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Ein Land ohne Perspektiven?

von viel.-Redaktion

Studierende sehen ihre berufliche Zukunft nicht in Schleswig-Holstein, jedenfalls laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young. Demnach planen 62 Prozent nach dem Abschluss einen Berufseinstieg in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Gerade mal zwei Prozent attestieren dem Norden gute Perspektiven für den Start ins Berufsleben. Zum Vergleich: In Hamburg planen nur knapp 20 Prozent einen Umzug nach dem Studium. Auch Politik und Arbeitgeberverbände warnen vor einem Fachkräftemangel im Norden. Aber kommen Unternehmen und potentielle Arbeitnehmerinnen und -nehmer hierzulande wirklich nicht zusammen? Das wollte Frauke Schäfer vom FH-Präsidenten Prof. Udo Beer wissen.

Gibt es hier im Norden wirklich zu wenig attraktive Arbeitsmöglichkeiten für unsere Absolventinnen und Absolventen, so dass sie gezwungen sind, im Süden der Republik Arbeit zu suchen?

Ich habe den Verdacht, dass dies auf unsere Studierenden nicht zutrifft. Wenn wir sie in den Süden zum Praktikum schicken, besteht natürlich die Gefahr, dass sie nicht wiederkommen. Aber die meisten finden Praktikumsplätze in Kiel und Umgebung bis hinunter nach Hamburg; an die Elbe gehen auch viele. Doch da nach meiner Erfahrung die meisten schon im Praktikum „ihr“ Unternehmen finden, behaupte ich, dass wir unsere Absolventinnen und Absolventen hier im Umkreis von hundert Kilometern unterbringen.

Wie knüpfen unsere Studierenden den Kontakt zu den Unternehmen?

Da sind die ganz findig. Die Hälfte hat vor dem Studium eine Ausbildung absolviert und damit schon eine Verbindung zur Arbeitswelt. Im Übrigen stellen die Fachbereiche auch Listen von Unternehmen bereit, in denen Studierende schon Praktika gemacht haben, die Professorinnen und Professoren sind bei der Suche behilflich und wir haben eine Internetplattform, über die die Wirtschaft Plätze anbieten kann, was sie auch tut. Ich hatte bisher nie den Eindruck, dass unsere Studierenden ein Problem haben, einen Praktikumsplatz zu bekommen.

Gestaltet sich ihr Berufseinstieg ähnlich unkompliziert?

Ja, wir wissen durch unsere Absolventenbefragungen, dass die meisten innerhalb weniger Monate eine Stelle finden. Länger als ein Jahr warten die wenigsten. Ich habe an der Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young ernsthafte Zweifel. Im vergangenen Jahr teilte mir die IHK mit, dass es eine Untersuchung über den Nachwuchsmangel in Schleswig-Holstein bis zum Jahre 2030 gebe. Danach beziffern die heimischen Unternehmen ihren Bedarf an akademischen Bewerbungen mit 8.000. Von einem echten Mangel kann nicht die Rede sein, so viele werden wir bis 2030 lässig ausbilden – das schafft allein die Fachhochschule Kiel. Das Problem Fachkräftemangel ist nach dieser Studie eher bezogen auf Menschen mit dualer Ausbildung.

Wie vernetzt ist die Fachhochschule Kiel denn insgesamt mit der Wirtschaft?

Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen den Unternehmen und den Verbänden sowie Kammern. Die Beziehungen zu den Unternehmen sind hervorragend: Wir erhalten über unsere Forschungs- und Entwicklungszentrum Fachhochschule Kiel GmbH jede Menge privatwirtschaftliche Aufträge. Aber kleinere Unternehmen in Schleswig-Holstein, in denen die Unternehmensführung nicht selbst studiert hat, haben Berührungsängste. Dort kommt die Leitung nicht so leicht auf die Idee, bei einer Uni oder Fachhochschule anzurufen und um Hilfe zu bitten, was bei den mittleren und größeren Unternehmen im Lande absolut üblich ist.

Gute und dennoch ausbaufähige Vernetzung im Bereich der Forschung und Entwicklung also, aber wo könnten Hochschule und Wirtschaft noch enger kooperieren?

