Ein bisschen ist es ja wie nach Hause kommen. Nach 20 Jahren in der „Ferne“ ist der gebürtige Flensburger Kai Marquardsen in den Norden zurückgekehrt, seit Anfang März bekleidet er an der Fachhochschule die Professur für Armut und soziale Ungleichheit im Kontext der Sozialen Arbeit. Wie er zu seinem Forschungsthema gekommen ist und warum er nach dem Abitur gar nicht schnell genug weg kommen konnte, hat er Frauke Schäfer im Interview verraten.
Mit Ihrem Forschungsschwerpunkt sind Sie ja aktuell geradezu im Trend, Armut ist ein vieldiskutiertes Thema.
„Wieder“ muss man sagen. Das Thema Armut war jahrzehntelang fast von der Agenda verschwunden, auch im wissenschaftlichen Diskurs. Aber seit einigen Jahren hat es durch veränderte Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse und daraus resultierende soziale Lagen, die von Prekarität und Ausgrenzung gekennzeichnet sind, wieder an Bedeutung gewonnen. In den letzten Wochen ist vor allem Kinderarmut im politischen Diskurs und in den Medien ein ganz großes Thema. Ich habe hier in Kiel auch schon mal die „Netze“ ausgeworfen und geschaut, wer hier in dem Feld unterwegs ist und wo ich mit meiner Expertise anknüpfen kann.
Wie sind Sie denn an das Thema gekommen?
Ich habe Soziologie, Sozialpsychologie und Medien- und Kommunikationswissenschaften studiert, damals noch auf Magister. Und in der Soziologie ist das Thema soziale Ungleichheit ziemlich prominent. In den letzten Jahren habe ich mich dann auch intensiv mit der Arbeitssoziologie befasst. Vielleicht ein naheliegender Schritt, in einer Gesellschaft, in der sich der Status ganz entscheidend über die Arbeit definiert. Was bedeutet es dann, nicht mehr „drin“ zu sein? In meiner Dissertation habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie sich informelle soziale Netzwerke von Menschen unter dem Einfluss von einer prekären Anbindung an den Arbeitsmarkt oder auch Arbeitslosigkeit verändern. Und wie sie umgekehrt auch zu Bewältigungshandeln beitragen können. Da war ich dann schon ganz nah an der Sozialen Arbeit. Im Rahmen meiner Tätigkeit am Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen war ich u.a. an einer groß angelegten, bundesweiten Evaluation der Bildungs- und Teilhabeleistungen der Bundesregierung beteiligt. Dort steht im Hintergrund ja auch immer die Frage: Wie gehen Menschen mit der Situation der Gefährdung von Teilhabe um? Gerade auch in Bezug auf Kinder. Wie empfinden Kinder und Jugendliche die Situation? Wie gehen Politik und Verwaltung damit um? Bei all diesen Fragen spielen Armut und soziale Ungleichheit eine ganz große Rolle.
Sie haben lange in Göttingen studiert, nun sind sie wieder zurück in den Norden gekommen, warum?
Nach dem Abitur hatte ich einen Studienplatz in Kiel, habe mich aber für Göttingen entschieden, weil das weiter weg war. Ich dachte: ‚Ich muss mal aus Schleswig-Holstein raus.‘
In Flensburg haben Sie sich ja gewissermaßen in einer Randlage befunden. Da geht’s - zumindest in Deutschland – auch nicht mehr weiter.
Ja, ich hatte zwar mal zwei Jahre Dänisch in der Schule, aber ich kann es nicht. Weiter nach ‚oben‘ zu gehen, kam für mich nicht in Frage, das war gedeckelt.
Also lieber runter nach Göttingen. Wie lange sind Sie denn nun weggewesen?
Dieses Jahr werden es 20 Jahre. Göttingen war immer mein Lebensmittelpunkt. Nach dem Studium hatte ich ein Stipendium der Rosa Luxemburg Stiftung, habe zuhause gearbeitet, war aber institutionell an die Uni Jena angebunden und konnte auf deren Forschungsstruktur zurückgreifen. Später bin ich fast vier Jahre nach Jena gependelt und habe an der Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. 2013 kam der Anruf vom Soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen, da habe ich nicht lange gezögert, ich bin zwei Minuten zu Fuß zur Arbeit gegangen, aktuell sind es leider vier Stunden mit dem Zug.
Was hat sie bewogen, an die Fachhochschule Kiel und damit in den Norden zurückzukommen?
Es ist tatsächlich ein gewisses Zurückkommen. Ich kenne ja den Menschenschlag hier und habe die Mentalität, Land und Leute während meiner langen Abwesenheit auch wieder schätzen gelernt. Früher fand ich Schleswig-Holstein piefig, aber mittlerweile sehe ich das entspannt und bin gerne hier. Die Nähe zum Meer ist einfach unschlagbar toll, das hat mir vielleicht auch gefehlt. Und die Ausschreibung passte inhaltlich super. Offensichtlich habe ich inhaltlich eine gute Figur gemacht und den Eindruck vermittelt, das Thema glaubwürdig vertreten zu können. Es liegt mir aber auch sehr am Herzen, weil es eine ungeheure Brisanz und Aktualität hat.
Was wollen Sie bei ihren Studierenden denn in der Lehre erreichen? Was ist Ihnen ein Anliegen?
Da ich aus der Forschung komme und nicht wie einige Kolleginnen und Kollegen eher aus der Praxis, habe ich vielleicht eine distanziertere Sicht auf die Dinge, die manchmal sehr nützlich sein kann. Aus der Forschungspraxis heraus möchte ich mit den Studierenden gemeinsam zum Beispiel an Interviewmaterial arbeiten oder auch Erhebungseinheiten einbauen in die Lehre, den Praxisbezug über den Forschungsblick einzubringen, ist mir wichtig.