacht. Für die Unternehmen erfolgt die Ableitung von CO2-Zielen aus unterschiedlichen Motiven: Zum einen werden sie regulatorisch und ökonomisch aufgrund der steigenden CO2-Preise zunehmend dazu gezwungen („Ich muss ja“). Andere Unternehmen sind überzeugt davon und haben Nachhaltigkeitsziele wie den Erhalt natürlicher Ressourcen oder Chancengleichheit explizit als Unternehmensziele definiert („Ich will“).
Nachhaltige Wertschöpfung muss also messbar sein?
Unbedingt, sonst können wir die Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Nachhaltigkeitssäulen nicht identifizieren, bewerten und letztendlich steuern. Wir müssen bei Fragen zur Nachhaltigkeit vielfältige Wechselwirkungen beachten – und deswegen die Fragestellungen auch interdisziplinär stellen und beantworten, um diese Wechselwirkungen auszuloten. An unserer Hochschule bieten Kolleg*innen aus allen Fachbereichen und dem Zentrum für Lernen und Lehrentwicklung (ZLL) jedes Sommersemester das interdisziplinäre Modul „Klimaschutz und Klimawandel“ an. Die Kolleg*innen bringen dort ihre wissenschaftlich basierte Perspektive ein, also untermauert durch Zahlen, Daten und Fakten. Dadurch erfassen die Teilnehmer*innen zunächst einmal die Komplexität des Themas. Die Vorstellung zu schnellen Erkenntnissen und Lösungen zu kommen, ist unrealistisch. So fördert das Modul die Bereitschaft, sich in die Perspektive der anderen hineinzuversetzen – sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Studierenden. Das finde ich nach wie vor bereichernd und das ist auch meine Motivation, mich in das Modul einzubringen.
Stichwort Interdisziplinarität: im Transfer geht es darum, verschiedene Forschungsbereiche zu verknüpfen. Mit welchem Fachbereich würden Sie gerne mal ein Projekt umsetzen – ins Blaue gesprochen?
Wirtschaft und Agrarwirtschaft passen immer gut zusammen. Der Fachbereich hat die „Wirtschaft“ ja bereits im Namen und wir verfügen in vielen Teilen schon über eine gemeinsame Fachsprache und ähnliche Konzepte. Inzwischen heißt der Bachelorstudiengang sogar „Nachhaltige Agrarwirtschaft“. Spannend sind auch technische Projekte, sowohl mit dem Fachbereich Maschinenwesen als auch mit dem Fachbereich Elektrotechnik und Informatik, die beide sehr stark mit dem Effizienzgedanken vertraut sind. Der Ansatz „Wir verbessern die Energieeffizienz und reduzieren damit auch den CO2-Ausstoß“ lässt sich sehr gut mit wirtschaftlichen Fragestellungen verbinden. Die Integration der sozialen Nachhaltigkeit ist noch weniger entwickelt. Noch ist unklar, was mit sozialer Nachhaltigkeit genau gemeint ist und aus den Zielkonflikten können sich leicht Gerechtigkeitsdiskussionen entwickeln. Allerdings liegt hier auch ein großes Potenzial. Auch mit den Kolleg*innen vom Institut für Bauwesen und vom Fachbereich Medien lassen sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für gemeinsame Projekte und Fragestellungen finden, wenn es z.B. um Entwicklung, Nutzung und Bewertung nachhaltiger Baustoffe oder um Kommunikation und Anleitungen zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten geht.