Eine Gruppe vor einem Haus.© S. Hau­ers
Eine Grup­pe Stu­die­ren­der hat eine his­to­ri­sche Lehm­de­cke in Stand ge­setzt.

Ein ar­chai­scher Bau­stoff wie­der­ent­deckt

von Joa­chim Kläschen

Beim Ge­dan­ken an Bauen kom­men vie­len als ers­tes Beton und Klin­ker in den Sinn. Dass Lehm als Bau­stoff hier­zu­lan­de ein­mal eine große Be­deu­tung hatte, ist mitt­ler­wei­le weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Sa­bi­na Hau­ers, Pro­fes­so­rin für Grund­la­gen des Kon­stru­ie­rens am In­sti­tut für Bau­we­sen der Fach­hoch­schu­le Kiel, will das än­dern. Sie ist von den vie­len po­si­ti­ven Ei­gen­schaf­ten des Bau­stoffs über­zeugt und lässt diese Be­geis­te­rung durch prak­ti­sche Er­fah­run­gen auf ihre Stu­die­ren­den über­sprin­gen.

„Lehm ist ein Na­tur­ma­te­ri­al, das sich als In­nen­putz be­son­ders für All­er­gi­ker eig­net. Im Fach­werk wurde Lehm für die Aus­fa­chung von Wän­den ver­wen­det, in Katen lange Zeit als Boden“, zählt Hau­ers ei­ni­ge An­wen­dungs­fäl­le auf. „Seine ganz große Stär­ke spielt der Lehm beim Rück­bau aus, denn der Na­tur­stoff lässt sich ein­fach ab­lö­sen und in glei­cher Qua­li­tät wie­der ver­wen­den, es ent­steht kei­ner­lei ‚Ab­fall‘. Diese Ei­gen­schaft steht im Ge­gen­satz zu vie­len in­dus­tri­ell ge­fer­tig­ten Bau­tei­len, bei denen ver­schie­de­ne Ma­te­ria­li­en bei­spiels­wei­se in Schich­ten ver­klebt wer­den, sich spä­ter nicht mehr sor­ten­rein tren­nen las­sen und nur noch als Bau­schutt de­po­niert wer­den kön­nen.

Ein Stapel Weller©S. Hau­ers
Lehm um­man­tel­te Ei­chen-Kant­höl­zer, so­ge­nann­te Wel­ler, für den Ein­bau in die Decke.

Um ihren Stu­die­ren­den ein bes­se­res Ge­fühl für den Werk­stoff zu ver­mit­teln, ist Hau­ers mit ihnen im Früh­som­mer 2024 in das Frei­licht­mu­se­um Molf­see vor den Toren der Lan­des­haupt­stadt ge­fah­ren. Hier ging es nicht nur darum, sich mit ei­ge­nen Augen ein Bild vom his­to­ri­schen Lehm­bau zu ver­schaf­fen – die Stu­die­ren­den soll­ten Er­fah­run­gen sam­meln und unter An­lei­tung ei­gen­hän­dig eine his­to­ri­sche Lehm­de­cke aus­bes­sern. Im ers­ten Schritt ging es an das Aus­sie­ben und An­mi­schen des Lehms, der wie ein Ku­chen­teig groß­flä­chig aus­ge­stri­chen wurde. Wie dem Beton der Stahl, wurde in den Lehm von den Stu­die­ren­den Stroh als ‚Be­weh­rung‘ ein­ge­ar­bei­tet.

Dann kam der hand­werk­lich an­spruchs­vol­le Teil. Die Lehm­schicht wurde be­hut­sam um ein Ei­chen-Kant­holz ge­wi­ckelt. Diese so­ge­nann­ten Wel­ler wur­den nach einer län­ge­ren Trock­nungs­pha­se ne­ben­ein­an­der – wie die Spros­sen einer Lei­ter – zwi­schen die De­cken­bal­ken ge­setzt. Ab­schlie­ßend wurde Lehm in die Fugen ge­presst und die Decke von unten mit Lehm ver­putzt. „Die Stu­die­ren­den waren mit gro­ßer Be­geis­te­rung bei der Sache und es ist schon ein be­son­de­res Ge­fühl zu wis­sen, dass auch die kom­men­den 70 Jahre eine selbst sa­nier­te Decke im Frei­licht­mu­se­um hängt“, lacht Hau­ers.

Zwei Männer arbeiten©S. Hau­ers
Stu­die­ren­de ver­put­zen die Wel­ler der fer­tig ein­ge­bau­ten Decke mit Lehm.

Sie freut sich, dass der Lehm­bau mitt­ler­wei­le eine klei­ne Re­nais­sance er­fährt und will ih­rer­seits dazu bei­tra­gen, die­sen Trend zu be­för­dern. Be­son­ders span­nend er­schei­nen ihr Kom­bi­na­tio­nen, in denen der ar­chai­sche Bau­stoff mit­tels zeit­ge­mä­ßer Tech­nik ver­ar­bei­tet wird: „In der klei­nen nord­ita­lie­ni­schen Stadt Massa Lom­bar­da sind Lehm­ge­bäu­de, die TECLA-Häu­ser, in einem 3D-Druck Ver­fah­ren ent­stan­den. Ro­bo­ter brin­gen Lehm auf vor­ge­ge­be­nen Pfa­den auf, so dass Schicht für Schicht ein Kup­pel­bau­werk ent­steht.“ Um mit die­sem Ver­fah­ren in Kiel ex­pe­ri­men­tie­ren zu kön­nen, hat Hau­ers einen ent­spre­chen­den Dru­cker für das Mo­dell­bau-Labor des In­sti­tuts für Bau­we­sen an­ge­schafft, der zähe Bau­stof­fe wie Ton, Lehm und Beton ver­ar­bei­ten kann.

Bei aller Be­geis­te­rung für den Bau­stoff ist sich Hau­ers je­doch be­wusst, dass er ein Ni­schen­pro­dukt blei­ben wird. Trotz der Vor­tei­le, die Lehm bie­tet, sind der Ein­bau und die Pfle­ge deut­lich auf­wen­di­ger als die Ver­wen­dung kon­ven­tio­nel­ler Bau­stof­fe – dann sie­gen meist der Preis und Kom­fort über Nach­hal­tig­keit und ein gutes Raum­kli­ma. „Den­noch ist es mir wich­tig, dass un­se­re Stu­die­ren­den um sol­che Al­ter­na­ti­ven und ihre Mög­lich­kei­ten wis­sen“, be­tont Hau­ers. „Nur wenn man sich im Stu­di­um breit auf­ge­stellt hat, kann man im Be­rufs­le­ben ab­wä­gen und in­for­mier­te Ent­schei­dun­gen tref­fen.“

In­ter­es­sier­te soll­ten das Pro­gramm der In­ter­dis­zi­pli­nä­ren Wo­chen im Auge be­hal­ten, in denen Prof. Hau­ers künf­tig eine Neu­auf­la­ge des Lehm­bau-Work­shops an­bie­ten möch­te. Wer schon vor­her seine Lehm­bau-Neu­gier stil­len möch­te, be­sucht das Frei­licht­mu­se­um in Molf­see.

© Fach­hoch­schu­le Kiel