Agnes Moiroux hält ein Bild der Marianne an der Fachhochschule Kiel© J. Königs

Ein Stück Frankreich mitten in Kiel

von viel.-Redaktion

Im Gespräch mit Agnès Moiroux zum Welttag der französischen Sprache

Wenn Agnès Moiroux mit ihren Freunden in der Küche steht, salade au chèvre chaud zubereitet, zum Hauptgang für den coq au vin das Hähnchen mit Rotweinsoße und frischem Marktgemüse anrichtet, und zum Dessert gebackene Éclairs, glasiert mit herrlich süßer Schokolade, bereitstellt, holt sie sich ein Stück Heimat nach Hause.

„Délicieux!“, schmeckt die Französin lächelnd ihren Salat mit warmem Ziegenkäse ab und bereitet als Auftakt zum ausgedehnten Abendessen mit ihren Freunden den apéritif vor.

„Das ist eine Tradition aus Frankreich“, erklärt sie. „Bevor man abends zu Tisch kommt, also kurz vor dem Abendessen, serviert man den Gästen ein Getränk und eine Kleinigkeit zum Knabbern.“ In Frankreich ist allgemein bekannt, dass mit der Abkürzung Apéro genau diese typische Tradition gemeint ist. „Das lieben und kennen jetzt auch meine Freunde!“, sagt Moiroux.

Geboren wurde die Französin in Lyon, der drittgrößten Metropolregion Frankreichs. Vor 25 Jahren zog es sie nach Norddeutschland. „Das ist schon sehr lange her…“, erinnert sich Agnès Moiroux. „Ich bin wegen der Liebe nach Kiel gezogen. Das ist typisch für viele Französinnen und Franzosen, die hier leben.“ Ihren Ehemann, der in Kiel studierte, lernte sie an einer Universität in England kennen. Beide waren Erasmus-Studierende und überlegten es sich mit der gemeinsamen Zukunft nicht lange. Die Sprachbarriere war dabei für die junge Frau kein Problem: „Ich hatte Deutsch schon in der Schule und an der Universität gelernt. So kam ich schließlich hierher.“

Moiroux ist ein Großstadtmensch, neben ihrer Geburtsstadt Lyon lebte sie auch einige Zeit in Paris. Nach ihrer Ankunft in der Norddeutschen Stadt lernte sie vieles kennen, was sie aus ihrer französischen Heimat nicht kannte: Viel Grün, Wiesen und Felder, die schönen Strände, große Segelschiffe und Kreuzfahrer. Sie fühlt sich wohl bei diesem nordischen Charme.

„Die Schiffe gleich in der Mitte der Stadt, im Zentrum, das hat für mich viel Flair.“ Auch die Nähe zu Hamburg und Kopenhagen macht die Hauptstadt Schleswig-Holsteins für die Frau aus Lyon zu einer attraktiven Region.

Kein Wunder also, dass man die elegant gekleidete Französin im Sommer häufig als Gast in der Fischbar am Wasser an der Kiellinie antrifft. Im Strandkorb macht sie es sich bei Fischspezialitäten gerne gemütlich. Doch im Herzen ist und bleibt sie immer française: In der französischen Bäckerei Restez! hat sie ihr kleines Stück Frankreich in Kiel gefunden. Mit leckeren Croissants, Kuchen und einem café kann sie hier eine Auszeit finden, wenn es ihre Arbeitszeit erlaubt.

„Ich muss dieses cliché leider bestätigen!“, lacht Moiroux herzlich. „Ich denke gerne an die Sonne und das Essen aus Frankreich. Es stimmt schon, das Essen spielt dort eine sehr wichtige Rolle. Wir essen abends sehr lange. Man sitzt ewig gemeinsam am Tisch, genießt die Stimmung in der großen Runde … es hat eine soziale Funktion, man tauscht sich viel aus.“ In ihrer Heimat schlendert sie gerne in Ruhe über die französischen Märkte, kauft frisches Gemüse, bummelt durch die Gassen und genießt die Köstlichkeiten, die die Händler anbieten: Baguette, Geflügel, Trüffel, Pastete, Käse.

Dieses Stück französischer Lebenskunst, dieses Verstehen, zu leben, bringt Moiroux auch mit nach Kiel. „Alors, ein gewisses savoir vivre im Alltag ist mir wichtig“, sagt die Französin. Wie das genau zu verstehen ist? Ihre Lockere Art sei es, überlegt sie, alles nicht so hektisch anzugehen. Sie nehme sich Zeit für vieles und achte diese Qualität im Leben. Auch die Freude daran, Leute zu treffen, zu empfangen und gesellig den Abend zu verbringen, komme ihr dank dieser Lebenseinstellung sehr natürlich vor.

Doch auch die deutsche Kultur hat ihren Platz im Herzen von Agnès Moiroux gefunden. Die Deutschen haben einen Sinn für das Kollektiv, überlegt sie. „Das zeigt sich in Wohngruppen, Fahrgemeinschaften, den Umgang mit der Umwelt. Die Deutschen sind ein Volk der Denker. Sie setzen sich gerne mit vielen Dingen auseinander, das finde ich sympathisch.“

Zwar werde sie selbst nicht deutscher, doch viele Traditionen und Bräuchen gefallen ihr. Die Adventszeit mit dem Adventskranz ist einer dieser Bräuche, denn in Frankreich ist diese Art, die Weihnachtszeit einzuläuten, unbekannt. Auch das Osterfest wird bei den Franzosen weniger groß gefeiert. „Wir kennen den Osterhasen in Frankreich nicht, dafür fliegen bei uns Glocken nach Rom“, erinnert sich Moiroux an die französischen Ostertage aus ihrer Kindheit. Zu Ostern läuten in Frankreich keine Glocken, denn man glaubt, dass die Glocken am Gründonnertag nach Rom reisen, um vom Papst gesegnet zu werden. Erst am Ostersonntag kehren die Glocken mit Ostereiern, also den Süßigkeiten für die Kinder, zurück und verlieren diese auf dem Heimweg über ganz Frankreich.