Im Bereich der akademischen Weiterbildung ist noch eine Menge zu tun. Dort schlummert Potential, ich habe aber bis jetzt keine klare Bedarfsanforderung der Wirtschaft vorliegen. In der Vergangenheit haben wir im Bereich der Weiterbildungsmaster Erfahrungen gesammelt und da – das konnten wir feststellen – ist das Interesse der hiesigen Wirtschaft sehr gering.

 

Die Unternehmen schicken hin und wieder ein, zwei Studierende und dann kommt jahrelang nichts. Auf so einer Basis können wir nicht kalkulieren; wir dürfen für die Weiterbildung der Beschäftigten der hiesigen Unternehmen keine Steuergelder verbrennen. Wir brauchen ein festeres Commitment, wie es zum Beispiel mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag bereits besteht. Der sh:z verpflichtet sich, jedes Jahr bis zu 20 Studierende in den Weiterbildungsstudiengang Journalismus und Medienwirtschaft zu schicken, wodurch wir eine solide finanzielle Grundlage haben. Diese Kooperation ist für unser Land jedoch eher untypisch, weil wir eine Kultur von eher kleinen bis mittleren Unternehmen haben, die nicht von sich aus eine Gruppe von 20 Weiterbildungsmastern stemmen können. Ich möchte das wirtschaftliche Risiko nicht tragen. Wenn der Unternehmerverband oder eine Kammer das übernehmen und dafür sorgen würde, dass jedes Jahr 20 Plätze voll genutzt werden – wunderbar.

Mit welchen schleswig-holsteinischen Branchen könnten Sie sich solche Kooperationen vorstellen?

Die Elektroindustrie hierzulande hat durchaus einen großen Bedarf und sucht händeringend Ingenieurinnen und Ingenieure.

Gibt es diesbezüglich konkrete Überlegungen seitens der Hochschule?

Wir haben einmal versucht, der heimischen Wirtschaft spanische Ingenieurinnen und Ingenieure zu vermitteln. Die Grundidee war folgende: Wir wollten Mechatronikerinnen und Mechatroniker mit Bachelorabschluss aus Spanien in Deutschland parallel zu einer Berufstätigkeit einen Masterstudiengang und Deutschunterricht anbieten. Über ein Jahr lang haben wir diesen Ansatz als Projekt verfolgt, sind in die Vorleistung gegangen, doch die Idee ist in unserer Region nicht auf fruchtbaren Boden gefallen.

Passt das dazu, dass sich die IHK-Vollversammlung im Jahr 2014 skeptisch über ein Promotionsrecht für Fachhochschulen im Land geäußert hat?

Ja, und ich kann das nicht so recht nachvollziehen. Die Beziehungen zwischen der FH und der IHK sind eigentlich sehr gut, wir haben auch einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Auf mich wirkt die Ablehnung ein wenig unreflektiert, schließlich gewinnen die regionalen Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eher von den Fachhochschulen als von den Universitäten. Und wir besetzen Felder, die für die Wirtschaft eine Schlüsselbedeutung haben: Maschinenbau und Schiffbau an der FH Kiel, Bauingenieurwesen und Architektur an der FH Lübeck. Die Fachhochschulen im Lande bieten alle „Spezialitäten“, die an Universitäten gar nicht gelehrt werden: Es wird niemals promovierte Maschinenbauer oder Schiffsbauingenieurinnen von der Universität Kiel oder den anderen beiden Universitäten geben. Darum verstehe ich nicht, warum die Vollversammlung der IHK glaubt, dass sie auf promovierte Ingenieurinnen und Ingenieure in diesen Schlüsselbranchen verzichten kann. Ich sehe dies nicht zuletzt anders, weil die IHK gleichzeitig auch der Auffassung ist, die Innovationskraft Schleswig-Holsteins sei entwicklungsfähig. Unternehmen können nur innovativ sein, wenn sie bestimmte Felder akademisch tiefer durchdringen. Das Promotionsrecht ist für mich auch ein mögliches Bindemittel für gut ausgebildete und engagierte Ingenieurinnen und Ingenieure: Verbaut die heimische Wirtschaft den regional interessierten Studierenden den Weg in die Promotion, gehen diese eben nach Süddeutschland und bleiben auch dort. Deswegen brauchen wir auch die Luft nach oben zur Promotion – andernfalls führt es eben zu dem unerwünschten Ergebnis des vielbeklagten Braindrain.

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