Beim Gedanken an Bauen kommen vielen als erstes Beton und Klinker in den Sinn. Dass Lehm als Baustoff hierzulande einmal eine große Bedeutung hatte, ist mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geraten. Sabina Hauers, Professorin für Grundlagen des Konstruierens am Institut für Bauwesen der Fachhochschule Kiel, will das ändern. Sie ist von den vielen positiven Eigenschaften des Baustoffs überzeugt und lässt diese Begeisterung durch praktische Erfahrungen auf ihre Studierenden überspringen.
„Lehm ist ein Naturmaterial, das sich als Innenputz besonders für Allergiker eignet. Im Fachwerk wurde Lehm für die Ausfachung von Wänden verwendet, in Katen lange Zeit als Boden“, zählt Hauers einige Anwendungsfälle auf. „Seine ganz große Stärke spielt der Lehm beim Rückbau aus, denn der Naturstoff lässt sich einfach ablösen und in gleicher Qualität wieder verwenden, es entsteht keinerlei ‚Abfall‘. Diese Eigenschaft steht im Gegensatz zu vielen industriell gefertigten Bauteilen, bei denen verschiedene Materialien beispielsweise in Schichten verklebt werden, sich später nicht mehr sortenrein trennen lassen und nur noch als Bauschutt deponiert werden können.
Um ihren Studierenden ein besseres Gefühl für den Werkstoff zu vermitteln, ist Hauers mit ihnen im Frühsommer 2024 in das Freilichtmuseum Molfsee vor den Toren der Landeshauptstadt gefahren. Hier ging es nicht nur darum, sich mit eigenen Augen ein Bild vom historischen Lehmbau zu verschaffen – die Studierenden sollten Erfahrungen sammeln und unter Anleitung eigenhändig eine historische Lehmdecke ausbessern. Im ersten Schritt ging es an das Aussieben und Anmischen des Lehms, der wie ein Kuchenteig großflächig ausgestrichen wurde. Wie dem Beton der Stahl, wurde in den Lehm von den Studierenden Stroh als ‚Bewehrung‘ eingearbeitet.
Dann kam der handwerklich anspruchsvolle Teil. Die Lehmschicht wurde behutsam um ein Eichen-Kantholz gewickelt. Diese sogenannten Weller wurden nach einer längeren Trocknungsphase nebeneinander – wie die Sprossen einer Leiter – zwischen die Deckenbalken gesetzt. Abschließend wurde Lehm in die Fugen gepresst und die Decke von unten mit Lehm verputzt. „Die Studierenden waren mit großer Begeisterung bei der Sache und es ist schon ein besonderes Gefühl zu wissen, dass auch die kommenden 70 Jahre eine selbst sanierte Decke im Freilichtmuseum hängt“, lacht Hauers.
Sie freut sich, dass der Lehmbau mittlerweile eine kleine Renaissance erfährt und will ihrerseits dazu beitragen, diesen Trend zu befördern. Besonders spannend erscheinen ihr Kombinationen, in denen der archaische Baustoff mittels zeitgemäßer Technik verarbeitet wird: „In der kleinen norditalienischen Stadt Massa Lombarda sind Lehmgebäude, die TECLA-Häuser, in einem 3D-Druck Verfahren entstanden. Roboter bringen Lehm auf vorgegebenen Pfaden auf, so dass Schicht für Schicht ein Kuppelbauwerk entsteht.“ Um mit diesem Verfahren in Kiel experimentieren zu können, hat Hauers einen entsprechenden Drucker für das Modellbau-Labor des Instituts für Bauwesen angeschafft, der zähe Baustoffe wie Ton, Lehm und Beton verarbeiten kann.
Bei aller Begeisterung für den Baustoff ist sich Hauers jedoch bewusst, dass er ein Nischenprodukt bleiben wird. Trotz der Vorteile, die Lehm bietet, sind der Einbau und die Pflege deutlich aufwendiger als die Verwendung konventioneller Baustoffe – dann siegen meist der Preis und Komfort über Nachhaltigkeit und ein gutes Raumklima. „Dennoch ist es mir wichtig, dass unsere Studierenden um solche Alternativen und ihre Möglichkeiten wissen“, betont Hauers. „Nur wenn man sich im Studium breit aufgestellt hat, kann man im Berufsleben abwägen und informierte Entscheidungen treffen.“
Interessierte sollten das Programm der Interdisziplinären Wochen im Auge behalten, in denen Prof. Hauers künftig eine Neuauflage des Lehmbau-Workshops anbieten möchte. Wer schon vorher seine Lehmbau-Neugier stillen möchte, besucht das Freilichtmuseum in Molfsee.