„Auch den Tanz in den Mai in Deutschland finde ich sehr charmant“, sagt Moiroux. Nicht nur Feste, sondern auch die deutsche Sprache hat für sie eine Menge interessanter Aspekte. Ihr Lieblingswort ist das Adjektiv gemütlich. „Man kann dieses Wort nicht ins Französische übersetzen. Man müsste es mit fünf oder sechs Worten umformulieren“, erklärtsie. „Diese deutsche Gemütlichkeit ist für mich etwas Besonderes. In Frankreich leben wir mehr draußen, dieses Wort beschreibt das Gegenteil.“

Auch eine für Kieler typische Redewendung hat es ihr angetan: Watt mutt, datt mutt. „Das finde ich sehr eindrucksvoll“, meint sie, „man weiß in Norddeutschland sofort, was damit gemeint ist! Das setze ich auch gerne zu Semesterbeginn ein.“

Es war ein glücklicher Zufall, dass Agnès Moiroux heute an der Fachhochschule in Kiel Französisch unterrichtet und ein Stück französische Kultur auf den Campus bringt. Nach ihrer Ankunft in Deutschland war sie mit vielen anderen Französinnen und Franzosen zunächst am Institut Français als Dozentin beschäftigt, ehe der Fachbereich Wirtschaft nach einer Lehrkraft für Französisch für die FH Kiel suchte. Moiroux bewarb sich, arbeitete zunächst am FB Wirtschaft und konnte wenig später anfangen, im Sprachenzentrum der FH Kiel zu arbeiten. „Ich traue mich das kaum zu sagen, aber ich bin jetzt…oh là là, seit mindestens 24 Jahren an der FH! Die Zeit läuft so schnell. Aber es ist schön, so kenne ich auch viele Kollegen.“

In ihrem Büro an der FH Kiel hängt seit kurzem ein neues Bild: Eine moderne Version der traditionellen Marianne, der Nationalfigur der Französischen Republik. „Leider ist es nur ein Druck, nicht das Original“, scherzt Moiroux. „Das hat Macron im Élysée Palast in Frankreich hängen. Ich finde das Bild sehr hübsch.“ Eine Büste der Marianne wird in Rathäusern in ganz Frankreich ausgestellt. Mit den Jahren wechselt das künstlerische Vorbild zwischen verschiedenen prominenten Französinnen. Seit 2012 ist die Schauspielerin Sophie Marceau Modell für das Symbol der französischen Freiheit.

Zu Ehren der französischen Sprache wird heute, am 20. März 2018, der Internationale Tag der französischen Sprache begangen. Dieses Datum markiert den Jahrestag der Internationalen Organisation der Frankophonie, der Gemeinschaft derjenigen Staaten, in denen Französisch als eine der Landessprachen gesprochen wird.

„Unsere Sprache hat etwas Globales, denn weltweit sprechen über 270 Millionen Menschen in über 50 Ländern Französisch, also nicht nur in Frankreich, Belgien und der Schweiz“, erklärt Agnès Moiroux, „sondern auch in vielen Teilen Kanadas und Afrikas, darunter Haiti, Dschibuti, Kamerun, auf den Seychellen und im Senegal.“ Auch ist Französisch nach wie vor eine Arbeitssprache in vielen internationalen Organisationen.

Passend zu diesem Ehrentag ist auch das französische Lieblingswort von Agnès Moiroux: Avantgarde bedeutet so viel wie Wegbereiter, Vorreiter oder Pionier. „Ich mag den Klang. Französisch ist eine Sprache, die sehr viele Nuancen hat und die es auch ermöglicht, seine Gedanken sehr elegant und höflich auszudrücken.“

Ob es eine Sprache gibt, die ihr sonst noch so gut gefällt? „Da werden Sie lachen, ich muss tatsächlich Deutsch sagen“, antwortet Moiroux sofort. „Mein Vater war leidenschaftlicher Deutschlehrer und ich bin wirklich mit der Liebe zur Sprache aufgewachsen. Der Klang gefällt mir und die Texte der großen deutschen Philosophen haben meine Kindheit geprägt.“

Nun, da Agnès Moiroux nicht mehr nur deutsche Literatur liest, sondern auch in Deutschland lebt, schließt sich der Kreis.

Am Wochenende gibt es keinen coq au vin oder salade au chèvre chaud bei Agnès Moiroux. Sie wird ihren Sonntag mit der ganzen Familie sehr lange am Esstisch verbringen. Das üppige und vor allem gemütliche deutsche Sonntagsfrühstück lässt das Herz der Genießerin höherschlagen.

Mit Agnès Moiroux vom Zentrum für Sprachen und interkulturelle Kompetenz sprach Julia Königs von der viel. Redaktion.

Wer bei Agnès Moiroux Französisch lernen möchte, findet hier eine Übersicht der angebotenen Kurse im Sommersemester.

Die Einstufungstests für Studierende mit Vorkenntnissen finden noch am Mittwoch (21.03. von 11 bis 12 Uhr), Donnerstag (22.03. von 14 bis 15 Uhr) und Freitag (23.03. von 11 bis 12 Uhr) statt.

Und wer Appetit auf die Küche Frankreichs bekommen hat: Während der Interdisziplinären Wochen (IDW) im Mai 2018 bietet Stéphane Le Gall einen französischen Kochkurs an.

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